Vertreibung anders "geschrieben"

Gertraude Zand (Foto: Autorin)
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Das Thema Vertreibung, Aussiedlung oder Abschiebung der Deutschen aus der ehemaligen Tschechoslowakei ist in aller Munde - besonders bei Anlässen, die dazu einladen, aus dieser Thematik einen Benefit für die eigene Seite zu gewinnen. Wie wird aber dieses Thema in der tschechischen Literatur der zweiten Hälfte des 20. Jahrhundert dargestellt? Darüber hat Bara Prochazkova mit der Herausgeberin des Sammelbandes "Vertreibung, Aussiedlung, Transfer", Gertraude Zand gesprochen. Hören Sie also mehr zum Thema im nun folgenden "Kultursalon":

Gertraude Zand  (Foto: Autorin)
Die Vertreibung der Deutschen aus der ehemaligen Tschechoslowakei wird in der tschechischen Literatur der zweiten Hälfte des 20. Jahrhundert kontinuierlich einseitig dargestellt, der Leser erfährt eher eine Zustimmung zu den Taten der Tschechen als eine kritische Auseinandersetzung der Schriftsteller mit dem Thema, bestätigt die Herausgeberin des Buches "Vertreibung, Aussiedlung, Transfer", Gertraude Zand:

"Die Tendenz ist, dass gerade die erste Phase sehr verharmlosend beschrieben wird, ohne kritischen Abstand. Die Dinge werden bestärkt, bestätigt und gut geheißen. Es gibt etwa Sabotageakte, die bestraft werden. In diesem Zusammenhang melden sich irgendwelche Stimmen, die sagen, dass die Deutschen 'rausgehaut' gehören. Also es gibt manchmal eine gröbere Wortwahl. Der Erzähler hingegen, der die maßgebende Instanz ist, verwendet meistens sehr milde und beschönigende Worte."

Jedoch ist auch hier über die Jahrzehnte hinweg eine gewisse Entwicklung spürbar. Jede Zeit hatte eine eigene Art, mit dem Thema der Deutschen als Teil der tschechischen Gesellschaft sowie mit der Vertreibung umzugehen. Keinen Leser wird es wahrscheinlich überraschen, dass sich in den 50er Jahren ein großer Teil der Literatur parallel zu den gesellschaftlichen Prozessen entwickelt hat. Das Ende des Zweiten Weltkrieges, die Vertreibung sowie die Machtergreifung der kommunistischen Partei haben einen großen Einfluss auf die literarische Welt ausgeübt, sagt die Bohemistikprofessorin aus Wien, Gertraude Zand:

"Wenn man schaut, wo das Thema konkret vorkommt, dann findet man keine qualitätsvollen Werke, die die Vertreibung direkt beschreiben. Es handelt sich oft um Werke, die im 'Staatsinteresse' entstanden sind. Diese Titel wurden von Leuten geschrieben, die sich gerade in der damaligen Zeit in der Kulturpolitik des kommunistischen Apparates auf eine gewisse Weise stark gemacht haben."

In der Nachkriegszeit haben sich zwei Positionen zu den unglücklichen Geschehnissen herausgeformt: Die deutsche und die tschechische Version, die beide teilweise bis heute zu hören sind. Die Aufmerksamkeit der Sudetendeutschen richtete sich auf das gewaltsame Unrecht, oft übersah man aber die Tatsache, dass die Mehrheit der Sudetendeutschen die Ideologien des Nationalsozialismus gut geheißen hatte. Diesen Teil der Argumentation nahmen sich dagegen die Tschechen zur eigenen Wahrheit und vergaßen dadurch oft sie eigene Schuld, die sie am Ende Krieges auf sich geladen hatten. Diese Standpunkte wurden noch durch den Kalten Krieg und durch den Eisernen Vorhang verstärkt. Dass in der Literatur der 50er Jahre die Vertreibung der Deutschen gutgeheißen wird, liegt auf der Hand. Die Absicht der Schriftsteller, mit der die Werke geschrieben wurden und mit der sie gelesen werden sollen, ist leicht zu erkennen, denn die Bücher waren sehr plakativ geschrieben, sagt die Professorin aus Wien, Gertraude Zand:

"Ich schreibe zum Beispiel über den Autoren Vaclav Rezac. Er hat einen Roman geschrieben mit dem Titel 'Nastup', auf Deutsch übersetzt heißt es 'Die ersten Schritte'. Dieses Werk versucht den Zeitgeist literarisch umzusetzen, und die politischen Vorgaben abzubilden. Die Aussiedlung wurde so beschrieben, wie man sie wollte. Literarisch gesehen ist es kein qualitätsvolles Werk."

Vaclav Rezac beschreibt in seinem Buch aus dem Jahr 1951 die Kolonialisierung des Sudetengebietes, also die Vertreibung der Deutschen und die Besiedlung durch die tschechische Bevölkerung. Alles aber ganz klar tendenziell, sagt Zand. Die Auftragsliteratur der 50er Jahre wollte im Geiste der Zeit mitschwimmen, manche Autoren waren von der Richtigkeit des Weges der Vertreibung sowie der Sowjetisierung des Landes überzeugt. Dies spiegelt sich in einer Flut von Werken wider, die die Thematik der Deutschen in der tschechischen Gesellschaft zur Sprache gebracht haben. Die Professorin am Institut für Slawistik an der Universität Wien, Gertraude Zand, beschreibt, wie stark die Schriftsteller in den 50er Jahren mit den Bildern der Vertreibung die Emotionen der Leser angesprochen haben:

"Da gibt es den positiven Helden, der diese Vertreibung forcieren will und gegen alles kämpft, was dem widerstrebt. Und dann gibt es die bösen Deutschen, die Sabotageakte machen und sich zu den Wehrwolfgruppen formieren. Es gibt auch Szenen, wo eine tschechische Familie in das Haus einer deutschen Familie einzieht, die gerade über die Grenze musste. Am Herd ist noch der Topf warm und diese Tschechin, die ein gutes Herz hat, ist ganz gerührt, wie schrecklich das sein musste. Eine andere Person antwortet darauf, dass es aber bei ihnen im Jahr 1938 genauso war, als die Tschechen ausgesiedelt wurden."

In der Literatur der 50er Jahre gab es also auch kritische Stimmen vonseiten der Tschechen gegen die Vertreibung, diese wurden aber sofort entkräftet. Den deutschen 'Helden' der literarischen Stücke werden auch klare Eigenschaften zugeschrieben. Dazu Gertraude Zand:

"Also die deutschen Frauen sind meistens maskulin und heißen Gertrude, es sind eindeutig negative Figuren. Die Deutschen werden fast wie böse wilde dargestellt, meistens aggressiv und widerspenstig. Es gibt aber auch den verängstigten, kranken, alten und bleichen Deutschen, immer mit irgendeiner Form der Aggression oder Degeneration, jedenfalls alles sehr einseitig und negativ beschrieben. Die dominanten deutschen Eigenschaften sind Fanatismus, Gewaltbereitschaft und auch Autoritätsglaube."

Mit der Zeit ist das Thema Vertreibung in den Hintergrund geraten, bis in den 60er Jahren viele Schriftsteller wieder versucht haben, sich der eigenen Geschichte anzunähern. Nicht nur die Vertreibung, sondern zum Beispiel auch die Fehler des Stalinismus wurden kritisch beleuchtet, sagt Gertraude Zand:

Gertraude Zand  (Foto: Autorin)
"In den 60er Jahren ist es interessant, dass dieses Thema nicht mehr so direkt abgehandelt wird. Es kommen eher individuelle Schicksale in den Vordergrund, die in irgendeiner Form mit der Vertreibung etwas zu tun haben. Es ist auch interessant, dass in den 60er Jahren die literarischen Werke neue Impulse für das gesellschaftliche Bewusstsein brachten. In den 60er Jahren gibt es eine neue Sicht auf die Vertreibung, es handelt sich um einzelne Schicksale. Das geht dem gesellschaftlichen und politischen Diskurs voran. In diesem Fall ist die Literatur eher einen Schritt voraus."

Mit der Zeit verschwindet die Thematik langsam aus den tschechischen Büchern, sagt Zand:

"Aus den 70er und 80er Jahren haben wir eigentlich weniger Beispiele gefunden. Es ist eigentlich ein Thema - so scheint uns auch heute -, das sehr schlecht aufgearbeitet wurde. Es ist immer nur irgendwo am Rande."

Die Bohemistikprofessorin Gertraude Zand beschäftigt sich seit Jahren mit Tschechien und schwerpunktmäßig mit der tschechischen Literatur. Bei der Zusammenstellung des Sammelbandes "Vertreibung, Aussiedlung, Transfer" hat sie jedoch besonders nach der Lektüre des Romans von Vaclav Rezac neue Facetten der Vertreibung entdeckt:

"Was für mich sehr interessant war, ist die Erkenntnis, dass nicht nur die Deutschen vertrieben wurden, sondern mit den Deutschen auch ein ganz großer Teil der tschechischen Kultur verloren ging. Die Kolonisatoren, also diejenigen, die diese Aussiedlung betrieben, waren schon im Geist für die kommunistische Macht tätig. Die Deutschen wurden eigentlich vertrieben, um Platz für den Einzug des sowjetischen Imperiums zu schaffen."

Der Grundgedanke für die Herausgabe dieses Bandes war der erwartete Beitritt der Tschechischen Republik zur Europäischen Union und die politischen Diskussionen, die in diesem Zusammenhang in Österreich aufgetreten sind. Gertraude Zand wollte diesbezüglich zeigen, wie das oft diskutierte Thema gerade in der Literatur dargestellt wurde:

"Die Diskussion um die Vertreibung und um die Benes-Dekrete war lange Zeit ein großes Thema in Österreich. Diese Diskussion wurde sehr einseitig, sehr emotional und sehr nationalistisch geführt. In dem Kontext war es für mich logisch, mal nachzusehen, was das Thema Vertreibung, Aussiedlung oder Transfer, wie man auch sagen kann, aus der Sicht eines Literaturwissenschaftlers bedeutet oder wie man dieses Thema in der Literatur vorfindet."

In dem zweisprachigen Sammelband, der im vergangenen Jahr in Tschechien herausgegeben wurde, kommen Literaturwissenschaftler, Historiker und Psychologen sowohl aus Deutschland als auch aus der Tschechischen Republik zu dem Schluss, dass das Thema der Vertreibung in der tschechischen Literatur nicht ausreichend verarbeitet wurde. Aber eins ist klar: Während das Thema Vertreibung in den 50er Jahren auf der Hand lag und viel Material zur Interpretation bietet, wird in späterer Zeit die Suche in den literarischen Werken zur Suche nach der Nadel im Heuhaufen.