Der 1. Weihnachtsbaum in Böhmen

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Waren Sie schon einmal im Prager Stadtteil Liben - zu deutsch Lieben, wie die Liebe? Dieses östlich des Stadtzentrums gelegene Viertel hat keine Sehenswürdigkeiten und zieht kaum Touristen an, doch etwas besonderes hat Liben zu bieten: vor genau 190 Jahren, am 22. 12. 1812, wurde im hiesigen kleinen Schlösschen der erste Weihnachtsbaum in den Böhmischen Ländern aufgestellt. Über diesen, dessen Eigentümer und andere Geschehnisse jener Zeit Anfang des 19. Jahrhunderts wollen wir im heutigen bereits etwas weihnachtlichen Geschichtskapitel berichten.

Waren Sie schon einmal im Prager Stadtteil Liben - zu deutsch Lieben, wie die Liebe? Dieses östlich des Stadtzentrums gelegene Viertel hat keine Sehenswürdigkeiten und zieht kaum Touristen an, doch etwas besonderes hat Liben zu bieten: vor genau 190 Jahren, am 22. 12. 1812, wurde im hiesigen kleinen Schlösschen der erste Weihnachtsbaum in den Böhmischen Ländern aufgestellt. Über diesen, dessen Eigentümer und andere Geschehnisse jener Zeit Anfang des 19. Jahrhunderts wollen wir im heutigen bereits etwas weihnachtlichen Geschichtskapitel berichten.

1812 - das ist das Jahr, in dem Napoleon seinen grossen Russlandfeldzug startete, in Moskau einmarschierte und vom russischen Winter vernichtend geschlagen wurde. Zu dem grossen napoleonischen Heer gehörte auch ein österreichisches Hilfskontingent, in dem unter dem Befehl des Fürsten von Schwarzenberg viele Tschechen und Deutsche aus den Böhmischen Ländern dienten. Nur wenige von ihnen kehrten in ihre Heimat zurück

Zu jener Zeit weilten in der böhmischen Hauptstadt Prag zahlreiche Emigranten aus Frankreich und Preussen. Unter ihnen waren u.a. der Freiherr von Stein, Heinrich von Kleist und Wilhelm Humboldt. Zu Gast kamen damals ausserdem wiederholt Ludwig von Beethoven und Wolfgang Goethe an die Moldau.

Das frühe 19. Jahrhhundert ist auch die Zeit, in der das tschechische Nationalbewusstsein erwachte. Die tschechische Sprache, die seit Mitte des 17. Jahrhunderts zurückgedrängt worden war und nun nur noch unter der Landbevölkerung gesprochen wurde, wurde in den Städten und im Bürgertum wieder entdeckt und belebt. In den Städten dominierte noch das Deutsche, doch nach und nach entstanden tschechische Institutionen. Ein Feld, auf dem das Tschechische seine gleichberechtigte Stellung anstrebte, war das Theater. Ende des 18. Jahrhunderts existierten in den Böhmischen Ländern bereits eine Reihe von festen Theaterhäusern. In diesen fanden jedoch zum Grossteil Vorführungen in deutscher Sprache statt.

1783 hatte Fürst Nostitz in Prag ein Theater erbauen lassen, das zunächst nach ihm benannte Nostitz-Theater. In jenem Theater erlebte 1792 Mozarts Oper Don Giovanni ihre Uraufführung. Nostitz verkaufte sein Theater später den böhmischen Ständen, die dieses wiederum an den jeweiligen Theaterdirektor auf Zeit verpachteten. 1806 wurde ein gewisser Johannes Karl Liebich Direktor des Ständetheaters.

Jan Karel Liebich, wie er in seiner neuen Heimat genannt wurde, stammte aus Mainz. Hier war er 1773 zur Welt gekommen. Später war Liebich als Schauspieler in Passau tätig. Mit seiner Schauspieltruppe kam er Ende des 18. Jahrhunderts nach Prag, wo er den Rest seines Lebens verbringen sollte. 1806 wurde dieser deutsche Schauspieler Direktor des Prager Ständetheaters, ehemals Nostitz-Theater. Unter seiner Führung stieg das Ständetheater zur führenden deutschsprachigen Bühne Mitteleuropas auf. Liebich gelang es nicht nur, die Gunst der Stände und der Schauspieler zu gewinnen, sondern auch die des Prager Publikums. Er soll von allen stets liebevoll Papa Liebich genannt worden sein.

Seine Schauspieler schätzten ihn als guten Regisseur und Lehrer, die Prager wegen seiner Gutherzigkeit und seinem Edelmut. Für seine Schauspieler hatte Liebich einen Pensionsfonds ins Leben gerufen - wohl einen der ersten seiner Zeit. Die tschechischen Bewohner der Stadt würdigten den Einsatz des Deutschen für das tschechisches Theater. Liebich stellte das Ständetheater tschechischen Laienschauspieltruppen unentgeldlich zur Verfügung und setzte sich dafür ein, dass tschechische Stücke aufgeführt wurden bzw. Opern und Singspiele auch in Tschechisch erklangen. Als er 1806 seinen Pachtvertrag für das Theater unterzeichnete, war in diesem festgelegt, dass lediglich zwei Mal im Monat tschechische Aufführungen im Ständetheater stattfinden dürfen - zu wenig, meinten die tschechisch sprechenden Prager und Liebich. Der Kampf für ein tschechisches Theater war mit der Zeit erfolgreich. Nach 1820 standen mehr und mehr tschechische Stücke und Opern auf dem Spielplan.

Liebich war nicht nur Theaterdirektor, sondern Künstler durch und durch. Und so führte er ein dementsprechendes Leben, bei dem Feste und Feiern nicht fehlen durften. Dass er dabei den Rahmen seiner Finanzen überschritt, scheint den Lebenskünstler nicht gestört zu haben. Seiner Frau soll er nach seinem Ableben nur einen Haufen Schulden vermacht haben und sonst nichts. Jedes Jahr zu Weihnachten lud das Ehepaar Liebich in sein Libener Schlösschen zu einem Tanzabend ein. Hier traf sich die Prager High Society jener Zeit, Minister, Generäle, reiche Bürger und Emigranten aus Frankreich und Preussen. Und hier in seinem Schlösschen in Liben hatte Liebich zu Weihnachten 1812 eine Überraschung für seine Freunde vorbereitet. Nach dem feierlichen Abendessen soll er seine Gäste in ein Nebenzimmer geführt haben, wo eine Überraschung auf sie wartete: ein Weihnachtsbaum in seiner ganzen Pracht, unter dem eine Krippe und kleine Geschenke für alle plaziert waren. Die Gäste des Theaterdirektors sollen begeistert gewesen sein. Zumindest soll der Weihnachtsbaum in den nächsten Tagen das Gesprächsthema in Prag gewesen sein.

Der Weihnachtsbaumbrauch, der aus Deutschland stammte, hatte es in den Böhmischen Ländern, in denen gerade das tschechische Nationalbewusstsein erwachte, nicht leicht, sich durchzusetzen. Zunächst sollen ihn nur reiche deutsche Familien in ihren Wohnstuben aufgestellt haben. In den 40er Jahren des 19. Jahrhunderts scheint sich der Weihnachtsbaum aber bereits in Prag eingebürgert zu haben. Die Prager Zeitung berichtet jedenfalls vom Weihnachtsbaumverkauf als einer selbstverständlichen Tatsache. In einem 1845 veröffentlichten Buch über Weihnachtsbräuche in Böhmen heisst es unter anderem:

"In Böhmen stellen die Menschen an Heilig Abend eine Tanne oder Fichte auf einen Tisch in die Zimmerecke, geschmückt mit kleinen Kränzchen, Obst, Gebäck und manchmal auch mit Stoff."

In vielen Familien war es auch Brauch, den Weihnachtsbaum an die Zimmerdecke zu hängen. 1860 sollen erstmals Talgkerzen einen Weihnachtsbaum in Prag erleuchtet haben und zwar im Wohnhaus der Universitätsprofessoren, dem sogenannten Alten Stockhaus in der Celetna-Gasse im Prager Stadtzentrum.

Jan Karl Liebich verstarb am 21. Dezember 1816, so dass er selbst nur vier Mal Weihnachten unter einem Weihnachtsbaum feiern konnte. In der Prager Zeitung erschien damals ein grosser Nachruf auf den Theaterdirektor:

"Am gestrigen Morgen wurde das lange Leiden unseres verdienten und allseits beliebten Direktors des Ständetheaters Karl Liebich beendet. Mit ihm hat die Welt den besten und ehrlichsten Menschen verloren, der Staat seinen bedeutensten Bürger und Patrioten, der jedes gemeinnützige Unternehmen bereitwilig unterstützte, die deutsche Kunst verlor eine ihrer grössten Zierden und all die Armen ihren wohltätigen Vater und Beschützer"

Liebich verstarb in seinem 43. Lebensjahr und scheint, wie der Prager Nachruf vermuten lässt, in Prag wirklich beliebt und geschätzt gewesen sein. Während seiner Direktorenzeit war unter anderem Karl Maria von Weber Chef der Oper des Ständetheaters, woduch diese zu den führenden in Europa aufstieg. Nach seinem Tode übernahm Liebichs Gattin für einige Jahre die Leitung des Theaters und wurde somit zu einer der ersten Theaterdirektorinnen.

Heute ist Karl Liebich vergessen, Weihnachtsbäume jedoch stehen überall in Tschechien, auch neben dem Ständetheater. Wohl kaum ein Tscheche weiss, wer diesen ursprünglich deutschen Brauch nach Böhmen brachte. Bis zum Ersten Weltkrieg war der Weihnachtsbaum in den Böhmischen Ländern allerdings nur in reicheren Bürgerfamilien und bei Adeligen anzutreffen. So sollen die Fürsten Schwarzenberg auf ihrem Schloss Orlik in Südböhmen seit den 1850er Jahren einen Weihnachtsbaum gehabt haben, unter dem stets Geschenke für die Kinder armer Familien der Nachbarschaft warteten, die diese an Weihnachten abholen durften.

Die arme Landbevölkerung stellte sich keinen Weihnachtsbaum in die Stube auf. Eine Ausnahme soll allerdings die Herrschaft des Fürsten Nostitz-Riencek in Westböhmen gebildet haben. Dessen Untertanen soll der Weihnachtsbaumbrauch so gut gefallen haben, dass die Förster zur Weihnachtszeit alle Hände voll zu tun hatten, die Tannen und Fichten im Walde vor einem illegalen Abholzen zu schützen.

Während der ersten Republik führte der Schriftsteller Rudolf Tesnohlidek einen neuen Weihnachtsbaum-Brauch ein, den sogenannten Baum der Republik, der wohltätigen Zwecken diente. Unter ihm war eine Kasse für Bedürftige aufgestellt. Dieser Brauch ist heute noch lebendig, so finden Sie u.a. auf dem Altstädter Ring oder der Prager Burg Weihnachtsbäume, unter denen Kassen aufgestellt sind, in denen für Wohltätige Zwecke und Bedürftige Geld gesammelt wird.