Das Runde muss in 90 Minuten immer wieder ins Eckige

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„Der Ball ist rund und das Spiel dauert 90 Minuten.“ Eine Binsenweisheit, die einst der Fußball-Lehrer aussprach, der den deutschen Fußball nach dem Weltkrieg wieder salonfähig machte: der ehemalige Bundestrainer Sepp Herberger. Zwei simple Feststellungen, die auch heute noch nichts von ihrer Interpretationskraft eingebüßt haben. Vor allem der tschechische Fußball kann derzeit schon ein Lied davon singen.

Sparta Prag gegen das Schweizer Team Lausanne Sports  (Foto: ČTK)
Jüngstes Beispiel gefällig? Landesmeister Sparta Prag verschenkt neuerdings schon fast sicher gewonnene Spiele nahezu auf dem Silbertablett. Gegen das zweitklassige Schweizer Team Lausanne Sports übertrafen sich die Spartaner im Auslassen teils klarster Möglichkeiten und wurden dafür hart bestraft. In der souverän geführten Partie zur Gruppenphase der Europaliga gaben sie daher einen 3:1-Vorsprung noch aus der Hand und mussten sich mit einem 3:3-Remis bescheiden. Der Ausgleich fiel übrigens in allerletzter Sekunde!

Und hier muss man Herberger, den „Gottvater der Fußballphrasen“, doch einmal energisch ins Wort fallen. Ein Fußballspiel, Herr Herberger, dauert mittlerweile 92, 93 oder wie am letzten Donnerstag in Prag gar 96 Minuten! Doch das konnte der Baumeister des „Wunders von Bern“ damals natürlich nicht ahnen, dass es im Fußball einmal eine subjektiv festgesetzte Nachspielzeit, passives Abseits sowie gelbe und rote Karten geben wird. Herbergers Dienstzeit bei der deutschen Fußball-Nationalmannschaft endete jedoch auch schon 1964, also vor 46 Jahren. Das sind zwei komplette Fußballer-Generationen und gleichwohl eine Periode, in der sich das populärste Ballspiel der Welt unaufhörlich weiterentwickelt hat. Nur im tschechischen Fußball scheint die gute, alte Zeit der „ulička“ (Pass in die Gasse) oder des Panenka-Elfers (freche Ausführung eines Elfmeters per Lupfer in die Tormitte) noch stehengeblieben zu sein. Denn wie ist es anders zu erklären, dass die tschechischen Vereine im europäischen Clubfußball immer mehr durchgereicht werden.

Sparta Prag gegen das Schweizer Team Lausanne Sports  (Foto: ČTK)
Zu Beginn des Jahrzehnts war Tschechien noch unter den Top 12 der UEFA-Rangliste, die nach dem Punktkoeffizienten der jeweils fünf letzten Spielzeiten in den europäischen Wettbewerben ermittelt wird. Das bedeutete, der tschechische Meister war automatisch für die Champions League qualifiziert. Zur Mitte des Jahrzehnts reichte es nur zu Rang 15 und damit auch nur für die Qualifikationsrunde zur Champions League für zwei Teams. Jetzt aber liegt Tschechien nur noch auf Platz 19 und so hinter weit weniger traditionsreichen Fußball-Nationen wie Israel oder Österreich. Wenn es aber, wie auch in dieser Saison mehrfach geschehen, Tschechiens Kicker einfach nicht schaffen „das Runde ins Eckige zu bringen“, dann geht diese Talfahrt ungebremst weiter. Und die böhmisch-mährischen Fußball-Protagonisten von heute müssen bald auch vor den Fußballzwergen aus Malta, Andorra oder San Marino zittern.

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Spartas Mittelfeldspieler Juraj Kucka versprach nach der Ohrfeige von Lausanne in Prag, dass er und seine Mitspieler sich nun die verlorenen zwei Punkte im Rückspiel zurückerobern wollen. Dann aber sollten sie endlich eine andere Weisheit von Herberger berücksichtigen: „Der nächste Gegner ist immer der Schwerste“.

Autor: Lothar Martin
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