Der frühe moderne Europäer war in Mähren zu Hause
"Ich bin doch ein moderner Mensch!" hört man oft sagen. Oder man sagt es selbst, um sich gegen Andere abzugrenzen. Oder: Man bezeichnet sich als Europäer, was oft schon fast als Synonym für die Spezies "moderner Mensch" gemeint ist, der sich nicht an erster Stelle als Tscheche, Pole, Deutscher, Österreicher, Italiener oder sonst ein national definiertes Menschenwesen sieht. Diese Art "Modernität" wird meist als Phänomen der jüngsten Zeit empfunden. Nichts dagegen, doch aufgepasst! Moderne Europäer gab es schon vor etwa 30.000 Jahren! Noch dazu auf dem Gebiet der heutigen Tschechischen Republik, genauer gesagt in Mähren. Ganz genau gesagt in Mladec, dem früheren Lautsch. Den Hintergründen können Sie jetzt gemeinsam mit zwei Wissenschaftlerinnen der Wiener Universität nachgehen, in unserer Sondersendung am heutigen Feiertag in Tschechien.
Erst vor ungefähr einem Jahr wurde es offiziell publik gemacht: In der Höhle von Mladec, einem Ort in Mittelmähren, lebten die ältesten Vertreter der so genannten Aurignicien-Kultur. Die dort gefundenen versteinerten Knochen sind nachweislich 31.000 Jahre alt und gehören damit zu den ältesten Funden von - wie es in der Fachsprache heißt - Homo sapiens sapiens. Zu diesem Schluss kam ein internationales Wissenschaftlerteam, geleitet von Prof. Maria Teschler-Nicola vom Naturhistorischen Museum in Wien. Die Resultate seiner Erforschung wurden im Mai 2005 in der US-Fachzeitschrift Nature präsentiert. Um Näheres zu erfahren, rief ich Frau Prof. Teschler in Wien an. Der Orientierung in der Zeit und der Fachsprache wegen, bat ich sie zunächst um eine Definition von Homo sapiens sapiens, dem so genannten frühen modernen Menschen:
"Die ältesten Homo sapiens Funde - das ist eine Art, der wir auch angehören - stammen aus Afrika und sind ca. 150.000 - 160.000 Jahre alt. In Europa finden wir den ältesten Homo sapiens erst in der Zeit vor 35.000 - 30.000 Jahren. Der frühe moderne Mensch ist modern so wie wir; er gehört unserer Art an, hat aber auch ein paar Merkmale, die ihn ein bisschen von uns unterscheiden. Deswegen 'früher moderner Mensch'."
Vorher lebte viele tausend Jahre in Europa der Homo neanderthalensis - der Neandertaler. Der Homo sapiens kam erst etwa vor 40 000 - 30 000 Jahren nach Europa, und zwar über den Nahen Osten, wie eine der Theorien, die so genannte "Out of Africa" - Theorie besagt. In relativ kurzer Zeit verdrängte er den Neandertaler. Wie genau, das weiß man nicht, die Wissenschaftler diskutieren darüber schon lange, sagt Prof. Teschler:
"Die Funde von Lautsch stehen im Zentrum dieser Debatte um die Vorgänge der Ablöse des Neandertalers durch den Homo sapiens".
Man weiß nicht, wie lange es gedauert hat, und auch nicht, warum die Neandertaler, die als langjährige, sozusagen einheimische Bewohner unseres Kontinents bereits besser an das Ambiente angepasst waren, überhaupt ausgestorben sind. Ein niederländisch-französisches Wissenschaftlerteam, geleitet von Catherine Hanni aus Lyon, analysierte vor einiger Zeit das in einem Stockzahn beinhaltete Erbgut eines 11-jährigen Jungen, der vor ca. 100.000 Jahren gelebt hatte. Gefunden wurde er in Belgien in der Höhle Scladina. Aus dem Vergleich dieses ältesten DNA-Materials menschlichen Ursprungs mit bereits früher durchgeführten DNA-Proben jüngerer Neandertaler, die vor etwa 42.000 - 29.000 Jahren lebten, ergab sich eine interessante Erkenntnis: das Erbgut der älteren Neandertaler war wesentlich differenzierter als das der jüngeren Artgenossen. Dass es im Laufe der Zeit zu einem Rückgang des breit gefächerten Erbguts dieser Menschen kam, führen viele Wissenschaftler auf immer häufiger werdende Krankheiten, auf die nachlassende Siedlungsdichte und nicht zuletzt auch auf klimatische Veränderungen zurück. Dies dürfte uns Europäern als Mahnung dienen!
Machen wir jetzt noch einen kleinen Abstecher von unserem Thema Homo sapiens sapiens, und machen wir uns ein Bild davon, unter welchen klimatischen Rahmenbedingungen er in seiner Wahlheimat, dem heutigen Mittelmähren, zu leben hatte. Um einige Eckdaten bat ich Milan Libertin, Paläoontologe im Prager Nationalmuseum. Hier zunächst seine Antwort auf meine simple Frage: Wie war das Wetter vor 30.000 bis 40.000 Jahren?
"Damals hat die Eiszeit ihren Höhepunkt erreicht. Eingetreten ist die Periode des so genannten Weichsel-Glazials. Es war relativ kalt, die Durchschnittstemperatur lag bei Null Grad. Für die Lebensweise der Menschen war dies einer der ausschlaggebenden Faktoren. Ich möchte aber dazu Folgendes sagen: Wenn man von der Eiszeit spricht, dann könnte man glauben, dass es sich um einen kompakten, kontinuierlich kühlen Zeitraum handelte. Doch es war ein bisschen anders. Es gab lange recht kühle Zeitabschnitte und dazwischen so genannte 'Interstadialen', also Zeitabschnitte, in denen es wiederum etwas wärmer war."
Der Unterschied zwischen diesen beiden Typen von Perioden war aus der Sicht des Homo sapiens des 21. Jahrhunderts natürlich gering. Er bestand darin, dass man in den kälteren Abschnitten, die bis zu hunderttausend Jahre dauerten, einfach mehr Kleiderschichten anziehen musste als in den "wärmeren", die wesentlich kürzer waren, etwa um die 30.000 Jahre. Die Menschen von damals waren Jäger, wie schließlich auch die Funde von der Mladec-Höhle bezeugen. Darunter sind auch Speerspitzen, die unter der Bezeichnung "Lautscher Spitzen" zum Begriff geworden sind. Welche Tiere konnte man eigentlich vor 30.000 Jahren hierzulande jagen? Milan Libertin:
"Das am häufigsten gejagte Tier war das Mammut. Es handelte sich um den bereits letzten großen Mammuttyp - Mammutus primigenius. Außerdem lebte hier auch das Pelznashorn, als Beute war es aber nicht allzu verbreitet. In höherem Ausmaß konnte man bei der Jagd Pelztiere wie Füchse, Hasen, Rentiere und höchstwahrscheinlich auch Hyänen erhaschen."
Eine relativ gute Auswahl. Und wie war die Flora in der Eiszeit? Als Laie stellt man sich vielleicht eine kompakte Eiskruste auf der Erdoberfläche vor, die Wirklichkeit war jedoch anders:
"Trotz der immer noch herrschenden Eiszeit war der vom Norden herziehende letzte Gletscher etwa an der Linie südlich von Berlin und Warschau stehen geblieben. Das Gebiet der böhmischen Länder befand sich damals in der so genannten periglazialen Zone. Der Boden war natürlich permanent vereist, so wie es z.B. heute in einigen Teilen Sibiriens oder in Gebieten oberhalb des nördlichen Polarkreises der Fall ist. Eine Flora gab es schon, aber sie war vollkommen anders als die, die wir heute haben. Es gab fast nur niedrig gewachsene Sträucher. Von den Bäumen ist die niedrig wachsende Birke Nina betula bekannt, und auch eine Art von Weide - die Salix repiculata. Außerdem wuchsen auf dem Boden verschiedene Moosarten. Kurzum, die Landschaft sah aus wie die klassische Tundra von heute."
Nun kommen wir auf den eigentlichen Gegenstand unserer heutigen Sondersendung zu sprechen - auf den frühen modernen Europäer namens Homo sapiens sapiens, der die Menschenart der Neandertaler auf unserem Kontinent ablöste. Dazu soll es vor 40.000 - 30.000 Jahren gekommen sein, und die Mladec Funde fallen in diese Zeitspanne hinein. Das Fundensemble, das an der Wiener Universität untersucht wurde, besteht aus Schädel, Schädelfragmenten, Kieferteilen und Zähnen sowie mehreren Skelettelementen und stammt von mindestens sechs oder sieben Individuen. Diese und andere in Mladec gefundene Fossilien waren seit recht langer Zeit bekannt. Prof. Maria Telscher:"Die Funde sind ja alt. Ausgegraben wurden sie 1881 - 1882 von dem damaligen Mitarbeiter des Naturhistorischen Museums Wien, Joseph von Szombathy, aber was man bis dato nie genau wusste, wo sozusagen ein Fragezeichen war, war das genaue Alter der Funde."
Die Funde zeichneten sich nämlich durch eine relativ große Variabilität aus. Ist diese chronologisch zu begründen? Das würde bedeuten, dass die archaischeren Funde vielleicht tatsächlich älter sind als die weniger alt anmutenden. Oder geht es doch um eine Population, die aus einer gemeinsamen Zeit stammt? Dann könnte man sicher sein, dass die festgestellte Variabilität tatsächlich der Variabilität dieser einen Population entspricht. Kurzum: Fragen über Fragen, über die sich Archäologen den Kopf zerbrachen. Die Leiterin des Forschungsteams erzählt weiter:
"Die Ausgrabung war am Ende des 19. Jahrhunderts sehr schnell durchgeführt worden. Die Aufzeichnungen waren so spärlich, dass man einfach nicht wusste: Ist das Knochenstück, das etwas älter ausschaut, vielleicht aus einer tieferen Schicht? Oder ist das alles aus einer Schicht? Gehört alles nur zu einer Kulturperiode?"
Die Rede ist von einer Zeit, als Böhmen und Mähren Bestandteil der österreichischen Monarchie waren und Archäologen der Wiener Akademie der Wissenschaften Ausgrabungen auch dort und vor allem gerade auf mährischem Boden durchführten.
"Sie haben auch andere Höhlen in Mähren untersucht. Es war z. B. die Joachimshöhle, die Mladec-Höhle und andere. Später gab es aber einen Besitzwechsel der Mladec-Höhle. Zunächst war Fürst Liechtenstein der Besitzer, durch einen Verkauf gab es dann noch weitere. Von 1904 bis 1922 haben in Mladec auch tschechische Fachleute und interessierte Laien gegraben, und so ist noch viel mehr Material zu dem früher Ausgegrabenen hinzugekommen. Dieses Material sowie auch die menschlichen Knochen sind an das Mährische Museum in Brünn (Brno) übergeben worden. Bei Sicherungsmaßnahmen 1945 wurde das alles nach Mikulov ausgelagert. Am Ende des Weltkriegs ist jedoch alles durch einen Brand verloren gegangen."
Es waren also ursprünglich viel mehr Skelettreste vorhanden als es heute der Fall ist. Von den in Mikulov aufbewahrten Fossilien ist nur ein einziger Schädel übrig geblieben, der wieder im Mährischen Museum Brno zu finden ist. Was hingegen von den Österreichern geborgen wurde, ist bis heute in Wien erhalten geblieben. Wir hatten Glück, sagte uns Frau Professor Maria Telscher. Dank ihr und ihrem Mitarbeiterteam konnte man nach mehr als 100 Jahren die Knochen endlich datieren. Warum hat das so lange gedauert?
"Also erstens hat es 40 Jahre bis zu der Publikation des damaligen Ausgräbers gedauert. Der war zu dem Zeitpunkt schon ein alter Mann, und erst 1925 ist der Gesamtkomplex vorgestellt worden. Die Radiokarbon-Datierung hat man damals noch nicht beherrscht. Sie gehört erst zur technischen Entwicklung der letzten Jahrzehnte. In den 80er Jahren hat man versucht, Proben von Langknochen zu entnehmen, also von Körperskelettteilen, damit man den vorhandenen Schädel nicht zerstört, und man hat versucht, sie zu datieren. Das ist aber schief gegangen. Es hat einfach nicht funktioniert."
Die Methode, auf die die Wissenschaftler setzten, heißt Beschleuniger-Massenspektrometrie. Ihren Anteil an der erfolgreichen Datierung der Mladec-Fossilien hat auch Frau Prof. Eva Maria Wild von der Wiener Universität. Der Weg zum Erfolg war aber nicht einfach, wie sie im Gespräch mit Radio Prag erzählt:
"Man hat versucht, Knochendatierungen mit der C 14-Methode durchzuführen, aber das ist nicht gelungen. Und zwar deshalb, weil man für die Datierung der Knochen das Knochenkollagen verwendet. Dieses aber baut sich im Laufe der Zeit ab."
Und das bedeutet, dass der Kollagenabbau eventuell so weit fortgeschritten ist, dass eine Knochendatierung mit der C14-Methode nicht mehr möglich ist. Vorsichtshalber hatte man aber nicht mit menschlichen Knochen angefangen?
"Wir haben versucht, die menschlichen Fossilien indirekt zu datieren, indem wir probiert haben, vorhandene Tierknochen mit der C14-Methode zu datieren. Die Hoffnung war, dass man durch die Datierung der Tierknochen aus derselben Fundstelle dann das Alter der Menschenfunde einschränken kann. Deswegen war die Datierungsgeschichte von den Mladec-Funden eine langwierige Sache."
Die Erklärung für dieses Vorgehen liegt auf der Hand: Man wollte nicht die wirklich kostbaren Menschenfunde durch Proben aufs Spiel setzen. Und was ergab sich aus der Tierknochenuntersuchung? Hat das Resultat auf eine verlässliche Altersdatierung der menschlichen Überreste schließen lassen?
"Das ist leider nicht gelungen. Das Alter der Tierknochen, die wir erstellt haben, lag in einem relativ großen Zeitbereich. Daher war eine genaue indirekte Datierung der Menschenfunde nicht möglich."
Die Datierung von Tierknochen, die in der Mladec-Höhle aus verschiedenen Schichten ausgegraben wurden, schwankte zwischen 9.000 und 42.000 Jahren. In Wien hat man aber nicht aufgegeben. Es folgte der nächste Schritt, bei dem es nun als unausweichlich galt, die Menschenfunde zu testen. Prof. Eva Wild erklärt, dass das Kollagen in den Zähnen besser erhalten ist. Dort ist es durch einen intakten Zahnschmelz besser geschützt, ebenso in der Wurzel durch den Kieferknochen. Beim Versuch, die Zähne zu datieren, war das Wissenschaftlerteam erfolgreich. Es hat sich herausgestellt, dass die Mladec-Funde ca. 31.000 Jahre alt sind. Das Geheimnis ihres Alters, über welches sich Archäologen und Hobbyarchäologen Jahrzehnte lang den Kopf zerbrachen, war nun endlich gelüftet. In Bezug auf die angewandte Methode erläutert Prof. Wild:
"Das ist eine Methode, die den Nachweis von C14 in sehr kleinen Probenmengen erlaubt. Wir brauchen für eine C 14-Datierung nur ein Milligramm Kohlenstoff."
Ist die Datierung nun schon definitiv? Kann sich daran auch in Zukunft nicht etwas ändern? In der Wissenschaft ist doch nichts definitiv, oder?
"Ob sich in Zukunft etwas daran ändern wird? Das ist sogar sehr wahrscheinlich! Was bis jetzt noch immer nicht möglich ist, ist nämlich die so genannte Kalibration dieses C 14-Alters, also der 31.000 Radiokarbonjahre. Das bedeutet, dass man das C 14-Alter in einen Kalenderzeitbereich umrechnet. Dazu benötigt man Kalibrationskurven. Zur Zeit gibt es aber keine Kalibrationskurve, die sozusagen international anerkannt ist. Aber es gibt natürlich schon Kalibrationskurven von einzelnen nationalen C 14-Archiven. Wenn man sich diese Kurven anschaut, dann ist schon ziemlich klar, dass aufgrund der international gültigen Kalibration das von uns festgelegte Alter der Knochenfunde von Mladec noch um einiges höher werden kann."
Mit anderen Worten: Die untersuchten Proben könnten nach Ansicht der Forscher in Wirklichkeit noch um einige tausend Jahre älter sein.
Mit der Idee, einen Zahn auf Kollagen zu untersuchen, hat man also Glück gehabt, und einen Riecher noch dazu, sagt Maria Telscher. In Bezug auf die tschechische Fundstelle und nicht zuletzt auch in Bezug auf ihr jüngst erschienenes Buch über Mladec, in dem der tschechische Archäologe Jiri Svoboda von der Universität in Brno/Brünn als Koautor vertreten ist, fragte ich Prof. Telscher nach der tschechisch-österreichischen Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Archäologie bzw. Anthropologie:
"Wir haben alles gemeinsam besprochen. Ich habe auch erst voriges Jahr Sediment- und Wasserproben für Spezialuntersuchungen aus der Mladec-Höhle geborgen. Jiri Svoboda ist Mitautor dieser Monographie, und ich werde dieses Buch auch dem tschechischen Anthropologen Jan Jelinek, der erst vor kurzem gestorben ist, widmen."
Die Fossilien von Mladec sind also der älteste sichere Nachweis für die Anwesenheit des anatomisch modernen Menschen in Europa. Gilt vielleicht diese Erkenntnis als Umbruch in der bisherigen Forschung?
"Also in der Archäologie nicht. Ich muss ganz ehrlich sagen, dass es aufgrund der archäologischen Funde immer die Vermutung gab, dass dieser Komplex aus der Kulturstufe des Aurignacien, aus dem jüngsten Frühpaleolithikum datiert. Das ist jetzt bestätigt, zumindest die Menschen stammen aus dem Aurignacien. Für uns jedoch, d. h. für die Anthropologie, war es für die weiteren Überlegungen ganz wichtig zu wissen, dass die Individuen trotz ihrer morphologischen Variabilität in einen gemeinsamen Zeithorizont zu ordnen sind. Das Wichtigste ist eigentlich, dass wir ausschließen können, dass Menschenfunde vielleicht auch aus dem Gravitain datieren, also unterschiedlichen Zeithorizonten angehören. Jetzt ist einmal klar, dass die vier untersuchten Individuen etwa gleich alt sind. Anders gesagt, sie sind Repräsentanten einer bestimmten Bevölkerung. Und das ist deswegen spannend, weil wir sagen können, dass es in der Zeit eine große Variabilität und auch einen großen Geschlechtdemorphismus gab."
Wieder mit anderen Worten gesagt, die Mladec-Männer waren sehr robust, außerdem deuten sie auf stärkere Neandertaler Einflüsse hin, und die Frauen sind deutlich graziler. Maria Teschler ist seit Juni 1998 Direktorin der Abteilung Archäologische Biologie und Anthropologie. Studiert hat sie Humanbiologie, Volkskunde und Medizin an der Universität Wien. Apropos Medizin: Wie war es um die Gesundheit der Mladec-Leute bestellt?
"Es gibt einige Verletzungen an den Skeletten, eine Hämatombildung, eine angeborene Missbildung, wahrscheinlich im Innenohr einer Person, es gibt auch ein paar Merkmale, die auf eine deutliche Überbeanspruchung hindeuten - da ist entweder viel gearbeitet worden, oder man hat sich viel bewegt. Aber diese Veränderungen sind nicht so gravierend, als dass man sagen könnte, dass die Leute unter extremer Mangelversorgung gelitten hatten. Es sind vielleicht ein paar stressbedingte Merkmale da, aber nicht allzu viele. Wir haben zwar keine kompletten Individuen, mit aller Vorsicht würde ich aber sagen: Man kann keine gravierenden Stressmerkmale an den Skelettresten erkennen. Sie sind in einer sehr guten Verfassung. Es sind aber Reste von relativ jungen Individuen."
Gibt es vielleicht auch eine Erklärung dafür, dass auf mährischem Boden mehrere archäologisch bedeutende Entdeckungen gemacht wurden?
"Das Klima und der Boden werden vielleicht günstig gewesen sein. Aus einer Folgeperiode, wo Mähren eine besondere Rolle spielt - gravitainzeitlich - haben wir weitere Fundstellen wie Dolni Vestonice oder Havlov. Da gibt es wunderbare, grandiose Funde. Wir haben jetzt in Österreich auch einen, der in dieselbe Zeit hinein datiert. Es zeigt sich, dass es da eine Ähnlichkeit gibt. Es sind vielleicht die gleichen Menschen gewesen, die in den Süden gezogen sind, da sie dort vielleicht ihr Sommerlager hatten."
Und noch eine Frage: Ähnliche Fundstellen gibt es in ganz Europa. Zum Beispiel die Funde aus der rumänischen Höhle Pestera sind mit 35.000 Radiokarbonjahren sogar noch älter als die von Mladec. Welche Bedeutung kommt den Mladec-Funden zu?
"Das Besondere an Mladec ist, dass wir dort sowohl Menschenreste, und zwar eine ganze Reihe von Schädelresten, Zahnresten und anderen, als auch - und das ist sehr wichtig - die archäologischen Assoziationen haben. Das heißt, es sind auch Knochengeräte und Steingeräte da. Das ist ein relativ komplexes Fundensemble, das auch Schlussfolgerungen auf die Kulturentwicklung zulässt. Deswegen ist es auch so spannend. Bei anderen Fundstellen, wie etwa jetzt in der neuen Fundstelle in der Höhle Pestera cu Oase in Rumänien haben wir Menschenreste, aber es sind keine archäologischen Objekte da. Die gibt es in Lautsch. Und deswegen ist Lautsch halt so besonders. Das ist sehr spannend, wenn man beides - Menschenreste und archäologische Objekte - vergleichen kann. Man kann auch die Fragen der Kulturentwicklung anschneiden. Das ist in Lautsch möglich, und das macht das Besondere an Mladec aus."