Der „europäische Humanist“ Přemysl Pitter in einer Ausstellung in München und vier tschechische Literaten bei der Karlsruher Bücherschau
Das Tschechische Zentrum München zeigt eine Ausstellung über das Leben und Werk Přemysl Pitters, der während der Nazi-Okkupation und nach Kriegsende in seinen Kinderheimen hunderten Kindern geholfen hat - unabhängig von ihrer Nationalität und ihres Glaubens. Das Zentrum lädt aber auch nach Karlsruhe ein: Tschechien ist Gastland bei der 29. Karlsruher Bücherschau, und vier tschechische Autoren lesen dort aus ihren aktuellen Werken. Dazu mehr in einem Interview mit Zuzana Jürgens, der Leiterin des Tschechischen Zentrums in München.
Frau Jürgens, in der Programm-Ankündigung des Tschechischen Zentrums wird auf eine Ausstellung über Přemysl Pitter hingewiesen. Sie läuft seit Mitte Oktober und ist noch eine Woche zu sehen. Die Ausstellung heißt „Europäischer Humanist Přemysl Pitter“. Wer war Přemysl Pitter und worin bestand sein Humanismus?
„Zunächst möchte ich sagen, dass diese Ausstellung in Zusammenarbeit mit dem Pädagogischen Museum Jan Amos Komenský in Prag und mit der Ackermann-Gemeinde in München entstanden ist. Wir freuen uns sehr, dass wir sie zeigen können, weil Přemysl Pitter in Deutschland eigentlich weitgehend unbekannt ist. Ich denke, vor einigen Jahren war dem auch in Tschechien so, das hat sich aber eben dank der Tätigkeit des Museums und anderer Institutionen verändert. Als Humanisten bezeichnen wir Přemysl Pitter wegen seiner unparteilichen Fürsorge für Menschen, die ein schweres Schicksal hatten, unabhängig von ihrer Herkunft und ihrem Glauben. Er selbst war gläubig, evangelisch, aber das war für ihn eigentlich nur richtunggebend, wie er sein Leben führen sollte. Es diente ihm aber keineswegs dazu, zu urteilen und die Menschen zu teilen. Daher also war er auf jeden Fall Humanist.“
Wie hat konkret seine Hilfe ausgesehen?„Er hat bereits in den 1930er Jahren im Prager Stadtteil Žižkov das so genannte Milíčův dům, das Milíč-Haus eröffnet, in dem Kinder aus sozial schwierigen Verhältnissen betreut wurden. In diesem Zusammenhang ist sicher interessant, dass auch die erste Ehefrau von Ex-Präsident Václav Havel, Olga Havlová, damals in dieses Milíč-Haus ging. Während des Krieges hat sich Pitter dann darum gekümmert, dass einige Kinder jüdischen Glaubens gerettet wurden und nicht ins KZ kamen. Vielleicht am bekanntesten ist seine Tätigkeit nach dem Zweiten Weltkrieg. In jener Zeit hat er tschechische, deutsche und jüdische Kinder, die hilfebedürftig waren, in fünf Schlössern in der Umgebung von Prag versammelt. Es waren nicht nur jüdische Kinder, die eben aus den KZs zurückgekommen waren und gesundheitlich angeschlagen waren, sondern zum Teil auch deutsche Kinder, die während der Vertreibung aus der Tschechoslowakei ihre Eltern aus den Augen verloren hatten, aber auch tschechische Kinder. Sie waren alle zusammen in diesen Häusern untergebracht, sie wurden ernähert, es wurden zudem in der Schweiz Spendeaktionen zu Gunsten dieser Kinder organisiert.“
Das ist ein beachtliches Werk. Sie haben selbst gesagt, dass er auch in Tschechien früher kaum bekannt war. Wie war sein weiteres Schicksal nach dem Krieg? Warum ist über sein Leben und Werk bis vor kurzem noch kaum etwas bekannt gewesen?„Pitter musste nach der kommunistischen Machtergreifung vom Februar 1948 das Land verlassen und lebte bis zu seinem Tod im Exil in der Schweiz. Er war zwar für Radio Freies Europa tätig, aber lebte eben nicht in der Tschechoslowakei. In seiner Heimat durfte man über das, was er geleistet hatte, nicht sprechen. Ich denke, Přemysl Pitter ist sicherlich bis heute nicht die einzige Persönlichkeit, die heutzutage in Tschechien wenig bekannt ist, eben weil er das Land verlassen musste, weil er im Exil lebte. Ich denke, da warten noch weitere Schicksale und Personen auf ihre Entdeckung.“
Das Schicksal von Přemysl Pitter wurde bereits entdeckt und wird dank der Ausstellung geschildert. Was zeigt die Ausstellung konkret?
„Die Ausstellung zeigt seinen Lebensweg von Anfang an bis zu den Jahren im Schweizer Exil. Sie wird von Zitaten aus seinen Texten begleitet. Und ein Teil der Ausstellung ist seiner Lebensgefährtin Olga Fierz gewidmet. Sie war eine Schweizerin, die in den 1930er Jahren nach Tschechien kam und dort Přemysl Pitter kennengelernt hat. Sie hat auch anschließend in der Schweiz mit ihm sein Werk mitgestaltet.“
Die Ausstellung wurde anlässlich seines 115. Geburtstags vorbereitet und wurde bereits in Prag, Nürnberg und München gezeigt. Wird sie noch weiter reisen, oder gibt es nun in München die letzte Möglichkeit, sie zu sehen?
„Erstmal ist es die letzte Station, aber wir schauen uns nach weiteren Möglichkeiten um, eben auch gerade in der Schweiz. Es würde uns sehr freuen, sie auch dort zu zeigen, aber im Moment kann ich noch nichts Genaueres sagen. Leider.“
Im Rahmen der Ausstellung haben Sie auch einen Zeitzeugen ins Tschechische Zentrum München eingeladen, nämlich eines der von Pitter geretteten Kinder. Der Journalist und Autor Pavel Kohn, Jahrgang 1929, wird am kommenden Dienstag an Pitter erinnern und sogar ein Buch vorstellen…
„Pavel Kohn ist auch eine sehr interessante Person, und auch er ist in Tschechien wenig bekannt. Er gehört zu den Kindern, denen Pitter nach dem Krieg geholfen hatte. Kohn selbst hat als einziger seiner Familie die KZs Theresienstadt und Auschwitz überlebt. Er war dann in einem der Heime von Pitter untergebracht. Er hat noch in der Tschechoslowakei Dramaturgie studiert. Da er sich aber politisch verfolgt fühlte, emigrierte er bereits 1967, also noch vor der Emigrationswelle nach 1968, nach Deutschland. Dort arbeitete er bei Radio Freies Europa. Heute lebt er bei München. Er hat eine Biographie über Přemysl Pitter geschrieben, sie heißt ´Mein Leben gehört nicht mir´, und er wird diese Biographie bei uns am 15. November vorstellen. Ich möchte in diesem Zusammenhang noch sagen, dass auch bei der Vernissage eine Zeitzeugin dabei war, eine deutsche Zeitzeugin, sie gehörte zu den Kindern deutscher Abstammung, die Přemysl Pitter zu sich geholt hatte. Es war auch ein sehr interessantes und zum Teil sehr rührendes Gespräch. Mich hat es sehr beeindruckt. Ich vermute, es ist bei Pavel Kohn auch so, dass Přemysl Pitter und Olga Fierz diese Kinder offensichtlich nachhaltig beeinflusst haben durch das, was sie gemacht haben und durch ihre Denkweise. Dadurch, dass sie ohne Unterschiede zu machen, einfach dort tätig waren, wo es notwendig war.“Ein anderer Erinnerungsabend findet am 24. November statt. Dabei geht es nicht um Přemysl Pitter, sondern um den Prager deutschen Schriftsteller Franz Werfel. Wer wird an ihn erinnern und bei welchem Anlass?„Es handelt sich um einen Vortrag von Dolf Schwarz. Er ist Germanist und tritt regelmäßig im Tschechischen Zentrum auf, mit Vorträgen über Prager deutsche Literatur. Diesmal widmet er sich Franz Werfel und seinem ersten Gedichtband ´Der Weltfreund´, der genau vor 100 Jahren erschienen ist. Das ist der konkrete Anlass, und mir gefällt sehr, dass der Augenmerk nicht auf die bedeutenden großen Romane gerichtet wird, sondern auf dieses erste und kleinere Werk, das einen sehr bedeutenden und vielaussagenden Titel trägt: ´Der Weltfreund´.“
Über Franz Werfel sind wir zur Literatur gekommen. Im Programm stehen auch die Namen der tschechischen Autoren Topol und Borkovec. Die tschechische Sprache erklingt aber nicht direkt in München, sondern bei der 29. Karlsruher Bücherschau…„Tschechien ist dieses Jahr Gastland bei der Bücherschau in Karlsruhe, die bereits begonnen hat. Während des ganzen Monats, in dem die Bücherschau läuft, werden dort insgesamt vier tschechische Autoren vorgestellt: Markéta Pilátová, Petr Borkovec, Radka Denemarková und Jáchym Topol. Es freut uns sehr, dass es in Karlsruhe diesen Schwerpunkt gibt. Ich würde gerne jeden, der es nach Karlsruhe nicht weit hat, herzlich einladen. Über die genauen Daten kann man sich auf den Webseiten der Bücherschau selbst informieren: Jeweils der Dienstagabend ist einem tschechischen Autor, einer tschechischen Lesung gewidmet.“