„Das Filmfest“ digital: Wie lässt sich in der Online-Welt eine Festivalatmosphäre schaffen?
Die Menge an Filmfestivals ist in Tschechien fast unüberschaubar – in normalen Zeiten. 2020 aber, im Jahr eins der Corona-Pandemie, konnten viele davon nur online stattfinden, meist in einer deutlich abgespeckten Form. Das gleiche Schicksal trifft auch „Das Filmfest“, das zunächst von seinem traditionellen Herbsttermin auf den jetzigen Winter verschoben wurde. Die Organisatoren hatten dabei gehofft, die Zuschauer schon wieder im Kino begrüßen zu können. An viele Einschränkungen, die derzeit herrschen, scheinen sich aber sowohl Kulturschaffende als auch Publikum für längere Zeit gewöhnen zu müssen.
„Das ist jetzt ein Kompromiss. Wir möchten nicht ganz untergehen und uns auch bei den Fans bedanken, die sich das ganze Jahr über für deutschsprachige Filme interessieren. Es ist eine Art Lebenszeichen für sie. Wir hätten ja auch einfach bis zum nächsten Herbst warten können. Aber nein, wir wollten das Festival auch zwischendurch machen.“
Sarah Polewsky ist beim Österreichischen Kulturforum für „Das Filmfest“ verantwortlich. Gemeinsam mit ihren Kolleginnen vom Prager Goethe-Institut und der schweizerischen Botschaft hatte sie die alljährliche Präsentation deutschsprachiger Filme eigentlich für den Herbst 2020 vorbereitet. Wegen der Corona-Pandemie wurde diese verschoben, recht optimistisch auf den Februar. Die Kinosäle sind allerdings nach wie vor geschlossen. Also bereichert das Organisatorinnenteam nun das Heimkino ihres Publikums.
Vom 8. bis 14. Februar werden unter dem Titel „Fülm“ sieben Werke aus Deutschland, Österreich und der Schweiz gezeigt, und zwar auf der Online-Plattform dafilms.cz. Betrieben wird die Plattform von der Doc Alliance, einer in Prag angesiedelten Allianz von sieben namhaften europäischen Dokumentarfestivals. In ihrer Online-Datenbank bietet sie seit 15 Jahren die Filme der einzelnen Jahrgänge zum Anschauen und zum Verleih an. In der Corona-Krise stellt die Organisation ihre Seiten und Expertise kleineren Festivals zur Verfügung, wie etwa unlängst dem des französischen Films.
2020 sei ein besonders schweres Jahr für die gesamte Filmindustrie gewesen, sagt Diana Tabakov, die Geschäftsführerin der Doc Alliance:
„Vor allem Filmfestivals leben davon, dass Menschen zusammenkommen und neu entdeckte Filme in einen gewissen Kontext setzen. Dabei bilden sie eine Gemeinschaft. Es ist sehr schwer, das im digitalen Raum zu ersetzen. Nicht zu reden von dem Zufallselement, das in der Filmindustrie eine sehr große Rolle spielt. Das lässt sich in der genau durchgeplanten Online-Welt nicht kopieren.“
Große Anstrengungen seien daher das ganze Jahr über unternommen worden, um sich der Krisensituation anzupassen. Laut Tabakov waren die Organisatoren von Filmfestivals nicht gut auf die neue Lage vorbereitet. Im normalen Kinobetrieb mussten sie sich nicht mit den neusten technischen Fortschritten im digitalen Bereich befassen. Und auch die Zuschauer brauchten nur in den bequemen Kinosesseln Platz zu nehmen und sich nicht um einen kompatiblen Mediaplayer oder das letzte Update zu kümmern. Wer sich auf die neuen Herausforderungen eingelassen hat, konnte davon allerdings profitieren:
„Die Filmfestivals, die ihren Jahrgang nicht gestrichen, sondern in den Online-Raum verlegt haben, haben die Möglichkeit genutzt, den Kontakt zu ihrer Fangemeinde aufrechtzuerhalten und neu entstandene Filme zur Aufführung zu bringen. Gleichzeitig konnten sie auch neue Zuschauer ansprechen, in anderen Städten etwa und anderen Altersgruppen.“
Übersichtliches Programm
Ein Vorteil für das breitere Publikum von Filmfestivals ist außerdem, dafür nun nicht in eine bestimmte Stadt fahren zu müssen. Im bequemen Heimkino würden sich die Menschen womöglich mehr Filme anschauen, als es vor Ort in den Kinos der Fall wäre, glaubt Tabakov.
Auch die Organisatorinnen des deutschsprachigen „Filmfests“ haben das aktuelle Programm bewusst übersichtlich gehalten. Während einer ganzen Woche werden sieben Filme gezeigt, einer an jedem Tag. Ab der Premiere um 19 Uhr stehen die Streifen dann jeweils für 48 Stunden zur Verfügung. Mit einer kleinen, qualitativen Auswahl soll ein Querschnitt dessen geboten werden, was im klassischen Programm des Festivals mit über 30 Filmen präsentiert worden wäre. Tatsächlich sei es nicht unbedingt einfacher, Filme online anzubieten, so Sarah Polewsky:
„Es ist nicht so, dass die Filme einfach irgendwie online gestellt werden. Wir zahlen nämlich für jeden Film eine ‚Screening Fee‘ (Aufführungsgebühr, Anm. d. Red.). Natürlich müssen wir uns die Filme nicht physisch schicken lassen. Aber gerade wenn man das zum ersten Mal macht, ist das Ganze nicht unbedingt weniger aufwändig, etwa die Untertitelung. Viele Dinge müssen anders gemacht werden als bei einem normalen, physisch stattfindenden Festival. Insofern wäre es nicht realistisch gewesen, 35 Filme zu zeigen.“
Mit einer Mischung aus Komödien, Dramen und einem Dokumentarfilm wird das aktuelle Filmschaffen in den deutschsprachigen Ländern abgebildet. Das übersichtliche Programm sei für das von Bildschirmarbeit und Online-Konferenzen übersättigte Publikum besser verdaulich, als eine umfassende Filmschau, meint Polewsky. Der Aufwand und die Kosten der Vorbereitung bestanden vor allem darin, alle Filme sowohl mit tschechischen, als auch mit englischen Untertiteln zu versehen. Damit wird ein möglichst breites Publikum angesprochen – allerdings nur auf dem Gebiet Tschechiens. Denn auch wenn ein Festival im weltweiten Netz stattfindet, muss der Zugang noch lange nicht uneingeschränkt sein, erläutert Polewsky mit einem Bedauern:
„Man würde denken, online ist für alle da. Aber das geht leider nicht. Wir müssen mit den Rechteinhabern die Bedingungen vereinbaren. Dabei wird Geoblocking verlangt. Oder es ist so exorbitant teuer, dass man es sich nicht leisten kann, es weltweit anzubieten.“
Heimkino macht konservativ
Eine solche Exklusivität kann einer Online-Veranstaltung aber auch wieder so etwas wie einen Festivalcharakter verleihen. Mit dieser Absicht wurden die meisten der angebotenen Filme zudem mit Grußworten der Regisseure versehen, die vorab ausgestrahlt werden. Aber kann tatsächlich eine Atmosphäre wie bei einem echten Festival entstehen? Diana Tabakov:
„Das ist eine sehr gute Frage! Ich halte das für sehr schwierig. Die Mehrheit der Filmfestivals ist bemüht, eine gewisse Lebendigkeit beizubehalten. Sie veranstalten online zum Beispiel Live-Diskussionen oder geben Einführungen zu den Filmen. Damit nähern wir uns der Festivalatmosphäre schon an, dieses Element lässt sich also in den digitalen Raum verlegen. Andererseits können kaum spontane Gelegenheiten zum Tragen kommen, also zufällige Treffen oder Gespräche, die ansonsten die Festivalaktivitäten begleiten.“
Nach Tabakovs Erfahrungen geben die Organisatoren von Filmfestivals ihr Bestes, um auch aus der Online-Variante ein gesellschaftliches Ereignis zu machen. Trotzdem sorgt gerade das fehlende Zufallselement dafür, dass sich der Zuschauer bei der Auswahl im Online-Programm am heimischen Bildschirm konservativer gibt als an der Kinokasse:
„Es besteht der Nachteil, dass im Festivalprogramm vor allem die größten Hits, die bekanntesten Titel bevorzugt werden. Kleine, unbekanntere Filme bleiben dann eher im Hintergrund. Denn wenn alles gleichwertig zur Verfügung steht, klicken die Menschen die Inhalte an, von denen sie schon einmal gehört haben, über die man spricht und von denen sie glauben, dass sie sie sehen müssten. Das ist bei physischen Festivals nicht unbedingt der Fall, denn dort kann eine Vorführung schlicht ausverkauft sein. Und auf der Suche nach einem Ersatz lassen sich dann Filme entdecken, die man vielleicht im Online-Programm nicht angeklickt hätte.“
„Das Filmfest“ gibt seinen Zuschauern dieses Mal einen extra Anreiz: Die ersten 100 Anmelder für einen Film können ihn kostenlos anschauen. Für alle anderen wird eine Gebühr von 99 Kronen (3,80 Euro) fällig. Für den deutschen Streifen „Landrauschen“ steht außerdem als Bonusmaterial ein aufgezeichnetes Expertengespräch bereit. Live-Diskussionen mit den Filmschaffenden hingegen werden erst wieder fester Bestandteil des nächsten Jahrganges im Herbst sein. Der, so hofft Organisatorin Polewsky, soll so normal wie möglich ablaufen und dem Hauptanliegen des Festivals dienen: dem gemeinsamen Kinoerlebnis.
Allerdings ist noch lange nicht klar, wie das neue Normal aussehen wird. Nach Einschätzung von Diana Tabakov haben die Festivalveranstalter im Krisenjahr 2020 viel dazugelernt und sich eine Reihe sehr nützlicher Instrumente angeeignet. In diesem Jahr komme es darauf an zu sondieren, welche davon auch zukünftig eingesetzt werden:
„Noch wissen wir nicht, welche dieser ganzen Veränderungen in der Film- und Kulturindustrie erhalten bleiben. Denn momentan nehmen wir die Welt wahr als Menschen, die gezwungen sind, zu Hause zu sitzen. Wir wissen bisher nicht, was sich dauerhaft geändert haben wird, wenn die Leute wieder raus können und die Kinos erneut geöffnet sind.“
Mehr zum Programm von "Das Filmfest" auf www.dasfilmfest.cz.