Der erweiterte Heimmarkt - Michael Angerer, Handelsdelegierter aus Österreich

Michael Angerer ist Handelsdelegierter der österreichischen Wirtschaftskammer und damit auch Handelsrat der österreichischen Botschaft in Prag. Als solcher kümmert er sich um die tschechisch-österreichischen Wirtschaftsbeziehungen, berät Unternehmen auf ihrem Weg über die Grenze und versucht so, die Beziehungen zwischen den beiden Nachbarländern voranzubringen. Gerald Schubert hat Angerer in seinem Prager Büro besucht.

Michael Angerer  (Foto: www.austriantrade.org)
Herr Angerer, Sie sind Handelsrat der österreichischen Botschaft in Prag, gleichzeitig aber auch österreichischer Handelsdelegierter und somit sozusagen Emissär der österreichischen Wirtschaftskammer. Können Sie diese beiden Funktionen für uns einander gegenüberstellen?

"In anderen Ländern ist es üblich, dass Wirtschaftsangelegenheiten direkt im Rahmen der Botschaften ausgeübt werden. In Österreich gibt es eine spezielle Regelung: Zwischen der Wirtschaftskammer, also der Vertretung aller österreichischen Unternehmen, und dem österreichischen Außenministerium wurde vereinbart, dass Außenwirtschaftsfragen von der Wirtschaftskammer im Ausland vertreten werden. Dafür wurde ein Netz von Außenhandelsstellen eingerichtet, deren Aufgabe es ist, österreichischen Unternehmen im Ausland Unterstützung anzubieten. Meine Tätigkeit besteht also darin, österreichische Unternehmen hier in Tschechien zu unterstützen."

Wie kann das konkret aussehen? Vermitteln Sie österreichischen Unternehmern in Tschechien Handelspartner? Oder bieten Sie Unternehmen, die hier eine Tochterfirma gründen wollen, Rechtshilfe? Welche Aspekte gibt es?

"Das ist es ein sehr weit gefächertes Spektrum, zwei Beispiele haben Sie gerade angedeutet. Es fängt mit dem Markteintritt an, mit der Suche nach einem Geschäftspartner. Aber mit dieser Suche allein ist es ja in der Regel nicht getan, es müssen viele Fragen rundherum geklärt werden: Marketingfragen, Rechtsfragen und - wenn es um die Gründung einer Niederlassung geht - auch Fragen steuerlicher und sozialversicherungsrechtlicher Art. Wir bieten individuelle Gesamtpakete an, aber wir legen auch Informationen auf, um den Firmen einen Lesestoff in die Hand zu geben, auf dem sie ihre Fragen dann konkreter aufbauen können."

Kommen wir zu konkreten Wirtschaftsfeldern: Gibt es Bereiche, in denen Österreicher in der Tschechischen Republik besonders stark vertreten sind?

"Traditionell sind wir bei allem, was mit Industrieausstattung zusammenhängt, stark vertreten. Dabei profitieren wir natürlich auch sehr stark vom Investitionsboom, den wir in Tschechien zurzeit erleben. Das betrifft vor allem Metall-, Holz- und Kunststoffbearbeitung. In allen Industriesparten ist Österreich hier 'zu Hause'. Wir unterstützen aber auch Firmen, die Materialien für diese Industrien liefern. Und in letzter Zeit - das hängt mit der steigenden Kaufkraft in Tschechien zusammen - bemühen wir uns vermehrt, auch Firmen im Konsumgüterbereich, also etwa im Bereich Lebensmittel, zu unterstützen. Auch da sehen wir schon gewisse Erfolge."

Sie sind ja, wie bereits erwähnt, auch Handelsrat der österreichischen Botschaft. In welchem Verhältnis steht für Sie momentan die Politik zum konkreten Wirtschaftsleben, das sich zwischen beiden Ländern abspielt? Beginnen wir mit der Europäischen Union: Was waren denn rund um den 1. Mai 2004, also rund um das Datum des tschechischen EU-Beitritts, die markantesten Zäsuren?

"Der 1. Mai 2004 ist ein Schritt, der im Wesentlichen schon 1989 mit dem Fall des Eisernen Vorhangs eingeleitet wurde. Der erste große Schritt für unseren bilateralen Handel war die Öffnung des tschechischen Marktes, weg von der Planwirtschaft, hin zum freien Handel. Seit damals gibt es die große Expansion der österreichisch-tschechischen Wirtschaftsbeziehungen, und im Anschluss daran natürlich auch das große Interesse österreichischer Firmen, in Tschechien zu investieren - in den Bereichen Vertrieb, Produktion und bei diversen Serviceleistungen, wie zum Beispiel bei den Banken. Als man wusste, dass Tschechien zur EU kommt, hat sich dies alles natürlich noch wesentlich verstärkt. Das war vielleicht noch markanter als der 1. Mai 2004 selbst, wo das Ganze dann durch das Wegfallen des Zolls noch demonstrativ bestätigt wurde. Gerade für die Wirtschaft hat aber natürlich auch das eine enorme Erleichterung gebracht. Erst jetzt kann man eigentlich vom erweiterten Heimmarkt sprechen, den wir Österreicher in Tschechien und die Tschechen in Österreich haben. Das sehen wir auch an der sehr starken Zunahme unseres bilateralen Handels. Tschechien ist für uns bereits der siebtwichtigste Handelspartner, und aus österreichischer Sicht auf Importseite der viertwichtigste. Also auch tschechische Firmen haben in Österreich sehr große Erfolge."

Die offizielle Politik ist natürlich daran interessiert, die beiderseitigen Wirtschaftsbeziehungen zu verbessern. Aber kaum ein Interview mit einem Österreicher, ohne auch auf die Schattenseiten einzugehen: Es gibt ja einige Punkte, die immer wieder für Diskussionen sorgen, sei es vonseiten der jeweiligen Regierungen oder der jeweiligen Oppositionen - Stichwort Benes-Dekrete und Temelin. Haben Sie den Eindruck, dass das die Leute, die aktiv Handel treiben wollen, überhaupt noch interessiert? Oder sind das tatsächlich Diskussionen, die zu Lasten der Wirtschaft gehen können?

"Diese beiden Themen haben zur Unterstützung des Handels sicher nicht positiv beigetragen Aber der Handel denkt praktischer. Das Wirtschaftsleben ist auch relativ gut über die schwierige Zeit gekommen, die glücklicherweise vorbei ist, und verzeichnete auch damals ein Wachstum. Aber natürlich unterstützen eine politisch reibungslose Beziehung und ein günstiges Gesamtumfeld auch die Wirtschaft."

Handel und Wirtschaft, das sind nicht nur Zahlen, Bilanzen und der Austausch von Gütern, sondern das sind auch die Menschen zu beiden Seiten der Grenze, die miteinander kommunizieren und zusammen arbeiten. Stoßen Sie bei Ihrer Tätigkeit manchmal auf Barrieren in der Mentalität, die noch überwunden werden müssen, um den Handel schwunghafter zu gestalten?

"Als in Tschechien lebender Ostösterreicher sehe ich vor allem die Gemeinsamkeiten mit unseren tschechischen Nachbarn. Aus meiner Sicht sind die Unterschiede sehr stark geprägt durch die politischen Systeme in der Vergangenheit. Das sehen wir auch in der Zusammenarbeit mit Angehörigen der älteren bzw. der jüngeren Generation in Tschechien. Deren Haltungen sind oft recht unterschiedlich, und aus unserer Sicht reagiert die ältere Generation vielleicht nicht immer verständlich. Aber auch da gibt es große Fortschritte. Es ist bewundernswert, wie sich Tschechien und die tschechische Bevölkerung in dieser so kurzen Zeit von etwa 15 Jahren auf das neue Leben einstellen konnten. Natürlich gibt es aber in Tschechien auch regionale Unterschiede, was das Verhalten der Unternehmen betrifft. Etwa zwischen Prag, wo große, modern strukturierte Unternehmen zu Hause sind, und Regionen, wo das nicht so der Fall ist."