Das war 2008 – Ein politischer Jahresrückblick
Zwei Wahlentscheidungen waren es, die die tschechische Politik im abgelaufenen Jahr besonders geprägt haben: Die Präsidentschaftswahl im Februar und die Regional- und Senatswahlen im Herbst. Die Ergebnisse hätten kaum unterschiedlicher sein können. Denn nachdem zunächst der konservative Václav Klaus sein Amt als Staatsoberhaupt verteidigen konnte, wurde der Urnengang ein halbes Jahr später zum Fiasko für die Demokratische Bürgerpartei (ODS) und zum Triumph für die oppositionellen Sozialdemokraten. Michal Mocek von der tschechischen Tageszeitung Právo und Rudolf Hermann, Korrespondent der Neuen Zürcher Zeitung, blicken im Studio von Radio Prag gemeinsam zurück auf das Jahr 2008.
Radio Prag: Beginnen wir mit der Wahl des tschechischen Präsidenten im Februar. Václav Klaus hat sich wieder für das Amt beworben und die Wahl gewonnen. Der Präsident wird in Tschechien vom Parlament gewählt, also von den Mitgliedern beider Parlamentskammern. Das war ein ziemliches Hickhack. Die Abgeordneten und Senatoren haben etwa stundenlang darüber abgestimmt, ob sie geheim oder offen abstimmen wollen. Damals haben Kommentatoren gesagt, dass damit das Vertrauen in den tschechischen Parlamentarismus erschüttert wurde. Herr Mocek, sehen Sie das auch so? Oder war das nur die momentane Aufregung, und interessiert das heute niemanden mehr?
Michal Mocek: „Ich denke, man ist generell ziemlich skeptisch gegenüber dem tschechischen Parlament. Bei den Präsidentenwahlen war das nur ein bisschen offensichtlicher als sonst. Man weiß, wie das Parlament arbeitet, man kennt die Probleme im tschechischen Parlamentarismus und in der tschechischen Demokratie. Also war das keine Überraschung.“
Radio Prag: Und war es eine Überraschung, dass Klaus wieder Präsident wurde? Die Sozialdemokraten haben mit Jan Švejnar ebenfalls einen Ökonomen aufgestellt, einen Wirtschaftsprofessor wie Václav Klaus. Es hat so ausgesehen, als könnte das spannend werden. Doch dann hat Klaus wieder genau mit der Mehrheit von einer Stimme gewonnen, die er gebraucht hatte. War es doch von vornherein klar, dass er wieder gewinnt? Hatte er sich seine Mehrheit bereits im Vorfeld gesichert?
Michal Mocek: „Es war nicht von Beginn an klar, dass er mit einer so knappen Mehrheit gewinnen würde, aber ich hatte erwartet, dass er der Sieger der Präsidentenwahl sein wird. Jan Švejnar war ein Kandidat der Opposition. Es war also nicht nur die Frage, ob Herr Klaus oder Herr Švejnar gewinnt, sondern auch, ob die Koalition überleben kann oder nicht. Denn man kann sich nur schwer vorstellen, dass die Koalition mit einer Niederlage von Klaus überlebt hätte.“Rudolf Hermann: „Ich habe bei Klaus immer das Gefühl gehabt, dass die Weltanschauung erst dann ins Spiel kommt, wenn die Taktik geführt worden ist. Zuerst muss die Macht gesichert werden, danach kann man es sich leisten, von der liberalen Weltanschauung zu sprechen. Aber ich denke, er ist auf der tschechischen politischen Bühne einer von ganz wenigen, die das taktische Spiel perfekt beherrschen. Darum erstaunt es mich nicht, dass Klaus letzten Endes gewonnen hat.“
Radio Prag: Kommen wir zum Herbst, als wieder ein großes politisches Ereignis anstand, nämlich die Regional- und Senatswahlen. Man könnte meinen, dass dieses Thema für die ausländischen Hörer gar nicht so interessant ist. Aber interessant war es dann doch, denn in allen 13 Kreisen – Tschechien hat 14 Kreise, aber in Prag wurde nicht gewählt – in allen 13 Kreisen also kamen die Sozialdemokraten auf Platz eins. Was waren die Gründe dafür?
Michal Mocek: „Die Gründe waren ganz klar. Wenn Sie sich an die Affären in den Regierungsparteien erinnern: da spricht man über (den christdemokratischen Parteichef) Jiří Čunek und seine Probleme mit der angeblichen nicht verfolgten Korruptionsaffäre, man spricht über die Probleme der Grünen und die internen Kämpfe in dieser kleinen Partei, und man spricht über die Probleme der ODS, der wichtigsten Regierungspartei. In dieser Situation wäre es für mich eigentlich überraschend gewesen, wenn die Koalition diese Regional- und Senatswahlen gewonnen hätte. Ich denke also, es war ganz normal, dass die Sozialdemokraten als Oppositionspartei erfolgreich waren. Das alles zeigt, dass die Zentralpolitik einen direkten Einfluss auf die Regionen hat. Die Sozialdemokraten benutzten in den Regionalwahlen Themen der Zentralpolitik, denn sie wussten, das ist der beste Weg zum Sieg. In diesem Sinne waren sie erfolgreich.“
Radio Prag: Aus ODS-Kreisen hört man nun, dass die Gründe für das schlechte Abschneiden der Partei darin bestehen, dass sich die Partei zu weit von ihren Grundwerten entfernt hat, zu weit vom Marktliberalismus, dass sie zu europafreundlich geworden sei. Doch es gibt auch Überlegungen, ob es nicht vielleicht genau umgekehrt ist. Denn Umfragen zeigen ja, dass auch ODS-Wähler soziale Sorgen haben, und dass gerade die ODS-Wähler Europa wollen, weil sie etwa die Vorteile der europäischen Integration für Wirtschaftstreibende erkennen. Gehen die Diskussionen in der ODS da nicht vielleicht in die völlig falsche Richtung?
Rudolf Hermann: „Das würde ich auch so sagen. Von außen betrachtet ist die Europäische Union für Tschechien ein unglaublicher Gewinn. Aber das Problem mit den ostmitteleuropäischen Mitgliedern der Europäischen Union ist ein bisschen das, was auch Václav Klaus anspricht, wenn er sagt: Wir wollen kein Diktat aus Brüssel. Diese Länder kamen aus einer Abhängigkeit, die ihnen aufgezwungen war, in eine Teilabhängigkeit, die sie selber gewählt haben. Das ist ein wesentlicher Unterschied. Es handelt sich um die Übertragung von Kompetenzen an eine höhere Schaltstelle, die ihnen etwas bringt. Der Wirtschaft bringt es etwas, und auch den Menschen bringt es etwas, zum Beispiel durch die unbegrenzte Reisefreiheit. Und so denke ich, dass die Diskussion, so wie sie jetzt läuft, mit Tschechien als dem euroskeptischen Mitglied der Europäischen Union, schon ein bisschen falsch aufgestellt ist. Ich denke auch, dass das ein wenig am Volk vorbeigeht. Die Zusammenhänge in der Europäischen Union sind ja relativ kompliziert. Aber Politik wird nicht immer mit komplizierten Zusammenhängen betrieben, und Wahlen gewinnt man mit komplizierten Zusammenhängen schon gar nicht. Also wäre es vielleicht wirklich nützlich, wenn diese Diskussion ein bisschen sachlicher und breiter geführt werden würde.“Radio Prag: Zum Schluss würde ich gerne ein Ereignis ansprechen, das erst vor kurzer Zeit passiert ist, fast schon am Ende dieses Jahres. Da waren führende Vertreter des Europäischen Parlaments in Prag. Auf der Prager Burg sind die Funken geflogen, vor allem zwischen Daniel Cohn-Bendit, dem Vorsitzenden der Grünen Fraktion im Europaparlament, und Präsident Václav Klaus, der ja ein ausgewiesener EU-Skeptiker ist. War das letztlich ein uninteressantes Scharmützel zwischen Herrn, die sich nicht gut verstehen, oder war das ein schlechtes Omen für die tschechische EU-Ratspräsidentschaft?
Rudi Hermann: „Für ein schlechtes Omen halte ich das nicht. Es ist gut, wenn gesprochen wird, und es ist auch gut, wenn manchmal gestritten wird. Dann kommen die Themen an die Oberfläche, und man hört die verschiedenen Ansichten. Vielleicht ist es für einige der Akteure gewöhnungsbedürftig, dass offen gesprochen wird, aber das ist ja auch nicht schlecht.“
Michal Mocek: „Ich denke, dass beide Parteien diesen Streit wollten, und dass beide glauben, ihn für ihre Interessen nutzen zu können.“