Der andere Blick auf die tschechische Geschichte
Tschechen und Deutschen verbindet eine lange gemeinsame Geschichte. Wie sich das Verhältnis zwischen beiden Ethnien mit dem aufkommenden Nationalismus gewandelt hat, zeigt die Ausstellung „Bedeutende Tschechen – zwischen Sprache, Nation und Staat 1800 – 1945“.
„In erster Linie geht es um Persönlichkeiten, die für das tschechische Selbstverständnis repräsentativ sind. Das sind Schriftsteller wie Božena Němcová oder Karel Čapek oder Techniker wie František Křižík. Zudem zählen auch Unternehmer wie Tomáš Baťa oder Komponisten wie Antonín Dvořák, Leoš Janáček und Bedřich Smetana zu wichtigen Persönlichkeiten in der Zeit. Das Ziel war es, einen gewissen Mix aus allen Ebenen des Kulturlebens zu schaffen. Der Inhalt der Ausstellung stellt die Beziehung dieser Persönlichkeiten zur deutschen Kultur und Sprache und auch zur Habsburgermonarchie dar. Fast alle dieser Persönlichkeiten sind in dieser Zeit aufgewachsen und hatten zum Beispiel Deutsch in der Schule. Ema Destinová arbeitete zusätzlich noch in Berlin an der Hofoper. Es gibt also die verschiedensten Bezüge.“
Neben diesen acht Persönlichkeiten werden noch die Schriftsteller Jaroslav Hašek, Josef Jungmann, Karel Hynek Mácha sowie die Maler Josef Lada und Alfons Mucha, der erste Staatspräsident der Tschechoslowakischen Republik, Tomáš Garrigue Masaryk, und der Historiker und Politiker František Palacký porträtiert. Für Wolfgang Schwarz weisen all die Personen trotz der unterschiedlichen Berufe und Leben bestimmte Gemeinsamkeiten auf.„Parallelen gibt es in der Hinsicht, dass alle früher oder später in ihrem Leben das tschechische Bewusstsein entwickelt haben. Das war in den vorhergehenden Jahrhunderten nicht immer eindeutig, da sowohl Deutsche als auch Tschechen in der Habsburgermonarchie gelebt haben. Im Grunde genommen hat ein böhmischer Landespatriotismus geherrscht – man hat sich mit der Region identifiziert. Dieser aufkommende Konflikt, zwischen Deutschen und Tschechien, welcher sich in der Mitte des 19. Jahrhunderts durchzusetzen begann, hat natürlich all die Persönlichkeiten in ihrem Leben beschäftigt und zum Nachdenken gebracht. Und jeden auf seine Art und Weise motiviert, an diesem Kampf um mehr Rechte, um eine größere Gleichberechtigung der Sprache und um eine bessere Stellung der Tschechen in der Habsburgermonarchie teilzunehmen. Das alles hat dazu geführt, dass sich ab Mitte des 19. Jahrhunderts das Kulturleben der Deutschen und Tschechen stark getrennt hat. Fast alle diese Persönlichkeiten haben dies in ihrem Leben zu spüren bekommen.“
145 Jahre aus der tschechischen Geschichte
Die Ausstellung ist derzeit in der Deutschen Schule in Prag zu sehen. Sie umfasst 145 Jahre tschechische Geschichte. Warum aber wurde genau dieser Zeitraum gewählt?„Ein Grund war etwa die Tatsache, dass Josef Jungmann, ein tschechischer Sprachwissenschaftler, zu Beginn des 19. Jahrhunderts gelebt hat. Er spielte eine zentrale Rolle für die tschechische Sprache. Und den konnten wir definitiv nicht außen vor lassen. Es ist ein relativ langer Zeitraum. Aber um eben repräsentativ abzubilden, wie die Entwicklung vonstattengegangen ist, mussten wir weiter ausholen. Ein Ziel der Ausstellung war es, die unterschiedlichen Etappen und Zielsetzungen der Zeit zu dokumentieren.“
Die einzelnen Etappen werden schon im Untertitel der Ausstellung deutlich – Sprache, Nation und Staat. Im Zeitraum von 1800 bis 1945 kämpften die Tschechen zunächst um eine stärkere Etablierung ihrer Sprache. Danach folgte der Kampf um mehr Rechte in der Habsburgermonarchie. Am 28. Oktober 1918 wurde dann die Tschechoslowakische Republik ausgerufen. Ab da an fühlte sich ein Teil der deutschen Bevölkerung fremd im gemeinsamen Staat. Letztlich wandte sich dann eine Mehrheit von ihnen Hitler zu. Die Folge war ab dem Ende des Zweiten Weltkriegs die Vertreibung der Sudetendeutschen aus der Tschechoslowakei.
„Das Ende 1945 ist natürlich ein Bruch in der böhmischen Geschichte – gerade was das Zusammenleben der Deutschen und Tschechen betrifft. Wenn ich dann an Karel Čapek denke, der kurz nach dem Münchener Abkommen gestorben ist, dann ist es auch einfach wichtig, diese Zeiträume zu bedenken und nicht etwa 1918 einen Schlussstrich zu ziehen.“Geschichte verständlich erklärt
Auch das Leben der 15 Persönlichkeiten war zum Großteil stark von den historischen Ereignissen beeinflusst. Für die Ausstellungsmacher war daher die größte Herausforderung, diese Etappen sowohl dem deutschen als auch dem tschechischen Publikum verständlich zu machen.
„Es ist nicht ganz einfach, die Texte so zu gestalten, dass sie dem Wissensstand sowohl eines Deutschen als auch eines Tschechen entsprechen. Den meisten Tschechen sind die Namen natürlich bekannt. Auf tschechischer Seite wollte ich eben vermitteln, wie sehr diese Persönlichkeiten in einer Zeit geprägt wurden, die noch durch die deutsche Sprache dominiert war, und wie stark sie trotzdem Inspirationen aus dieser Lebensumgebung empfangen haben. All das sind Spuren, die mir wichtig waren nachzugehen. Und auf deutscher Seite geht es auf einer anderen Ebene um ähnliche Dinge. Diese Persönlichkeiten, die hier präsentiert werden, sind zu einem großen Teil leider fast nicht in Deutschland bekannt. Das Ziel der Bilder und Texte war, den Deutschen zu vermitteln, dass aus den Reihen unseres Nachbarlandes mit dem wir so viele historische Verbindungen haben, auch bedeutende Persönlichkeiten entstammen. Diese Personen sind also nicht nur für die Tschechen, sondern für den gesamten Mitteleuropäischen wichtig. Das war mir ein Anliegen, dies dem deutschen Publikum zu präsentieren.“
Zwei Ausstellungen – zwei Perspektiven
Im Juni vergangenen Jahres wurde die Ausstellung erstmals gezeigt, und zwar im Tschechischen Zentrum in München. Sie knüpft an das vorherige Projekt „In Böhmen und Mähren geboren – bei uns (un)bekannt? Zwölf ausgewählte Lebensbilder“ an. Dort wurden deutschsprachige Persönlichkeiten der böhmischen Länder, Rainer Maria Rilke und Otfried Preußler, porträtiert. Auch diese Ausstellung war von Wolfgang Schwarz konzipiert worden:„Damals war das Ziel, die böhmischen und mährischen Spuren dieser Persönlichkeiten weiterzuverfolgen. Nun hat sich die Frage gestellt, wie es auf tschechischer Seite aussieht. Welche Beziehungen haben diese Persönlichkeiten wiederum zum deutschen Sprachraum und zur deutschen Kultur? Zudem war der Aspekt der Habsburgermonarchie deswegen interessant, weil ich die Ausstellung ‚Monarchie im tschechischen Nationalmuseum‘ gesehen habe. Dort wurde ein Bild der Monarchie vermittelt, das mir bis jetzt in dieser Form noch fremd war.“
Im Jahr 2015 veröffentlichte Wolfgang Schwarz zunächst ein Buch über die genannten 15 bedeutenden Tschechen. Danach folgte die Planung der Ausstellung. Der Kulturreferent hatte dabei zahlreiche Helfer.
„Mich haben viele tschechische Freunde unterstützt. Sie haben mir Inspirationen gegeben, was die Auswahl und die Textgestaltung betrifft. Besonders hervorheben möchte ich die Übersetzerinnen Zuzana Jürgens und Helena Osvaldová, die redaktionell die Texte betreut haben. Und den Petr Osvald, der die Ausstellung grafisch gestaltet hat. Zudem haben viele tschechische Germanisten und Historiker die Texte kritisch gegengelesen haben. Aber ansonsten ist es ein Projekt, das zentral im Stifterverein entstanden ist.“
Die Ausstellung „Bedeutende Tschechen – zwischen Sprache, Nation und Staat 1800 – 1945“ ist derzeit in der Deutschen Schule in Prag zu sehen. Sie läuft noch bis zum 29. März. Danach wandert sie weiter in die wissenschaftliche Bibliothek nach Olomouc/Olmütz.