Den Krallen entkommen: Ausstellungsprojekt will Kafka als Urlauber zeigen

Franz Kafka

Ein Mütterchen mit Krallen, das nicht loslässt – das schrieb Franz Kafka einmal über Prag. Der Tourismus hat die Hassliebe des Schriftstellers zu seiner Heimatstadt längst zu einem einträglichen Geschäft gemacht. Kafka allerdings, das wissen seine Leser, lässt sich weder auf einen Aphorismus noch auf seine Heimatstadt reduzieren. Tatsächlich nutzte er jede Gelegenheit, um sich die Welt anzusehen. Eine Journalistin und ein Fotograf haben sich auf die Suche begeben und wollen bald eine Ausstellung eröffnen – über Kafka auf Reisen.

Franz Kafka
Wahrgenommen und vor allem auch verkauft wird Kafka heute als jemand, der an Prag gefesselt war und an Prag verzweifelt ist. Die tschechische Journalistin Judita Matyášová findet aber inzwischen eher diese Kafka-Klischees zum Verzweifeln:

„Mir tut das immer leid, wenn ich solche Dinge höre. Denn nach allen Erkenntnissen, die wir gesammelt haben, ist es einfach nicht wahr, dass er nur in Prag herumsaß, die Nächte durchgeschrieben und am Tag gearbeitet hat.“

Dann Kafka war unterwegs, oft. Auf Sommerfrische, Erholungskur, Bildungsreise oder dienstlich als Versicherungsangestellter in den böhmischen Industriezentren. Gemeinsam mit dem Fotografen Jan Jindra hat Judita Matyášová die Reiseziele des Schriftstellers besucht – über 70 in ganz Europa. Kafka selbst reiste oft mit Freunden – zum Beispiel mit Max Brod:

Gardasee  (Foto: Ampfinger,  CC BY-SA 3.0)
„Vereinfacht gesagt: Da waren also zwei Jungs Anfang zwanzig. Sie nahmen sich zwei, drei Wochen Urlaub. Die längste Reise führte sie 1911 in die Schweiz, nach Italien und Frankreich. Die beiden interessierten sich für Sehenswürdigkeiten oder auch Aussichtspunkte, zum Beispiel die Seilbahn über Luzern und die Rigi. Oder sie gingen baden im Lago Maggiore und im Gardasee. Sie machten gerne Ausflüge in die Natur, aber sie hatten auch die Theorie, dass man die Landschaft nur kennenlernt, wenn man sich körperlich annähert – indem man schwimmt.“

Über das Reiseprojekt hat Matyášová unbekannte Seiten Kafkas entdeckt. Er begeisterte sich für die Pariser Metro, war praktizierender Vegetarier und überhaupt kein „langweiliger Patron“, wie die Journalistin schreibt. Hunderte Fotos und Dokumente haben Matyášová und Jindra in den vergangenen zwölf Jahren zusammengetragen und das Buch „Kafka in den Ferien“ veröffentlicht. Nun soll eine Ausstellung folgen – in Siřem / Zürau zwischen Prag und Karlsbad. Judita Matyášová:

Siřem | Foto: Archiv von Jan Jindra / Galerie Kafka
„Kafka verbrachte dort ab 1917 acht Monate in der Nähe seiner Lieblings-Schwester Ottla, die in Zürau auf einem Hof aushalf. Der Ort kommt häufig in Kafkas Tagebuch und in Briefen vor. Außerdem, das bestätigen auch Kafka-Forscher, war Zürau Inspiration für sein Werk ‚Das Schloss‘. Damals lebten dort etwa 400 Menschen, überwiegend Deutsche. Nach dem Zweiten Weltkrieg mussten sie gehen, heute leben dort noch etwa 100 Menschen, und die Zeit ist irgendwie stehengeblieben. Man sagt, man könne in Prag auf Kafkas Spuren wandeln. Das stimmt nur zum Teil, weil die Orte sich völlig geändert haben oder nicht zugänglich sind. In Zürau aber sieht es immer noch so aus, wie Kafka es in seinen Texten beschrieben hat.“

Judita Matyášová  (Foto: YouTube
Ein Gebäude für die Ausstellung ist gefunden, in einem ehemaligen Hopfenspeicher. Im Internet versuchen Matyášová und Fotograf Jindra nun 860.000 Kronen (ca. 32.000 Euro) zusammenzubekommen. Das ist nicht einfach, denn für viele Tschechen ist Kafka noch immer ein Fremdkörper. Judita Matyášová:

„Wenn man hier Kafka sagt, dann denken die Leute an etwas Langweiliges, Finsteres – und interessieren sich kein bisschen dafür. Unsere Vision lässt sich wohl hier in Tschechien am schwersten realisieren. Unser Crowdfunding-Projekt läuft nun auf Tschechisch und Englisch, denn wir richten uns auch an das ausländische Publikum. Aber wir wären eben auch sehr froh, wenn sich Tschechen beteiligen – denn der Ort befindet sich hier.“


Wer für das Kafka-Museum in Siřem spenden will, kann sich bis zum 4. Dezember hier beteiligen. Im nächsten Jahr bereits könnte die Ausstellung „Kafka in den Ferien“ eröffnen.

Autor: Annette Kraus
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