Der Euro, der Euro und noch mal der Euro
Die Krise der europäischen Gemeinschaftswährung war das alles beherrschende Thema der tschechischen Zeitungskommentare dieser Woche. Ausführlich kommentiert wurde aber auch die Abberufung von Jiří Pernes als Leiter des Instituts für das Studium totalitärer Regime.
Moderator: Patrick, die Krise in Griechenland hat auch den Euro stark in Mitleidenschaft gezogen. Die Europäische Union - oder vielmehr die Eurozone - hat zu Wochenbeginn ein gigantisches Rettungspaket für die angeschlagene Gemeinschaftswährung beschlossen. Umfang: 750 Milliarden Euro.
Patrick Gschwend: Ja, eine schier unvorstellbare Summe. Und Tschechien ist an der Finanzierung beteiligt, wenn auch nur indirekt und auch nur marginal.
Moderator: Nun hat Tschechien ja noch seine eigene Währung, die Krone. Schon jahrelang wird darüber gestritten, wann auch hier der Euro eingeführt werden soll. Unter dem Eindruck der Krise hat man es derzeit sicher nicht mehr so eilig, oder?P.G.: Ja, zur Zeit mehren sich auch wieder die Stimmen, die fragen, ob man den Euro überhaupt einführen soll. Auch unter den Kommentatoren. Ich beginne mal mit Vladimír Pikora. Er ist Analytiker der Gesellschaft Next Finance und hat einen Gastkommentar in der Mladá fronta dnes geschrieben:
„Der Blick auf die Finanzmärkte erinnert in den letzten Tagen an einen riesigen Brand, der sich von Athen bis nach Brüssel ausbreitet. Alle sehen, dass aus dem Euro ein brennendes Haus geworden ist, das vielleicht bald in sich zusammenstürzt wie ein Kartenhaus. Nur ein Wahnsinniger würde in ein solches Haus einziehen wollen. Und trotzdem reden die tschechischen Politiker immer noch darüber, wann wir den Euro einführen.“
Auch Milan Vodička, ebenfalls Mladá fronta dnes, bemüht das Bild des Brandes. Er sieht nicht nur den Euro, sondern die gesamte EU bedroht:„In Griechenland begann Europa, jetzt sieht es so aus als könnte dort auch das Ende der EU beginnen. Zumindest so, wie wir sie kennen. Griechenland ist nämlich ein absoluter Klassiker: alle schauen interessiert auf den einen brennenden Baum und sehen nicht, dass schon der ganze Wald brennt.“
Moderator: Bleiben wir erst mal beim Euro. Denn ihn nicht einzuführen, wie jetzt überall lautstark gefordert wird, ist ja nicht so einfach, wie man meint. Die neuen EU-Mitgliedsländer, also auch Tschechien, haben sich seinerzeit in den Beitrittsverträgen dazu verpflichtet den Euro einzuführen.
P.G.: Eben. Darüber lässt sich auch Julie Hrstková in der wirtschaftlich ausgerichteten Hospodářské noviny aus. Sie kritisiert, dass die Eurozone derzeit ihre Regeln ändert, und zwar ohne die Länder, die den Euro noch nicht haben, aber verpflichtet sind ihn irgendwann einzuführen. Sie schreibt:„Es ist nun schon angebracht zu fragen, ob es nötig ist, sich zu beeilen dorthin, wo über uns ohne uns entschieden wird. Ob wir uns beeilen sollen in eine Gruppierung, die eine andere ist als die, in die wir einst wollten und der wir uns beim EU-Beitritt verpflichtet haben.“
Moderator: Wie werden denn die Rettungsmaßnahmen für den Euro als solche bewertet?
P.G.: Dazu hat die Hospodářské noviny einen Experten kommentieren lassen, nämlich Luděk Niedermayer, den ehemaligen Vizegouverneur der Tschechischen Nationalbank. Er hält die eingeleiteten Maßnahmen für den „besten und billigsten Weg aus der Krise“. Die eigentliche Herausforderung aber sieht Niedermayer woanders. Ich zitiere ihn:
„Die Finanzminister der EU sollten jetzt nicht bloß das beste Schema finden, wie möglichen zukünftigen Nachfolgern Griechenlands zu helfen ist, sondern vor allem, wie man sicherstellt, dass in der EU erst gar keine weiteren Anwärter auf eine vergleichbare Hilfe mehr entstehen.“
Moderator: Nun würde ja Brüssel in Zukunft gerne die Haushalte der einzelnen Mitgliedsländer stärker kontrollieren. Aber da regt sich großer Widerstand selbst in traditionell EU-freundlichen Ländern wie Deutschland.
P.G.: Ja, soweit soll die europäische Integration dann offenbar auch nicht gehen, dass man sich ins eigene Finanzgebaren hineinreden lassen möchte. Den Wunsch Brüssels, den EU-Ländern mehr ins Portemonnaie zu schauen, hält auch Jiří Franěk in der Právo für schlecht. Trotzdem hält er die Idee einer gemeinsamen Währung nicht für vergebens. Und Franěk weist - ganz abgesehen vom Geld - noch auf einen anderen Aspekt der europäischen Integration hin:„Es gibt da noch etwas, an das man erinnern muss. Das ist die scheinbare Selbstverständlichkeit des Friedens auf unserem kleinen Kontinent, auf dem bis vor kurzem jede Generation zumindest einen schrecklichen Krieg erlebt hat. Es geht zwar nur um ein ‚Nebenprodukt’ der Integrationsbemühungen, aber sicherlich ein wichtigeres als der Euro.“
Moderator: Patrick, wir haben jetzt lange genug über den Euro gesprochen. Du hast eingangs gesagt, du hättest noch etwas zur Abberufung von Jiří Pernes als Leiter des Instituts für das Studium totalitärer Regime.
P.G.: Ja, habe ich. Mit Pernes’ Abberufung endet ein monatelanger Streit um seine Person.
Moderator: Vielleicht kurz zur Erinnerung: Noch bevor Pernes Anfang April die Führung des Instituts für das Studium totalitärer Regime übernommen hat, kam heraus, dass er Ende der 80er Jahre Kurse in Marxismus-Leninismus besucht hatte. Für viele unerhört, gerade auch für viele Mitarbeiter des Instituts, das ja vor allem die Verbrechen der kommunistischen Vergangenheit aufarbeiten soll. Nun ist Pernes also nach nur anderthalb Monaten als Institutschef abberufen worden. Der Grund ist aber ein anderer: Pernes soll in einem seiner Bücher abgeschrieben haben aus einer Diplomarbeit aus dem Jahre 1958.
P.G.: Diese Plagiatsvorwürfe waren der letzte Auslöser für Pernes’ Ende, das stimmt. Aber man darf wohl behaupten, dass Pernes die Diskussionen um sein Verhalten in kommunistischer Zeit mehr geschadet haben. Und diese Diskussionen hat auch Luděk Navara in seinem Kommentar in der Mladá fronta dnes aufgegriffen. Ich zitiere:„Eigentlich ähnelt die persönliche Geschichte von Pernes sehr der gesamten jüngeren tschechischen Geschichte: Erst wissen wir über sie (beziehungsweise über ihn) fast nichts. Aber dann beginnen wir sonderbare Informationsschnipsel zu erfassen. Ja, das alles ist Geschichte. Aber alte Sünden haben lange Schatten.“
Für Navara stellt sich aber vielmehr die Frage, wie die Geschichte zu bewerten ist. Denn die einen halten Pernes Vorgeschichte für unverzeihlich, während andere wiederum finden, da sei doch nichts dabei. Navara schreibt also weiter:
„Über die Vergangenheit von Jiří Pernes haben wir so wenig gewusst, weil wir zu wenig über unsere gesamte moderne Geschichte wissen. Das ist die Schlüsselbotschaft, die uns die Causa Pernes anbietet. Darüber hinaus können wir nicht einmal das bisschen, was wir wissen, zweifelsfrei auswerten.“
Moderator: Navara hat also eher den Blick für das große Ganze. Die Causa aber hat sicher nicht nur Pernes selbst, sondern auch dem Institut für das Studium totalitärer Regime geschadet. Gab es dazu Kommentare?
P.G.: Ja, Petr Uhl hat das in der Právo kommentiert. Und zwar wie folgt:
„Die Abberufung von Jiří Pernes ist keine tödliche Krankheit des Institutes, eher nur ein plötzlicher Gehirnschlag. Der Streit zwischen dem politischen Konzept des früheren Leiters Pavel Žáček und der Vorstellung von einer wissenschaftlichen Einrichtung, wie sie Jiri Pernes vertrat, wird damit nicht wieder belebt. An Žáček erinnert sich heute schon niemand mehr, zumindest nicht laut. Deshalb bleiben auch die Hoffnungen, dass sich das Institut für das Studium totalitärer Regime wandelt in eine mehr fachbezogene Einrichtung.“Moderator: Der neue Leiter Zdeněk Hazdra hat ja schon angekündigt, dass er in diesem Punkt, den Kurs von Pernes weiterverfolgen will.
P.G.: Genau. Und Enthüllungen über seine Vergangenheit im Kommunismus muss Hazdra kaum fürchten. Er ist nämlich erst 27.