Der Fall Rath könnte zu einer Zäsur für ein unabhängiges Justizsystem werden
Einen Abgeordneten in Handschellen, der an einer Sitzung des Parlaments teilnimmt, hat das tschechische Abgeordnetenhaus noch nicht erlebt. Der frühere mittelböhmische Kreishauptmann und einflussreiche sozialdemokratische Abgeordnete David Rath, der wegen des Verdachts der Korruption in Untersuchungshaft sitzt, wird der erste sein. Er soll die Gelegenheit erhalten, zu seinen Kollegen zu sprechen, bevor seine Immunität aufgehoben wird. Doch welche Folgen könnte der Fall Rath für die tschechische Politik und das Justizsystem des Landes haben?
Ähnlich sieht das auch der tschechische Rechtsprofessor Jiří Přibáň, der als Lehrbeauftragte an der Universität im walisischen Cardiff die Causa Rath detailliert verfolgt. Přibáň plädiert zugleich dafür, dem redegewandten Politiker keine allzu große Bühne zu gewähren:
„Ich denke, dass der Auftritt des Abgeordneten Rath streng reguliert werden sollte, damit er dieses von der Verfassung her definierte Mittel nicht missbrauchen kann und zum Beispiel potentielle Zeugen beeinflusst.“In den letzten Tagen äußerten einige namhafte tschechische Juristen gewisse Zweifel, ob die Verhängung der Untersuchungshaft gegen den früheren Kreishauptmann von Mittelböhmen überhaupt zulässig und von der Verfassung gedeckt war. In diesem Sinne äußerte sich zum Beispiel der frühere Justizminister Cyril Svoboda. Dieser These widerspricht Jiří Přibáň allerdings:
„Bisher ist das Verfahren gegen den in Untersuchungshaft sitzenden David Rath völlig im Einklang mit der Verfassung verlaufen. Die Vorsitzende des Abgeordnetenhauses hat zunächst der Festnahme des Abgeordneten zugestimmt, und nun steht die endgültige Entscheidung bevor, die ausschließlich dem Plenum des Abgeordnetenhauses obliegt.“Dennoch räumt Přibáň ein, dass es wichtig wäre, in naher Zukunft das Vorgehen der Behörden in diesem konkreten Fall noch einmal von einer speziellen parlamentarischen Kommission untersuchen zu lassen. Dies würde helfen, alle Bedenken zu widerlegen, dass in der Causa Rath etwa nicht gesetzeskonform vorgegangen wurde. In erster Linie sollte, so Přibáň weiter, der Einsatz der Abhörmethoden noch einmal ausgewertet werden. Hier gehe es vor allem darum auszuschließen, dass nur Vertreter der Opposition im Fokus der Ermittler waren.
Bleibt die Frage nach den möglichen Folgen der Causa Rath. Diese lassen sich auf zwei Ebenen verfolgen - als erstes die Konsequenzen für die politische Landschaft Tschechiens. Diese lassen sich am besten von den Ergebnissen der Meinungsumfragen ableiten. Und hier konnte bisher eine ziemlich interessante Entwicklung festgestellt werden.Schenkt man den Meinungsforschungsinstituten Glauben, hat nämlich die Affäre rund um David Rath die Sozialdemokraten in den Umfragen lediglich ein bis drei Prozent an Unterstützung gekostet. Das gilt angesichts des komfortablen Vorsprungs der Partei gegenüber den anderen politischen Mitbewerbern als vernachlässigbar. Müssen sich die Sozialdemokraten überhaupt nicht fürchten? Dazu Kommentator Petr Nováček vom Inlandsprogramm des Tschechischen Rundfunks:
„Für die Sozialdemokraten ist das natürlich ein großes Problem, aber bis zu den nächsten Wahlen bleiben ja noch einige Wochen. Wenn die Partei glaubwürdig beweisen kann, dass sie tatsächlich an einer vollen Aufklärung der Fälle Interesse hat und sich auch von den Machenschaften Raths distanziert, dann muss das nicht zwingend in eine Katastrophe münden. Sollte sich aber herausstellen, dass der Kreis Mittelböhmen nicht der einzige war, in dem es unter der Führung der Sozialdemokraten zu Korruptionsfällen gekommen ist, dann wäre das für die Partei in der Tat ein Malheur.“Die zweite Ebene, die von den Ereignissen rund um den Politiker David Rath beeinflusst werden könnte, ist das tschechische Justizsystem. Seit Jahren wird vor allem den Staatsanwälten vorgeworfen, nicht offensiv genug gegen Korruption vorzugehen und, wenn es um Fälle mit politischer Brisanz geht, diese sprichwörtlich unter den Teppich zu kehren.
Nun hat sich aber gezeigt, dass zumindest in Teilen der Justiz der Wille besteht gerade Fälle von großem öffentlichem Interesse zu Ende zu führen. Könnte daher irgendwann in naher Zukunft, wenn der Korruptionsfall rund um David Rath bilanziert wird, die Causa als Wendepunkt in Sache unabhängige Justiz gelten? Dazu meint der Rechtsprofessor Jiří Přibáň von der University of Cardiff:
„Ich glaube schon, dass dieser Fall eine wichtige Zäsur darstellt. Sollte sich nämlich zeigen, dass die Polizei und Staatsanwaltschaft richtig verfahren haben, dann könnte bei den Bürgern nicht nur das Vertrauen in diese Institutionen wiederhergestellt werden, sondern auch in den Staat als solchen. Sollte sich aber herausstellen, dass zum Beispiel der Einsatz der viel zitierten Abhöranlagen widerrechtlich war und die Behörden anhand eines konkreten politischen Auftrags tätig wurden, dann würde das meiner Meinung das endgültige Ende für alle Versuche bedeuten, in Tschechien einen Rechtsstaat aufzubauen.“