Der freche Elfmeter und seine Akteure: Panenka und Maier 35 Jahre nach dem EM-Finale
Es gibt viele, die Antonín Panenka nachahmen wollten. Immer wieder hat sich einer beim Elfmeterschuss am berühmten Lupfer versucht, der den tschechischen Mittelfeldspieler schlagartig berühmt gemacht hat – und sein Gegenüber Sepp Maier ziemlich blamierte. Doch niemand verwandelte so sicher wie er. Im EM-Finale von Belgrad standen sich der Tscheche und der deutsche Torhüter am 20. Juni 1976 beim entscheidenden Schuss im Elfmeterdrama gegenüber. Und als sich Panenkas Lupfer ins Tor senkte, war die Tschechoslowakei zum ersten und einzigen Mal Europameister. Auf der anderen Seite hatte nicht nur Maier, sondern die ganze favorisierte Elf aus der Bundesrepublik das Nachsehen. Vergangene Woche sind sich Spieler aus beiden Fußballteams von damals nach 35 Jahren erneut begegnet: bei einer von der Friedrich-Ebert-Stiftung initiierten Talkshow in der Deutschen Botschaft in Prag. Maier und Panenka antworteten dabei auch auf die Fragen von Radio Prag.
Seit mehr als drei Jahrzehnten sind es dieselben Fragen, die Antonín Panenka beantworten muss. Es geht um einige Sekunden seiner Karriere als Fußballer. Dabei hat er für die Tschechoslowakei insgesamt 59 Länderspiele absolviert und 18 Jahre lang bei Bohemians Prag und Rapid Wien in der ersten Liga gekickt. Auch erzielte er unter anderem mit Freistößen einige schönere Tore als dieses eine durch den Elfmeter in der so genannten Nacht von Belgrad.
Auf der anderen Seite: Die Geschichte rund um den frechsten Elfmeter aller Zeiten, wie die Tat von Panenka manchmal bezeichnet wird, ist nicht nur ein paar Sekunden lang. Wenn der heute 62-jährige Alt-Internationale auf den Elfmeter angesprochen wird, dann muss er schon etwas weiter ausholen: das Halbfinale der Tschechoslowakei gegen die Niederlande und sogar noch davor:
„Vor der Europameisterschaft haben wir in der tschechoslowakischen Nationalmannschaft nicht gedacht, dass wir so stark sind, um uns gegen Holland fürs Finale zu qualifizieren. Wir glaubten, dass – wenn Gott gibt – in unserer Kraft liegt, unentschieden zu spielen. Falls es auch nach der Verlängerung unentschieden gestanden hätte, wäre das Elfmeterschießen drangekommen. Und ich war überzeugt, dass ich auch gegen Holland dann den Elfmeter auf diese Art schießen würde. Wir haben aber in der Verlängerung 3:1 gegen Holland gewonnen, und es kam das Finale. Ich war aber schon zwei Monate vor der Europameisterschaft überzeugt, dass ich in einem möglichen Elfmeterschießen auf diese Art schießen werde.“
Im Finale traf die Tschechoslowakei auf die Bundesrepublik Deutschland. Die Spieler um Panenka waren phasenweise besser und die Außenseiter aus dem Ostblock führten bereits 2:0. Doch die DFB-Elf verkürzte und schaffte sogar kurz vor Ende der regulären Spielzeit den Ausgleich. Mit 2:2 ging es in die Verlängerung, die aber torlos blieb. Nun musste erstmals in der Geschichte ein großes Fußballfinale im Elfmeterschießen entschieden werden. Auf beiden Seiten verwandelten alle Spieler wie gewohnt mit einem harten Schuss in das rechte oder linke Eck, bis Uli Hoeneß kam. Den letzten deutschen Elfmeter schoss er in den „Nachthimmel von Belgrad“, wie sich als Beschreibung eingebürgert hat. Doch den Europameistertitel für die Tschechoslowakei hatte erst der Mittelfeldspieler Antonín Panenka auf dem Fuß, er war der letzte Schütze aus der ersten Serie. Sein Anlauf war lang und schnell und deutete eher auf einen harten Schuss hin. Und so war der deutsche Torhüter Sepp Maier bereits auf dem Weg in die Ecke, als der Ball im hohen Bogen in sein Tor segelte. Der berühmte Lupfer. Ein großes Risiko in dieser Situation, oder nicht?
„Es war kein Risiko. Weil ich in der Situation gesehen habe, dass es der leichteste Weg ist, um ein Tor zu schießen. Ich hatte einen Vorteil, weil bis zu diesem Moment niemand gewusst hat, dass ich auf diese spektakuläre Art spiele. Das war mein Vorteil. Für mich von Vorteil war auch, dass Sepp Maier niemals das Bohemians-Stadion besucht hat, er konnte also nicht gesehen haben, wie ich Elfmeter schieße“, so Panenka.
Die Tschechoslowaken wurden durch das berühmte Tor erstmals Europameister und Antonín Panenka zu einer Fußball-Ikone in seinem Land, aber nicht nur dort. Viele Spieler haben später versucht ihn nachzuahmen, unter anderem auch der italienische Star Francesco Totti. Doch seine peinliche Kopie in einem Spiel der Serie A landete in den Armen des dankbaren Torhüters. Was also, wenn auch Sepp Maier damals gefangen hätte?
„Es wäre alles anders. Sepp wäre noch berühmter und ich wäre sehr enttäuscht. Aber das hätte nicht passieren können, weil ich nicht 200 Prozent, sondern 1000 Prozent überzeugt war, dass ich das Tor mache. Ich habe das gewusst. Ich weiß ich nicht warum, aber ich wusste, dass ich ein Tor schieße…“
Und Panenka hatte eben recht. Der Europameistertitel ist zeitlebens sein größter Erfolg geblieben – und sein Elfmeter hatte alles perfekt gemacht. Allerdings heißt es, der deutsche Nationaltorhüter Sepp Maier sei lange Zeit nur schlecht auf ihn, das tschechische Schlitzohr, zu sprechen gewesen. Heute jedoch ist das 35 Jahre her…
„Ich glaube, jetzt ist alles in Ordnung, wir sind beide in guter Stimmung. Aber damals war das Problem, dass die Journalisten aus dem Westen in den Zeitungen geschrieben haben, dass mein Elfmeter eine Clownerei gewesen sei. Ich hätte Maier lächerlich machen wollen. Das ist nicht wahr. Es war die leichteste Art, um das Tor zu erzielen. Das Europameisterschaftsfinale ist eine solch ernste Angelegenheit, da kann man keinen Spaß machen, das geht nicht“, sagt Antonín Panenka.
Aber es gibt ja auch noch die andere Sicht, die von Sepp Maier. Am Montag vergangene Woche sind sich der 66-Jährige und sein Bezwinger nach langer Zeit erneut begegnet. Dabei gab der deutsche Ex-Profi, der im Tor der Nationalmannschaft 1974 Welt- und 1972 Europameister wurde, mit Bayern München viermal jeweils die Meisterschale und den Pokal holte, dreimal den Europapokal der Landesmeister und noch einiges mehr gewann, Radio Prag ein kleines Interview:
Heute wurde an das EM-Finale 1976 in Belgrad erinnert, das Deutschland ja im Elfmeterschießen verloren hat. Und der bekannteste Elfmeter – auf tschechischer Seite jedenfalls – ist der Lupfer von Antonín Panenka. Wenn Sie heutzutage die Bilder sehen, weckt das in Ihnen noch in irgendeiner Weise Gefühle oder Erinnerungen?
„Nein, überhaupt nicht. Das ist schon so lange her. Das weckt nichts mehr. Ich habe nur bewundert, wie man in einem solch wichtigen Spiel so kaltschnäuzig sein kann und einen Elfmeter so schießt. Ich glaube, er hat ganz schön mit seiner sportlichen Karriere gespielt. Denn wäre ich stehen geblieben und hätte den Ball gefangen, dann hätten alle in der damaligen Tschechoslowakei gesagt, dass Panenka doch blöd ist, einen so wichtigen Elfmeter so lasch zu schießen. Da hätte er wahrscheinlich sportlich Schwierigkeiten bekommen. Aber ich habe ihm ja den Gefallen getan und den Elfmeter reingelassen. Also hat sich das Problem nicht aufgetan.“
War damals ihr Gefühl aber nicht vielleicht doch, dass sie nun lächerlich gemacht wurden. Oder war dies eher eine Erfindung der Presse?
„Was heißt lächerlich, ein Elfmeter muss halt im Tor sein. Wie er reingeht, ist egal… Als Torwart ist man voll konzentriert, und da schießt Panenka solch einen Elfmeter. Sicher schaut man ein bisschen blöd aus, aber wenn er so abgebrüht ist und riskiert das immer, aber es hat 35 Mal geklappt, da kann man nur gratulieren. Das nächste Mal weiß ich´s, da bleibe ich stehen.“
Sie haben gesagt, dass Sie damals auch direkt eine kleine Lehre daraus gezogen hatten und bei den nächsten Elfmeterschießen daran gedacht haben: „Nicht zu früh…“
„Ja sicher, da musste ich ziemlich aufpassen. Das war für mich auch eine Erfahrung gewesen, dass man nicht zu früh weggehen sollte.“
Und sie haben das später umgesetzt…
„Ja, aber ich habe trotzdem keinen gehalten. Ich habe es zwar umgesetzt, aber nur ganz selten einen Elfmeter gehalten. Und wenn, dann war er nicht mehr wichtig. Bei 4:0 oder 5:0 brauchst du keinen Elfmeter mehr zu halten. In den Situationen habe ich ihn aber meistens dann gehabt.“
Auf deutscher Seite gab es gewisse Schwierigkeiten: Sie und das Team haben gar nicht rechtzeitig gewusst, dass es ein Elfmeterschießen geben könnte. Vielleicht können Sie das noch einmal schildern?
„Das ist ohnehin ein Wunder am heutigen Abend: Wie herausgekommen ist, haben die tschechoslowakischen Spieler schon vor dem Spiel gewusst, dass das Spiel noch am gleichen Tag entschieden wird, also Verlängerung und dann Elfmeterschießen. Bis dahin hatte es immer eine Verlängerung gegeben und bei Gleichstand danach zwei Tage später ein Widerholungsspiel. Aber die Tschechoslowaken haben die Änderung schon vorher gekannt, und wir haben nichts gewusst. Bei uns ist DFB-Präsident Neuberger in die Kabine gekommen und hat gesagt: ´Jungs, passt auf, heute wird das Spiel entschieden.´ Da haben wir gesagt: ´Wieso entschieden?´ Da hat Neuberger gesagt: `Wenn es unentschieden auch nach der Verlängerung steht, dann gibt es heute zum ersten Mal in der Geschichte des Fußballs ein Elfmeterschießen.´ Aber wir haben entgegnet: ´Herr Präsident, da brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen, es gibt kein Elfmeterschießen, die putzen wir sowieso weg.´ Das haben wir dann ja gesehen, wie es gelaufen ist. Wir waren uns eigentlich schon so sicher...
Gibt es eigentlich weiter Kontakte zwischen der bundesdeutschen Mannschaft, in der Sie damals gespielt haben, und der tschechoslowakischen – außer jetzt heute?
„Eigentlich nicht. Man freut sich, wenn man sich wieder sieht. Und ich kenne auch nur Antonín, weil ich ihn schon zwei, drei Mal in meinem Leben getroffen habe. Ansonsten die anderen Spieler? Viktor habe ich auch noch gekannt, den Torhüter, meinen Kollegen. So häufig haben wir aber nicht gegen die Tschechoslowakei gespielt, das waren in den 19 Jahren meiner aktiven Zeit vielleicht zwei oder drei Mal. Der Fußball ist ja auch schnelllebig, ich habe zum Beispiel noch gegen Masopust gespielt, in Hannover. Er war damals auch schon 37 oder 38 Jahre alt, ich war erst 20. So ändert sich halt die Zeit.“