Das Schiff der Geheimnisse auf Moldau und Elbe

Foto: ČTK

Waren Sie schon einmal Wassertreter fahren auf der Moldau? Haben Sie in letzter Zeit ein richtig gutes Theaterstück gesehen? Was tun Sie, wenn Sie in Tschechien demnächst Lust auf beides haben? Sie besuchen das Loď tajemství, das Schiff der Geheimnisse, der Brüder Forman.

Ein verregneter Sonntagabend zieht herein über die kleine Stadt Nymburk an der Elbe. Die Pflastersteine auf dem Kirchplatz glänzen vor Wasser, niemand ist jetzt unterwegs. Am Elbufer biegen sich die Zweige der Kastanien. Über einen wackligen kleinen Holzsteg geht es hinüber auf das geheimnisvolle Boot der Brüder Forman.

Vom holzverkleideten Deck des Bootes aus, unter dem Zeltdach ist man vor dem Regenguss geschützt. So sieht die Welt gleich viel freundlicher aus. Zwei Frauen stehen in knallroten Anoraks am Einlass und begrüßen die Gäste. Heute ist wieder ausverkauft. Ein junger Mann bietet für wenige Kronen Oblatenpackungen an, auf deren Rückseite das Abendprogramm gedruckt ist. So hat der Gast während der Vorstellung auch gleich etwas zu knabbern.

Zwei ältere Damen sind zum ersten Mal hier und warten auf dem Oberdeck. Sie sind gespannt, welch Theater sie geboten bekommen und hoffen, dass sie noch Plätze bekommen.

„Leider haben wir keine Karten. Wir warten, dass jemand welche zurückgibt und würden uns das gerne ansehen. Wir sind zum ersten Mal hier, das hat es in Nymburk noch nicht gegeben, soweit ich weiß. Und wir haben das mehr oder weniger zufällig auf dem Plakat gesehen. Ich würde es mir wirklich gern ansehen, ich war noch nie zum Theater auf dem Wasser. Höchstens mal auf einer Waldbühne, auch draußen, aber auf dem Schiff noch nie. Das ist etwas Eigenes auf dem Wasser, nicht wahr?“

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Viele andere Gäste kennen das Schiff schon und manche kommen sogar aus Prag hierher. Vor der Vorstellung wärmen sie sich noch mit Glühwein auf, denn auf dem halboffenen Deck kann es zugig werden. Die Vorfreude steht ihnen aber in den Gesichtern und schwingt in den Antworten mit:

„Mir hat es beim ersten Mal gefallen, da haben die Schauspieler sehr eng mit uns zusammengespielt, das zweite Mal habe ich Shakespeare gesehen. Es ist ein anderes Erlebnis, wenn man das auf dem Schiff sieht“, sagt eine Frau.

Ein junger Mann fügt an:

„Für mich ist das etwas Besonderes, ich bin zum ersten Mal hier bei diesem Kulturereignis. Ich weiß nicht, was mich erwartet. Ich bin aber neugierig auf das Theater auf dem Schiff.“

In Nymburk spielt an diesem Abend das Prager Theater Celetná. Aufgeführt wird „Rozmarné léto“, zu Deutsch „Ein launischer Sommer“. Das unterhaltsame Stück spielt in einer sommerlichen Badeanstalt am Fluss, an der es eine Menge Verwirrungen gibt. Ein Steg mit Liegestühlen ist auf der Bühne aufgebaut. Dort lungern die Stammgäste. Dann öffnet die Hafenkneipe die Pforten und ein Gauklerpärchen macht mit seinem Wagen Station. Ein Wirrwarr von Verzauberung beginnt – einen Sommer lang.

Die Brüder Forman  (Foto: ČTK)
Blanka Borůvková, die auf dem geheimnisvollen Theaterschiff seit zehn Jahren arbeitet, wählt aus, was in der Saison gespielt wird. Sie findet die Vorstellung wie für das Schiff gemacht:

„Wir suchen Stücke aus, die sich mit dem Schiff vertragen, damit die Zuschauer das Gefühl haben, dass die Vorstellung auf das Schiff gehört. Das Stück Rozmarné léto habe ich zum ersten Mal im Theater Celetná gesehen und mir gesagt: Das nehmen wir für das Schiff! Wenn man es noch ein bisschen anpasst, noch ein paar Kulissen hinzufügt, wirkt das auf dem Schiff sogar noch stärker. Die Schauspieler sind auch der Meinung, dass wir hier einen viel stärkeren Ausdruck erreicht haben.“

Das Schiff, das im Original Loď tajemství heißt, also Schiff der Geheimnisse, befährt zum zehnten Jahr Moldau und Elbe. Auf dem Programm stehen diesmal eine bunte Mischung von Theaterabenden, Konzerten, Märchen, Tanz und Musik. Die junge Schauspielerin Petra Pučiková kennt das Schiff, seit die Brüder Forman es aufgebaut und gestaltet haben. Sie fährt seit zehn Jahren mit. Wenn sie über die ersten Aufführungen erzählt, leuchten ihre Augen vor Verzauberung und Nostalgie.

„Das erste Stück damals war inspiriert von einem Liebesgedicht des russischen Autoren Alexander Grin. Die Bühne ließ sich drehen, sodass drei Szenarien, drei Welten auf ihr untergebracht wurden. In den Holztischen im Zuschauerraum leuchteten die Glaseinfassungen mit verschiedenen Bildern. Die Musik während des Stückes spielte eine ungarische Zigeunerkapelle. Außer den Schauspielern tanzten auch Marionetten. Alle diese Bilder wirkten zusammen. Das war unheimlich reich an Atmosphäre und hat einzigartig mit der Vorstellungskraft gespielt. Darin lebte sehr stark auch die Welt des Autoren Alexander Grin. Dessen Geschichten sind verzaubert und märchenhaft, und doch bleiben sie mit unserer wirklichen Welt verbunden“, so Petra Pučiková.

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Sich als Zuschauer auf das Boot zu begeben, heißt, einen Abend in einer etwas anderen Welt zu verbringen und danach über den schmalen Holzsteg zurück auf das Festland der Realität zu klettern. Für Blanka Borůvková, Petra Pučiková und ihre Helfer bedeutet Theater einen Ort der Verzauberung. Petra Pučiková bemerkt, dass Theater immer mit Ritualen zu tun hat und zwischen Schauspielern, Zuschauern und dem Ort eine magische Atmosphäre entstehen kann:

„Ich fühle mich freier, wenn ich nicht in einem Theatergebäude bin. Das Theater ist dann weniger eine Institution und die Regeln sind natürlicher, hier gibt es nicht diese festen Rollen eines Geschäftsführers, eines Verwalters und der Angestellten. Der andere Raum erlaubt dir, viele andere Dinge mit ihm zu tun. Mit dem Theater im Theater kannst du dich nicht so frei bewegen.“

Vor zehn Jahren haben Miloš und Petr Forman das Schiff der Geheimnisse aus einem alten Schleppkahn gebaut. Petra Pučiková kennt jedes Stück Inventar, das die Brüder mit Hilfe einiger Schauspieler-Freunde hier eingebaut haben:

„Das Schiff war eigentlich ein altes Frachtschiff, wie jene, die mit Sand oder Getreide die Elbe hinauffahren. Alles was hier ist, haben die Brüder Forman im Jahr 2000 speziell für die erste Veranstaltung angefertigt.“

Die Brüder Forman sind mittlerweile zwar schon mit anderen Projekten unterwegs. Statt ihrer schmeißen hier Blanka Borůvková, Petra Pučiková und das übrige Team den Laden. Aber diesen August kehrt Petr Forman auf das geheimnisvolle Schiff zurück. Denn hier will er die Premiere seines neuen Stückes zeigen. Das Stück wird wieder direkt für das Schiff gemacht sein, erzählt Blanka Borůvková:

„Im August kehrt Petr Forman mit seinem neuen Stück ´Rusalka Bleda´ zurück. Die Premiere fand in einem Theater in Brünn statt, und in Prag wird es als Erstes hier auf dem Schiff der Geheimnisse aufgeführt.“

Über Nymburk hat sich der Abend gesenkt und der Regen hat aufgehört. Die beiden Damen, die am Anfang noch auf Karten gewartet haben, stehen langsam auf, mit einem Lächeln auf dem Gesicht. Sie nehmen den Rest ihrer Oblaten, schlendern im Strom der anderen Zuschauer langsam zum Ausgang. Das Stück haben sie genossen:

„Ja das hat uns gefallen, hübsch“, kommt es unisono aus ihnen.

Die Damen klettern über den Steg zurück aufs Festland, zurück aus der verzauberten Welt in die Realität im nächtlichen Nymburk.

Autor: Anita Müller
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