Der Fall Parkanová und die parlamentarische Immunität in Tschechien
In der vergangenen Woche wurde die stellvertretende Vorsitzende des tschechischen Abgeordnetenhauses, Vlasta Parkanová, ihrer parlamentarischen Immunität enthoben. Eine deutliche Mehrheit der Abgeordneten stimmte dafür, die Politikerin der mitregierenden rechtsliberalen Partei Top 09 der Justiz zu überantworten. Doch vor allem Parkanovás Parteikollegen halten die Entscheidung für falsch und behaupten, das Prinzip der parlamentarischen Immunität habe dadurch Schaden erlitten. Wie ist die Abgeordnetenimmunität in Tschechien geregelt und ist sie nun wirklich beschädigt worden?
Die rechtliche Seite des Falls ist durchaus verzwickt. Viele von Parkanovás parlamentarischen Kollegen, die am Mittwoch vergangener Woche über die Aufhebung der Immunität der Abgeordneten entscheiden mussten, waren im Zweifel. Manche lösten dieses Dilemma, indem sie gar nicht erst an der Abstimmung teilnahmen. Dennoch war das Ergebnis deutlich für die Aufhebung der Immunität: 117 Abgeordnete stimmten dafür, 45 dagegen. Das Ergebnis zeigte: Auch viele Regierungsvertreter hatten sich für die Aufhebung der Immunität ausgesprochen.
Im Fall Parkanová geht es um eine Regierungsentscheidung. 2009 sprach sich die gesamte Regierung dafür aus, Armee-Transportflugzeuge vom Typ Casa anzuschaffen. Parkanová hatte als Verteidigungsministerin den Kauf vorbereitet, zum Zeitpunkt der Abstimmung war sie allerdings schon nicht mehr im Amt. In der Folge zeigte sich jedoch, dass Tschechien für die Maschinen im Vergleich mehr gezahlt hatte als andere Staaten. Zudem haben die Flugzeuge technische Mängel, erst vor einigen Wochen konnte das Problem behoben werden. Und außerdem wurde wohl die Reichweite der Flugzeuge nicht ausreichend bedacht: Der Transport nach Afghanistan lässt sich beispielsweise nur mit einem Tankstopp bewältigen. Ein unvorteilhafter Kauf also.Dem tschechischen Staat soll daher ein Schaden von umgerechnet 27 Millionen Euro entstanden sein. Laut der Polizei trägt Parkanová daran eine wichtige Mitschuld, deswegen soll sie sich vor Gericht verantworten. Die Polizei wirft Parkanová vor allem vor, dass sie keinen Preisvergleich anfertigen ließ. Doch sie selbst sagt, sie habe das dem Gesetz nach gar nicht machen müssen.
Bei der Debatte im Abgeordnetenhaus über die Aufhebung von Parkanovás Immunität kam die Abgeordnete selbst sehr ausführlich zu Wort. Fast eine Stunde lang verteidigte sie sich.
„Ich lehne jegliche Bezichtigung einer Straftat ab. Zugleich behaupte ich, dass der Antrag der Polizei auf meine Herausgabe an die Justiz keinen einzigen glaubwürdigen Beweis enthält, dass die Casa-Maschinen überteuert waren und der Tschechischen Republik einen Schaden entstanden ist“, führte Parkanová als zentrales Argument an.
Sehr vehement wurde Parkanová bei der Debatte von ihrem Parteikollegen Miroslav Kalousek unterstützt, dem tschechischen Finanzminister. Beide – Parkanová und Kalousek – behaupteten im Abgeordnetenhaus, dass der Antrag der Polizei auf Aufhebung der Immunität Unwahrheiten enthalte. Kalousek sagte sogar, dass hier ein wildgewordener Staatsanwalt am Werk sei und Parkanová nun der Willkür der Strafverfolgungsbehörden ausgesetzt werde. Dies aber verstoße gegen den Schutzaspekt durch die Immunität, so Kalousek:„Auch wenn de jure die parlamentarische Immunität in der tschechischen Verfassung morgen noch weiter bestehen wird, wird sie durch die Abstimmung praktisch aufhören zu existieren – zumindest in dieser Legislaturperiode und in diesem Abgeordnetenhaus.“
Die parlamentarische Immunität hat sich mit der Entwicklung der Demokratie in den vergangenen 150 Jahren als Recht herausgebildet. Aber auch schon im Alten Rom genossen die Volkstribune einen bestimmten Schutz. Mit der Immunität soll vor allem das Parlament als gewählte legislative Institution geschützt und die Redefreiheit der Abgeordneten garantiert werden. Doch in Tschechien bestehen bestimmte Eigenheiten, wie der Verfassungs- und Staatsrechtler Václav Pavlíček von der Prager Karlsuniversität im Tschechischen Fernsehen erläuterte:
„Bei uns besteht das Problem, dass die Grundsätze im Vergleich zu den meisten anderen EU-Staaten auf sehr unübliche Weise formuliert sind. Die Immunität wird überall verschieden gehandhabt, aber nirgendwo ist verankert worden, dass sie auf Lebenszeit gilt. Eine Besonderheit gilt auch für die Immunität bei Verfahren wegen Ordnungswidrigkeiten. Hierzulande können die Parlamentarier selbst entscheiden, ob die Ordnungswidrigkeit vom Immunitätsausschuss des Abgeordnetenhauses behandelt wird oder von einem ordentlichen Gericht. Das ist sehr ungewöhnlich.“Die lebenslange Immunität bedeutet zudem: Lehnt die jeweilige Parlamentskammer - also das Abgeordnetenhaus oder der Senat - die Herausgabe eines ihrer Mitglieder ab, ist die Strafverfolgung im jeweiligen Fall auch zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr möglich. Die Entscheidung ist irreversibel, da die Immunität eben auf Lebenszeit gilt. Die Entscheidung über Parkanovás parlamentarische Immunität ist mit diesen tschechischen Eigenheiten verknüpft. Einige Abgeordnete sprachen das in der Parlamentsdebatte auch an.
Auf der anderen Seite hatte der zuständige Immunitätsausschuss im Rahmen seiner Möglichkeiten geprüft, ob hinter den polizeilichen Ermittlungen etwa politische Motive stehen könnten:„Wir haben Vlasta Parkanová gefragt, ob sie auf ihrer parlamentarischen Immunität bestehe. Sie hat sich bei der Sitzung des Ausschusses dazu nicht eindeutig geäußert. Wir haben sie und weitere Abgeordnete gefragt, ob sie ein konkretes politisches Motiv erkennen können und ob sie glauben, dass die Strafverfolgung politisch motiviert sein könnte. Auch darauf haben wir keine eindeutige Antwort erhalten. Deswegen gab es hier meiner Meinung nach keine Gründe für die Aufrechterhaltung der parlamentarischen Immunität“, so Bohuslav Sobotka, Vorsitzender der oppositionellen Sozialdemokraten und Vorsitzender des Immunitätsausschusses im tschechischen Abgeordnetenhaus.
Parkanová und Finanzminister Kalousek sprechen allerdings auch von Fehlern im Antrag der Polizei an das Abgeordnetenhaus. Sie haben die Polizei in diesem Fall sogar der Lüge bezichtigt. Doch genau dies zu beurteilen, sei nicht die Aufgabe der Abgeordneten, sagt Sobotka:„Die Abgeordneten haben abgelehnt, sich in die Rolle von Richtern drücken zu lassen und über die Beweise und eine etwaige Schuld zu urteilen. Wenn jemand seine parlamentarische Immunität verliert, heißt das noch nicht, dass er schuldig ist und verurteilt wird. Die Polizei hat nur gefragt, ob sie in den Ermittlungen fortfahren kann. Und das Abgeordnetenhaus hat dazu einfach ja gesagt.“
Auch Verfassungsrechtler Pavlíček kann im Fall Parkanová keinen Schaden am Immunitätsrecht erkennen, wie er erläutert:
„Das ganz sicher nicht. Die Verhandlung im Abgeordnetenhaus verlief korrekt. Die parlamentarische Immunität ist weiter Teil der Verfassungsordnung. Dieser einzelne Fall wird daran nichts ändern, sondern bestätigt das eher.“
Ob der Antrag der Polizei indes korrekt verfasst war, das könne er nicht beurteilen, sagt Pavlíček.
Am Sonntag äußerte sich der Leiter des Polizeiteams zur Aufklärung von Korruption und organisiertem Verbrechen dazu in einer Talkshow des Tschechischen Fernsehens. Er wies den Lügenvorwurf von Kalousek zurück. Man dürfe den Antrag nicht mit den Ermittlungsakten oder der Anklageschrift verwechseln. Die drei bis vier Seiten für die Abgeordneten enthielten nur eine kurze Beschreibung der Straftat und ihre vorläufige rechtliche Qualifikation. Die Ermittlungen würden aber bereits seit zwei Jahren laufen, und es seien mehrere Staatsanwaltschaften beteiligt.
Und die Frage nach der lebenslangen parlamentarischen Immunität in Tschechien? Seit zehn Jahren wurde immer wieder versucht, diese Eigenheit zu kippen. Derzeit liegen erneut Vorschläge im Parlament, erstmals besteht auch die Chance auf Änderungen. Eine Gesetzesinitiative der oppositionellen Sozialdemokraten will die Immunität wie in Deutschland auf die Zeit des politischen Mandats beschränken. Eine andere aus den Reihen der Bürgerdemokraten von Premier Nečas schlägt vor, wie in Großbritannien nur noch die so genannte Indemnität aufrechtzuerhalten. Das ist die lebenslange Straffreiheit der Mandatsträger für ihre Äußerungen und ihr Abstimmungsverhalten im Parlament.