Der Frühling ist da: Mit Hurra auf die Chatas und Chalupas!

In der Tschechischen Republik gab es in den letzten Jahren nur relativ selten über einen recht massiven Streik zu berichten. Das scheint sich nun aber zu ändern, denn in der nächsten Zeit ist eine regelrechte Streikwelle angekündigt. Gewerkschafter, Lehrer und Mediziner und nicht zuletzt auch Künstler planen ihre Protestaktionen. Veröffentlichte Wirtschaftsanalysen sprechen zwar darüber, wie gut es der tschechischen Wirtschaft geht. Der Normalbürger bekommt es offenbar nicht am Inhalt seines Geldbeutels zu spüren. Viele haben jedoch ein bereits in alten Zeiten bewährtes Anker, zu dem sie nach einer Pause wieder verstärkt zurückfinden: ihre Wochenendhäuser!

Ein verlässlicher Frühlingsindikator sind in Tschechien die überfüllten tschechischen Autobahnen und Straßen, über die jeweils am Wochenende unendliche Autolawinen rollen, um hunderttausende Stadtbewohner in ihr Wochenenddomizil zu bringen. Am Freitag hin und am Sonntag wieder zurück. Dieses Gesellschaftsphänomen ist aus dem Leben vieler Generationen von Tschechen nicht wegzudenken.

Der Archetypus des tschechischen Wochenendhauses wurde in den 1920-er Jahren geboren, als unter dem Einfluss der Romantik amerikanischer Wildwestfilme die ersten Blockhütten mitten in die Natur gesetzt wurden. Zunächst in der Umgebung von Prag und später an vielen anderen Orten landesweit. Für diese Blockhütten hat sich bald auch in der tschechischen Schriftsprache die Bezeichnung „chata“ eingebürgert. Und mit ihr wurde auch eine neue Menschenspezies geboren – „Homo Chatař“ – der Wochenendhäusler.

„Unsere Chata, im Wald versteckt, für unsere Jugendzeit wie maßgeschneidert...“ singt man in in einem über 70 Jahre alten Lied, einem der vielen, die seinerzeit wie am Fließband produziert wurden. In den 1950-er Jahren wurden die Wochenendhauskolonien in der Umgebung vieler Städte auf einmal zu dem sprichwörtlichen Dorn im Auge der kommunistischen Machthaber. Man konnte sie nicht gut kontrollieren!

In den 60-er Jahren kam es aber zu einem wahren Chata-Boom. Durch ein dichtes Verkehrsnetz war die Anbindung an die umliegenden Erholungsgebiete mit Bus- und Eisenbahnlinien gesichert, außerdem konnten sich immer mehr Familien ein Auto kaufen. Auslandsreisen waren nur schwer möglich, und so konnte man seine Finanzreserven in das „Anders - Wohnen“ investieren.

In der Zeit der so genannten Normalisierung, die hierzulande nach der Invasion der Warschauer Paktstaaten im August 1968 für fast 20 Jahre eingetreten war, hat ein Großteil der Bevölkerung diese Freizeit-Alternative als eine Art Paradies wahr genommen. Sie ermöglichte nämlich eine Berufs- und Realitätsflucht:

„Die Beziehungen zwischen Nachbarn in den städtischen Plattenbausiedlungen wurden damals nicht gepflegt. Fürs Wochenende flüchtete man schnell in seine Hütte oder sein Häuschen. Dort entstanden spezifische Gemeinschaften, die oft die sozialen Unterschiede verwischen ließen und nicht selten auch politische Meinungsverschiedenheiten in den Hintergrund drängten,"

sagt die Sozialgeographin Dana Fialova, Koautorin der 2001 erschienenen Studie „Das alternative Wohnen in Tschechien.“ Die Wochenendhäuschen wurden oft von ihren Besitzern selbst gebaut, mit viel Passion und Kreativität sogar. Die bildende Künstlerin Veronika Zapletalova, die Jahre lang mehrere Hunderte Wochenend-, Block- und Gartenhäuser in ganz Tschechien für einen Bildband fotografierte, sieht das Phänomen „tschechischer Wochenendhäusler“ in der kommunistischen „Eiszeit“so:

„Auf der Fläche drei mal drei oder vier mal vier Quadratmeter entstanden Möchte-Gern-Monumente´ der Architektur, in der sich die nahezu grenzenlose Kreativität ihrer Besitzer äußerte. Wichtig war dabei, sich gegenüber der Anonymität des städtischen Plattenbaus abzugrenzen.“

Anfang der 1990-er Jahre wollten viele Tschechen ihr Defizit an Auslandsreisen schnell ausgleichen und haben das Wochenendhausleben etwas vernachlässigt. Davon, dass es aber tiefe Wurzeln geschlagen hat, zeugen wiederholt etliche Meinungsumfragen. Der jüngsten Studie zufolge werden 40 Prozent der arbeitenden Bevölkerung in diesem Jahr den längsten Teil des Urlaubs gerade in ihren Wochenendhäusern verbringen. Eine neue Welle der Realitätsflucht? Angesichts der Unzufriedenheit, die die Mehrheit der Tschechen seit Monaten in verschiedenen Umfragen in Bezug auf die Entwicklung des Landes bekundet, könnte man es so verstehen.

Soviel zum Phänomen „Chata“. In Tschechien gibt es allerdings noch ein anders, sehr ähnliches Phänomen namens „Chalupa“, in dem sich auch der ausgeprägte Hang vieler Tschechen zum Wochenendhäuslertum artikuliert. Wie es entstanden ist, weiß auch Dana Fialová von der Naturwissenschaftlichen Fakultät der Prager Karlsuniversität:

„Der Hauptimpuls, der einen schnellen Anstieg der Zahl dieser Chalupas, der Wocheendhäuser also, ausgelöst hatte, war die Aussiedlung der deutschen Bevölkerung nach dem Krieg aus den überwiegend deutschsprachigen Grenzgebieten der Tschechoslowakei. Dadurch, dass sie zum Großteil nicht mehr als Standorte für einen Daueraufenthalt wiederbesiedelt wurden, ist uns hierzulande ein Großteil der herkömmlichen ländlichen Siedlungsstrukturen erhalten geblieben.“

Wie war das weitere Schicksal dieser Häuser?

„Die meisten wurden vom Staat konfisziert und wurden in den Besitz der zuständigen Gemeinden überführt. Zu kaufen waren sie für einen Spottpreis. 1953 wurde hierzulande zwar eine Währungsreform durchgeführt, durch die die Ersparnisse der Bevölkerung absolut wertlos wurden, aber auch dann waren diese Objekte erschwinglich.“

Im Laufe der 1960-er wird aber schon ein Boom von Wochenendhäusern jeder Art verzeichnet. Man hat zunehmend über mehr Geld verfügt, das in diesem Bereich investiert werden konnte. Nicht nur die ehemals deutschen Immobilien, sondern auch insgesamt viele geerbte Häuser wurden in ein Wohnobjekt zum Erholungszweck umfunktioniert.

„Viele Menschen kamen auf diese Weise in ihre Geburtsstätten zurück. Außerdem hat das Regime damals die Möglichkeit, Einfamilienhäuser zu bauen, sehr begrenzt. Das bedeutete eine zwangsweise Unterbrechung einer Tradition, die während der Ersten tschechoslowakischen Republik entstanden war, nämlich die Tradition, Trabantenstädte, oder auch Gartenstädte zu bauen. Viele Menschen sehnten sich aber danach, sich um ein eigenes Haus mit Garten zu kümmern.“

Typische Chalupas- Gebiete findet man in ganz Tschechien, nicht selten auch dort, wo auf den ersten Blick nichts Attraktives zu finden ist wie etwa Teiche, Wälder und Ähnliches. Für ihre Entstehung gab es auch andere Gründe als die erwähnte Vertreibung der Deutschen und die Sehnsucht nach einem Habgut.

„Als zweitwichtigster Impuls hat sich die sozialistische Industrialisierung erwiesen, die wiederholten Abwanderungswellen aus dem ländlichen Raum und dadurch dessen Entvölkerung zur Folge hatte. Junge Menschen ziehen in die Stadt, kommen zu ihren Eltern nur zu Besuch und nach dessen Tod benutzen sie das geerbte Haus zur Erholung. Wochenendhäuser findet man bei uns daher heutzutage überall.“

Sehr wichtig war auch die Veränderung des Mobilitätsverhaltens eines großen Teils der Bevölkerung in der Freizeit. Durch die zunehmende Motorisierung ist der Freizeitverkehr entstanden. Seit 1969 wurde nämlich der arbeitsfreie Samstag eingeführt. Und das hieß oftmals Prag – Chalupa oder Chata – und zurück.

„In den 1970-er Jahren hat die Regierung ein Verwaltungsreform im Lande durchgeführt. Die Gemeinden wurden kategorisiert. Nur ein Teil von ihnen fiel in die Kategorie der so genannten „Zentralgemeinden“. Und das bedeutete: Die kleineren Gemeinden drum herum führten fortan ein Kümmerdasein. Die Folge: wenig finanzielle Unterstützung und rückläufige Wirtschaftsentwicklung. Dadurch wiederum sah sich der Großteil der Festansässigen gezwungen, in die Stadt zu flüchten. Zurückgeblieben sind die Chalupáři – die Wochenendhäusler.“