Das TV-Nachrichtenwesen in Bewegung

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Das Nachrichtenwesen der Fernsehsender in Tschechien ist in Bewegung. Vor allem die Hauptnachrichten des staatlichen Fernsehsenders CT haben sich, was Form und Inhalt betrifft verändert - Kritiker sprechen von einer schleichenden Boulevardisierung. Sind die staatlichen Sender bald nicht mehr vom Privatfernsehen zu unterscheiden? Christian Rühmkorf hat mit den Chefs der privaten und öffentlich-rechtlichen Sender über die neuesten Trends im Nachrichtenwesen gesprochen.

Die Hörerinnen und Hörer unter Ihnen, die kleine Kinder haben, wissen es: Nichts ist wichtiger, nichts bringt mehr Entspannung für beide Seiten, Kinder und Eltern, als Regelmäßigkeit im Alltag. Und eben diese Regelmäßigkeit schien mit Beginn des neuen Jahres in tschechischen Haushalten republikweit empfindlich gestört. Der Grund? Das geliebte tschechische Sandmännchen "Vecernicek" muss seit Anfang 2007 die Kinder eine Viertel Stunde früher in den Schlaf lullen. Und das, weil die Nachrichtenmacher vom öffentlich-rechtlichen Fernsehen CT ihre Hauptsendung von 19:15 Uhr auf 19:00 vorverlegt haben. Damit verdrängten sie nicht nur das Sandmännchen von seinem angestammten Sendeplatz, sondern traten auch in zeitliche Konkurrenz zu den Nachrichten des Privatsenders "Prima". Zdenek Samal, Nachrichten-Chef bei CT begründet diesen Schritt:

"Ich bin absolut überzeugt, dass Nachrichten entweder zur halben oder zur vollen Stunde gesendet werden sollten. Für uns war es auch wichtig, den größeren Teil der Zeit zu bekommen, die unmittelbar vor der so genannten nachrichtenfreien "Prime-time" mit der höchsten Zuschauer-Quote liegt. Und so macht das die Mehrzahl aller Fernsehstationen in Europa. Wir haben uns das vorher genau angeschaut."

Außer an eine neue Sendezeit müssen sich die Zuschauer noch an einige weitere Veränderungen gewöhnen: Am Anfang gibt es einen Themen-Überblick, bei dem die Hauptakteure der einzelnen Berichte schon mit Zitatfetzen zu Wort kommen und nach zwei Dritteln der Sendezeit werden die Zuschauer durch Ankündigungen der noch folgenden Meldungen bei der Stange gehalten. Das hat sich das Tschechische Fernsehen beim Privatsender "Nova" abgeschaut. Doch gerade von den Privaten will man sich absetzen, wie Zdenek Samal sagt:

"Wir wollen nicht mit "Prima" und "Nova" konkurrieren, sondern uns von ihnen unterscheiden. Und zwar, indem wir die einzelnen Berichterstattungen durch Analysen und Hintergründe ausführlicher gestalten. Der Standard in anderen Ländern sind grob drei Minuten für eine Meldung. In der Tschechischen Republik gibt es seit den 90er Jahren den Trend zu anderthalbminütigen Meldungen, bei denen der Reporter nicht mehr spricht, sondern geradezu ins Mikrofon bellt, um sich in die 30 Sekunden lange Einspielung hineinzuquetschen. Das zu ändern gelingt uns auch nicht immer, aber wir wollen es versuchen."

Viele TV-Kritiker und Zuschauer sprechen dennoch von einer Boulevardisierung des öffentlich-rechtlichen Fernsehens und denken dabei auch an die Berichte über Unfälle, Morde sowie Affären der oberen Zehntausend. Dazu Zdenek Samal:

"Ehrlich gesagt, ich vertrete schon lange die Theorie, dass es keine Boulevard-Themen gibt. Es gibt nur Meldungen, die als Boulevard aufgemacht sind."

Soll heißen: Alles - oder zumindest fast alles kann in den Nachrichten gesendet werden, solange es seriös ausgearbeitet ist.

Diese Philosophie ist nicht mehr weit entfernt von den Privatsendern. Jiri Zavozda, Nachrichten-Chefredakteur beim kommerziellen Sender "Prima", sieht eigentlich nur noch einen Unterschied zum Öffentlich-rechtlichen:

"Das einzige, was uns vom Öffentlich-rechtlichen vielleicht noch unterscheidet, ist, dass wir am Ende immer das so genannte "Tierchen" bringen, wie viele es etwas abfällig nennen. Bei all den Kriegen, Unfällen, Morden und Tragödien, über die berichtet wird, betrachten wir es als nichts Schlechtes, wenn wir am Ende irgendein frischgeborenes Känguruh zeigen - oder etwas Ähnliches. Wir schämen uns dafür nicht. Also in dieser Sache unterscheiden wir uns wohl noch vom Tschechischen Fernsehen. Ansonsten sehe heute keinen Unterschied mehr."

Auch den Versuch durch längere Meldungen, Analysen und Hintergünde besser zu informieren, sieht Jiri Zavozda als überflüssig an:

"Ich bin überzeugt, dass die normale tschechische Durchschnittsfamilie - und das meine ich nicht abwertend - zwischen sieben und acht Uhr keine großen Analysen mehr will. Wenn wir uns zu Hause die Nachrichten anschauen, dann essen wir dabei entweder zu Abend oder kontrollieren die Hausaufgaben der Kinder. Das wäre eher kontraproduktiv, da irgendeine tiefgehende Analyse zu bringen."

Das Ziel scheint also eine Form der Nachrichten-Unterhaltung zu sein, die auch in ihrer Form ansprechend sein muss. Das sieht der Chef des öffentlich-rechtlichen Nachrichtenwesens ähnlich. Zdenek Samal:

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"Uns, das Nachrichtenwesen des Tschechischen Fernsehens, kennzeichnet das, was Trend auf der ganzen Welt ist. Wir bemühen uns die Zuschauer anzuziehen, indem wir die Methode und die formale Seite der Nachrichtenpräsentation stärken."

Erst kürzlich habe er das Fernsehen besucht, zu dem er immer aufgeschaut habe: die britische BBC. Dort sei der Trend, sich stärker auf die Präsentationsform zu konzentrieren, überdeutlich geworden. Die BBC, die Vorzeige-Dame aller öffentlich-rechtlichen Fernsehstationen, greift, so Zdenek Samal, formal und inhaltlich zu Methoden, die man früher in Tschechien als unzulässig betrachtet habe:

"Ich weiß nicht, was tschechische Zuschauer dazu sagen würden, wenn wir Nachrichtenmacher vom Tschechischen Fernsehen regelmäßig mit Zeitlupen-Einstellungen arbeiten würden, Stegreifkomik einbauen, die Moderatoren virtuell verschönern oder auch Trickfilm-Elemente benutzen würden. Das alles habe ich dort gesehen. Wenn wir in Tschechien nur die Hälfte von dem umsetzen würden, was wir dort gesehen haben, dann würde man uns pfählen."

Aber schlecht findet er all diese Ideen nicht, wie man ihm ansieht. Die Welt ist in Bewegung, sagt Samal, und fügt vorsichtig hinzu:

"Wir Tschechen sind vielleicht zu nostalgisch, was die Progressivität des Nachrichtenwesens betrifft."

Vielleicht könnte man, anstelle des neugeborenen Känguruhs aus dem Prager Zoo, das Sandmännchen in die Nachrichten integrieren, und zwar als Anchorman. Der Unterhaltungswert für Jung und Alt wäre garantiert. Und obendrein hätte man noch einen wertvollen Sendeplatz eingespart. Kleiner Wermutstropfen: Der tschechische Nachwuchs müsste seine innere Uhr abermals umstellen. Ob das der tschechische Haussegen noch einmal verkraftet?