Der letzte Graf von Gratzen

Wappen der Grafen von Buquoy
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Verbrecher oder Opfer? Diese Frage stellt sich häufig bei den Nachforschungen zu menschlichen Schicksalen in Zeiten von Krieg und Unfreiheit. Sie ist auch im Fall von Karl Graf von Buquoy aktuell - dem letzten Herrscher über die ausgedehnten Besitzungen rund um Nové Hrady / Gratzen in Südböhmen. Graf von Buqoy starb als Verräter des tschechischen Volkes im kommunistischen Gefängnis, aber viele tschechische Zeitgenossen bezeichnen ihn als guten und redlichen Mann.

Das Urteil, das Karl Buquoy ins Gefängnis brachte, lautete im Wortlaut so:

Im Namen der Republik!

Das außerordentliche Volksgericht in Budweis hat am 7. Mai 1948 Recht gesprochen: Karl Buquoy, geboren am 9. März 1885 in Wien, verheiratet, ehemaliger Großgrundbesitzer in Nové Hrady, wird für schuldig befunden, dass er in der Zeit der Bedrohung der Tschechoslowakischen Republik die nazistische Bewegung unterstützte, die Abtretung des Grenzgebietes guthieß, den so genannten Führer Adolf Hitler lobte, fanatische Nazi-Anhänger in bedeutenden Stellungen beschäftigte und dass er Mitglied der verbrecherischen Organisation SS war. Dadurch hat er ein Verbrechen gegen den Staat begangen und wird zu 13 Jahren Gefängnis verurteilt.

Es gab eine ganze Menge solcher Urteile nach dem Zweiten Weltkrieg in der Tschechoslowakei. Viele Leute wurden als Verräter angeklagt und zu harten Strafen verurteilt – inklusive der Todesstrafe. Dieses Urteil war jedoch besonders: Es wurde nämlich nur vier Monate später verhängt, nachdem das gleiche Gericht Karl Buquoy von der Anklage des Hochverrats freigesprochen hatte. Sind also in dieser Zeit neue Beweise zu Tage gebracht worden? Oder wurde das neue Urteil von dem inzwischen angetretenen kommunistischen Regime bestellt?

Wappen der Grafen von Buquoy
Um diese Frage beantworten zu können, müssen wir tiefer in die Geschichte hineingehen. Die Familie Buquoy besaß die Herrschaft Gratzen seit 1620. Unter den Tschechen hielt sich lange das Gerücht, dass die Buquoys Gratzen von den Habsburgern als Dank bekommen haben für ihre Hilfe in der Schlacht am Weißen Berg. Diese Schlacht galt lange in der tschechischen Überlieferung als Anfang der nationalen Knechtung durch die Österreichische Monarchie, die fast 300 Jahre dauerte. Die Geschichte über die Belohnung der Buquoys für diese Schlacht war falsch, das Verhältnis zwischen der Familie und der tschechischen Bevölkerung wurde dadurch jedoch sehr belastet. Dazu kam noch die Tatsache, dass in der Gegend um Gratzen die Deutschen die Mehrheit stellten. Die Spannungen verschärften sich nach der Entstehung der Tschechoslowakei, erklärt Historiker Luděk Nickermayer vom Südböhmischen Museum in České Budějovice / Budweis.

„Ein Teil der Tschechen war sicher gegen die Buquoy-Familie eingestellt. Diese Leute forderten zum Beispiel im Rahmen der Bodenreform Anfang 20er Jahre eine absolute Enteignung des Buquoyschen Vermögens. Sie sahen in der Person von Karl Buquoy einen Vertreter der ´alten Ordnung´, der vor allem deutsche Nationalisten auf seinen Ländereien beschäftigte. Karl Buquoy wusste davon und bemühte sich sehr, diesen Stachel abzustumpfen: Er knüpfte beispielsweise freundschaftliche Kontakte mit der tschechischen Organisation ´Böhmerwälder Einheit´ und bot ihr einige seiner Gründstücke für ihre Bauten an.“

Am problematischsten im Verhalten von Karl Buquoy waren aus tschechischer Sicht seine Kontakte mit Konrad Henlein. Der Gründer und Vorsitzende der Sudetendeutschen Partei in der Tschechoslowakei gilt bis heute als Verräter des tschechischen Volkes, der Hitler die Zerschlagung der Tschechoslowakei ermöglichte. Karl Buquoy leugnete seine Sympathie für Henlein in den Gerichtsverhandlungen nach dem Krieg nicht, betonte jedoch, dass sich Henlein offiziell und auch vor ihm persönlich für die Erhaltung der Tschechoslowakei ausgesprochen hatte. Er gab auch zu, dass Henlein mit seiner Familie 1937 bei ihm zu Gast war und dass sie zusammen bei einer Veranstaltung der Sudetendeutschen Partei auftraten. Buquoy könne damit aber keine antitschechische Einstellung nachgewiesen werden, meint der Historiker Nickermeyer und weist darauf hin, dass an Buquoys Höfen auch Tschechen beschäftigt wurden.

Schloss Nové Hrady  (Foto: CzechTourism)
„Viele tschechische Angestellte behaupteten nach dem Krieg, dass Karl Buquoy sie sehr gut behandelt hatte. Während des Krieges bewahrte er sogar einige Tschechen vor der Zwangsarbeit, denn er erklärte sie als unentbehrlich für die Wirtschaft auf seinen Ländereien. Eine Familie, deren Mann 1938 während der tschechoslowakischen Mobilmachung zur Armee musste, warnte er vor dem Angriff fanatisierter Nazis und besorgte ihr eine Zuflucht im Landesinneren. Alle diesen Aussagen wurden im ersten Nachkriegsprozess gegen Karl Buquoy als Beweis seiner positiven Einstellung gegen die Tschechen anerkannt.“

Dieser erste Gerichtsprozess fand im Januar 1948 in Budweis statt. Zuvor verbrachte Karl Buquoy fast drei Jahre lang in einem Internierungslager. Gemäß der Beneš-Dekrete verlor er die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft, und sein ganzes Vermögen wurde enteignet. Über den Gerichtsverlauf berichtet der heutige Bürgermeister von Gratzen, Vladimír Hokr:

„Die Anklage beschuldigte Buquoy, dass er die Germanisierung des Gebietes versucht habe, Konrad Henlein aktiv begrüßt hatte, Mitglied der SA und der SS gewesen sei und weitere Schritte gegen das tschechische Volk unternommen habe. Zu jedem Punkt wurden jeweils Zeugen verhört und ihre Aussagen wurden auf ihre Wahrheit geprüft. Einigen Punkten der Anklage schenkte das Gericht keinen Glauben, andere wurden nicht als absichtliche feindselige Tätigkeit bewertet. Deshalb wurde Karl Buquoy freigesprochen. Es lohnt sich, aus dem Urteil wörtlich zu zitieren: ´Der Angeklagte ist ein schwacher Mensch, der wegen des Mangels an Energie nicht in der Lage war, sich der germanisierenden Tätigkeit seiner Angestellten entgegenzustellen, obwohl es offensichtlich ist, dass er persönlich gegenüber nationalen Gesichtspunkten völlig gleichgültig war.´“

Konrad Henlein
Nach diesem Freispruch kehrte Karl Buquoy zurück nach Gratzen und wartete auf die offizielle Genehmigung, aussiedeln zu dürfen. Seine Frau und Kinder waren zu dieser Zeit bereits in Österreich. Ins Schloss, wo die Familie bis 1945 lebte, konnte Karl Buquoy nicht mehr zurück, ansonsten durfte er sich in der Stadt aber frei bewegen und mit allen Leuten sprechen. Seine ehemaligen Mitarbeiter rieten ihm, möglichst schnell über die Grenze zu fliehen, er wollte aber nicht. Dann kam aber das kommunistische Regime an die Macht und bald danach erhielt Karl Buquoy einen erneuten Haftbefehl. Vor dem neuen „Volksgericht“ hatte er keine Chance. 13 Jahre Gefängnis mit harter Lagerstätte jedes Vierteljahr - so lautete das Urteil. Gegen den richterlichen Spruch war keine Berufung möglich. Für den 63-Jährigen war es wie ein Todesurteil, er überlebte seine Inhaftierung nicht. Karl Buquoy starb am 11. Mai 1952 im Gefängnis. In den 90er Jahren bemühte sich sein Enkel Michael um die Aufhebung des Urteils vom Mai 1948 - jedoch erfolglos.

„Es gibt ja ein tschechisches Rehabilitationsgesetz, das für die tschechischen Staatsangehörigen die Möglichkeit eröffnet hat, Urteile aufzuheben, die während der kommunistischen Zeit Unrechtsurteile waren. Ich habe einmal angefragt, ob diese Möglichkeit auch für meinen Großvater bestünde. An der Botschaft wurde mir gesagt, das ist deshalb nicht möglich, weil mein Großvater zur Zeit seiner Verurteilung nicht mehr tschechischer Staatsangehöriger war. Ich bin aber der Meinung, es müsste die Möglichkeit bestehen, das Urteil entsprechend diesem Rehabilitationsgesetz aufzuheben, wenn man feststellt, dass es sich um ein absolutes Unrechtsurteil handelt. Es wäre ein Anliegen unserer Familie, einfach den Großvater zu rehabilitieren“, so Graf Michael von Buquoy.

Karl Buquoy war aus tschechischer Sicht kein Held, aber auch kein Verbrecher, der den Tschechen Schaden bringen wollte. Die Aufhebung des kommunistischen Urteils wäre also auch gegenüber der tschechischen Geschichte gerecht.