Kind der Wiedervereinigung: Deutsche Schule Prag entstand vor 30 Jahren
Mit der deutschen Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 hörte die ehemalige DDR auf zu existieren. Damit verschwanden auch alle Organe und Institutionen des sozialistischen deutschen Staates. Daraus entstand viel Neues. In Prag beispielsweise zog das Goethe-Institut in das Gebäude der aufgelösten DDR-Botschaft ein, und aus der DDR-Botschaftsschule wurde die Deutsche Schule Prag. Die DSP feiert daher am Sonntag den 30. Jahrestag ihrer Gründung. Aus diesem Anlass hat Radio Prag International den heutigen Schulleiter der Deutschen Schule Prag, Clemens Rother, vors Mikrofon gebeten.
Herr Rother, seit wann sind Sie der Direktor der Deutschen Schule Prag? Und der wievielte in der Reihe der Schulleiter sind Sie in der 30-jährigen Geschichte der DSP?
„Ich bin jetzt am Beginn des dritten Jahres hier in Prag. Begonnen habe ich im August 2018. Und ich bin der siebte Schulleiter an der deutschen Schule Prag.“
Was können Sie zur Geschichte der Deutschen Schule Prag sagen?
„Die Gründung der Schule war am 4. Oktober 1990. Das ist der Tag nach der Wiedervereinigung Deutschlands und es war zugleich der erste Schultag gewesen. Vorher gab es am ehemaligen Standort im Prager Stadtteil Řepy die Botschaftsschule der DDR. In jenem Gebäude ist dann die Deutsche Schule Prag entstanden. Damals hat die Schule 26 Schülerinnen und Schüler gehabt in sechs Klassen, der erste Jahrgang, der damals eingeschult wurde, hatte zwei Schüler. Seitdem ist die Schule mächtig gewachsen. Ein wichtiges Datum ist das Jahr 2000, da ist die Begegnungsschule geschaffen worden. Das heißt, seitdem gibt es in der Schule sowohl einen deutschen Zweig als auch einen Tschechisch-sprachigen Zweig, die dann aber bis zur zehnten Klasse miteinander verknüpft beziehungsweise integriert werden. Im Jahr 2004 wurde dann neu gebaut, und die DSP ist schließlich umgezogen in ein sehr schönes neues Gebäude im Stadtteil Jinonice. Die Schule ist kontinuierlich gewachsen, wir haben jetzt ungefähr 550 Schüler und eine gute Nachfrage. Von daher müssen wir uns Gedanken machen, wie es in Zukunft weitergehen wird.“
Clemens Rother: „Ich habe vor zwei Jahren eine Schule vorgefunden, die gut funktioniert und die viel Konstanz hat. Das ist in deutschen Auslandsschulen nicht immer der Fall.“
Als Sie Ihren Dienst an der DSP im Jahr 2018 angetreten haben, was für eine Schule haben Sie da vorgefunden?
„Ich habe vor zwei Jahren eine Schule vorgefunden, die gut funktioniert und die viel Konstanz hat. Das ist in deutschen Auslandsschulen nicht immer der Fall, denn es gibt auch Schulen, an denen es des Öfteren einen Schulleiterwechsel gibt. In Prag aber haben wir eine hohe Stabilität, was auch darauf hindeutet, dass gut miteinander gearbeitet wird. Die deutschen Auslandsschulen haben ja immer diese besondere Konstruktion, dass wir einen Schulträger haben in Form eines Vereins oder einer Stiftung. Letzteres ist an der DSP der Fall. Der Schulträger wird durch einen Vorstand vertreten, hinzu kommt die Schulleitung und die Geschäftsführung der jeweiligen Schule. Diese drei Entscheidungsträger müssen unter einen Hut kommen, das funktioniert hier gut. Und das ist auch für einen neuen Schulleiter eine sehr angenehme Situation. Was die Zusammenarbeit des deutschen und des tschechischen Zweiges betrifft, ist die Schule so aufgebaut: Wir beginnen mit einem Kindergarten, in dem auch ein Teil der Schüler Deutsch lernt. Danach folgt eine deutschsprachige Grundschule. Tschechische Schüler haben die Möglichkeit, im Jahrgang fünf bei uns einen Vorkurs zu belegen, um in Deutsch so fit zu werden, dass sie dann im sechsten Schuljahr bereits in vier Fächern auf Deutsch unterrichtet werden. Wir beginnen damit, dass wir in Kunst, Musik und Sport einen gemeinsamen Unterricht auf Deutsch haben. Die tschechisch-sprachigen Schüler werden zudem in Mathematik in deutscher Sprache unterrichtet. Dann wächst das hoch bis zur zehnten Klasse. Wir haben also immer mehr Fächer, die gemeinsam auf Deutsch unterrichtet werden. Im zehnten Schuljahr werden die Klassen neu gemischt, und wir haben dann haben wir ein Deutschniveau erreicht bei den Schülern des tschechisch-sprachigen Zweiges, was wirklich ausreicht, um die zentralen Klassenarbeiten auf Deutsch zu schreiben. Dann sind sie vorbereitet, um in die gymnasiale Oberstufe zu gehen und dort das Abitur abzulegen.“
Welche Möglichkeiten hat man an der Deutschen Schule Prag, das Abitur zu erlangen?
„Die Besonderheit unserer Schule ist, dass wir sowohl das deutsche internationale Abitur anbieten, aber gleichzeitig auch im zwölften Jahrgang das tschechische Abitur für die Schüler des tschechischen Zweigs. Da haben wir einen Sonderstatus, wir sind meines Wissens die einzige Schule in Tschechien, die die Genehmigung hat, bereits im zwölften Jahrgang das tschechische Abitur abzulegen. Üblicherweise ist das erst im 13. Jahrgang der Fall. Damit das Ganze gut funktioniert, begleiten wir das durch verschiedene Begegnungsangebote. Die Schüler beginnen im sechsten Jahrgang in der zweiten Schulwoche mit einer gemeinsamen Klassenfahrt, bei der der deutsche Zweig der Altersgruppe und die neugebildete tschechische Klasse zusammen in Tschechien unterwegs sind. Dabei lernen sich beide Seiten näher kennen. Solche Fahrten sowie andere Aktionen wie gemeinsame Exkursionen und Schulprojekte finden regelmäßig statt. Wenn die Schüler dann in der zehnten Klasse komplett integriert werden, kennen sie sich also schon sehr gut und können so auch gut miteinander arbeiten.“
Rother: „Die Besonderheit ist, dass tschechische Schüler beide Abschlüsse machen können bei uns und das auch tun. Zwei hochwertige Abschlüsse im Portfolio zu haben, das ist worauf Schüler wirklich stolz sein können, und was sie auch vorzeigen können.“
Der erste Abiturjahrgang im deutschen Zweig – damals war es noch eine sogenannte Expertenschule – war meines Wissens nach der Jahrgang 1996/97. Wie viele Schüler haben die DSP seitdem in etwa mit dem Abi in der Tasche verlassen? Und: Wird mittlerweile auch das tschechische Abitur nach dem EU-Beitritt Tschechiens am 1. Mai 2004 europaweit anerkannt?
„Wenn ich vom jetzigen Stand ausgehe, haben wir zurzeit im Schnitt so um die 50 Abiturienten pro Jahrgang. Das war in vergangenen Schuljahren sicherlich weniger, das musste hochwachsen, aber eine genaue Zahl kann ich Ihnen nicht sagen. Was ich Ihnen sagen kann, ist, dass wir in der Region Mittel- und Osteuropa eine der deutschen Auslandsschulen mit den meisten Abiturienten sind. Das sehen wir als einen großen Erfolg an. Ich persönlich unterrichte häufig in der Oberstufe und finde es beachtlich, was gerade die tschechischen Schüler im Bereich der deutschen Sprache gelernt haben und was sie schon leisten können. Also an der Abiturklausur über Goethes Faust zu schreiben, ist auch für einen Muttersprachler eine ganz große Herausforderung. Das in einer erlernten Fremdsprache zu tun, verdient großen Respekt. Die Besonderheit ist wie schon gesagt, dass tschechische Schüler beide Abschlüsse machen können bei uns und das auch tun. In den letzten Jahren sind die Prüfungen zudem hervorragend absolviert worden. Das bedeutet eine Menge zusätzliche Arbeit, die da zu leisten ist, weil zu den deutschen Abiturprüfungsfächern kommen für diese Schüler noch die tschechische Sprache und Literatur als Prüfungsfach mit dazu. Grundsätzlich ist es so, dass beide Abschlüsse – das deutsche und das tschechische Abitur – anerkannt sind in der Europäischen Union. Im Prinzip könnte man auch sagen, es würde für unsere Schüler ausreichen, wenn sie nur das deutsche internationale Abitur machen. Ich sage aber immer: Zwei hochwertige Abschlüsse im Portfolio zu haben, das ist worauf Schüler wirklich stolz sein können, und was sie auch vorzeigen können.“
Jeder Schulleiter hat seine eigenen Vorstellungen, wie man eine Schule führen und wonach man sie ausrichten sollte. Was sind Ihre Prioritäten? Was genau haben Sie sich für Ihre Amtszeit in Prag vorgenommen?
„Zum einen haben wir ja den Anspruch, exzellente Bildung zu bieten. Den Exzellenzstatus bekommt man dabei, wenn man in Schulinspektion gut abschneidet. Aber das ist nicht das Bildungsziel, das wir haben, sondern wir wollen tatsächlich guten Unterricht anbieten. Wir wollen Schüler am Ende entlassen, die bei uns viel gelernt haben, leistungsstark sind, und gut auf die Berufs- oder Studienwelt vorbereitet sind. Der besondere Anspruch, den deutsche Auslandsschulen haben, ist, bei den Schülern ein hohes Maß an Eigenständigkeit, Urteilsfähigkeit, an Toleranz und Demokratiefähigkeit zu entwickeln. Das ist auch mein persönliches Anliegen. Ich will eine demokratische Schule, in der Schüler nationale wie auch europäische Demokratie kennenlernen. Und das beginnt für mich in Partizipationsansätzen in der Schule. Wir haben uns also in den letzten Jahren besonders bemüht, die Schülervertretung sehr zu stärken und einzubeziehen in den Prozess, Demokratie zu lernen, Das wollen wir fortführen. Obwohl ich kein Naturwissenschaftler bin, ist es mir persönlich ein Anliegen, auch die Naturwissenschaften zu stärken. Deutsche Auslandsschulen sind traditionell sehr stark auf Sprachen ausgerichtet. Das ist klar, es soll Deutsch gelernt werden, damit Schüler in Deutschland studieren können. Ich denke aber, dass die Herausforderung, die wir in den nächsten Jahren haben, einfach auch gut ausgebildete Naturwissenschaftler erfordert. Mir ist es wichtig, das mit zu unterstützen und an unserer Schule weiterzuentwickeln. Und ein weiterer Punkt, der sich jetzt eigentlich zwangsläufig ergeben und vor allem beschleunigt hat, ist der Bereich der Digitalisierung. Sie wissen vielleicht, in Deutschland gibt es eine Diskussion, dass die deutschen Schulen im Vergleich zu anderen europäischen Schulen oder auch weltweit hinterherhinken im Bereich der Digitalisierung. Wir sind an der Deutschen Schule Prag sicherlich weiter als viele deutschen Inlandsschulen, aber das ist ein Bereich, den wir in den nächsten Jahren vorantreiben wollen. Und zwar nicht nur, damit die Schüler fit werden für eine digitale Zukunft und für die Nutzung digitaler Medien in ihren Berufen, sondern es geht auch darum, neue Chancen für den Unterricht zu gewinnen. Es geht also darum, den Unterricht weiterzuentwickeln durch das, was uns digitale Medien ermöglichen.“
Rother: „Ich will eine demokratische Schule, in der Schüler nationale wie auch europäische Demokratie kennenlernen. Und ich will die Herausforderung unterstützen, gut ausgebildete Naturwissenschaftler zu haben.“
Kommen wir nochmals zum Anlass meines Gesprächs mit Ihnen zurück, nämlich 30 Jahre Deutsche Schule Prag. Wegen der Corona-Pandemie musste die Schulfeier zu diesem Jubiläum leider abgesagt werden. Wird sie nun lediglich verschoben oder ist ein anderer Ersatz geplant?
„Das war für uns schmerzhaft. Wir hatten große Pläne für unser Schuljubiläum. Wir hatten schon viele Ideen entwickelt, es sollte eine Projektwoche mit den Schülern unter dem Thema ‚30 Jahre DSP – 30 Jahre Demokratie und Freiheit in Europa‘ stattfinden. Das alles war dann in der geplanten Weise nicht möglich. Aber mittlerweile gibt es einen neuen Plan. Wir werden unser Jubiläum digital feiern, also zeitgemäß, Wir beginnen am 9. November, es ist das Datum des Mauerfalls in Deutschland, und werden bis zum 17. November, dem Jahrestag der Samtenen Revolution, ein Programm anbieten unter der Überschrift ‚30 x 30‘. Wir wollen dabei über das Internet 30 Angebote machen zu je 30 Minuten. Dazu wollen wir ehemalige Schüler, Lehrer und Angestellte befragen zur Geschichte der Schule oder aber Dinge aus der Schule zeigen. Wir können uns vorstellen, einen kleinen Tschechisch-Kurs für Anfänger anzubieten sowie auch einen Deutschkurs. Wir können uns alles Mögliche vorstellen, wie unter anderem musikalische Darbietungen von Schülerinnen und Schüler. Wir sind gerade dabei, das zu konzipieren und suchen nach Mitstreitern. Wir wollen Podiumsdiskussionen veranstalten und Leute vielleicht zu Vorträgen motivieren. So werden wir im Zeitraum vom 9. bis 17. November eigentlich täglich Angebote in deutscher und tschechischer Sprache haben, zu denen sich Interessierte einfach zuschalten und sich das Ganze anschauen können. Das Programm werden wir dann ein stückweit archivieren, so dass es auch später wieder genutzt werden kann. Das ist der Plan, den wir haben, und den wir jetzt umsetzen wollen. Wir werden am 9. November eine Art von digitalem Festakt als Einstieg haben und am 17. November sicherlich auch einen würdigen Abschluss. Wir sind sehr gespannt darauf. Die Corona-Lage fordert uns immer wieder zu kreativen Lösungen und ich denke, wir haben jetzt eine gefunden, die funktionieren sollte. Und wir freuen uns, also auf diese Weise unser Jubiläum feiern zu können.“