Der letzte "tschechische" Zivildienstleistende

0:00
/
0:00

Die Zunft der Zivildienstleistenden ist nicht nur in Deutschland vom Aussterben bedroht. In Tschechien wurde - wie von Radio Prag berichtet - der Wehrersatzdienst am 1. Januar 2005 bereits ganz abgeschafft. Doch Sebastian Kraft ist bei seinen Recherchen auf den letzten Mohikaner unter den Zivildienstleistenden in Tschechien gestoßen - einen Deutschen. Was es damit auf sich hat, verrät er Ihnen in unserer nun folgenden Sondersendung.

Es klingt logisch, dass junge Abiturienten nach der 13-jährigen Schulzeit vor dem Beginn eines Hochschulstudiums einfach mal "raus" wollen. Meist ungeahnte Möglichkeiten bietet hierbei der Zivildienst, den deutsche Wehrdienstverweigerer auch im Ausland ableisten können. Diesen "Anderen Dienst im Ausland" bieten gemeinnützige Organisationen oder kirchliche Gruppierungen an, die hierfür beim Bundesamt für Zivildienstseelsorge einen Antrag auf Freistellung des jeweiligen Dienstleistenden stellen und alle anfallenden Kosten wie Versicherung und Taschengeld übernehmen. Klaus Achatzy, Zivildienstseelsorger im Erzbistum Bamberg, engagiert sich seit Jahren für die Idee, junge Abiturienten vor dem Studium zu einem besonderen Dienst ins Ausland zu schicken. Auf der Suche nach einer passenden Stelle für einen deutschen Zivildienstleistenden lag es für ihn nahe, auch in der benachbarten tschechischen Diözese Litomerice / Leitmeritz einmal anzufragen, ob so etwas grundsätzlich möglich sei. Damit brachte er den Stein ins Rollen:

"Wir haben von Bischof Josef Koukl die Antwort erhalten, dass er die Pfarrgemeinde in Gablonz für am besten geeignet hält, um ein solches Projekt zu realisieren, einerseits aufgrund der Vorraussetzungen in der Gemeinde selbst, andererseits dank der günstigen Bedingungen im Hinblick auf Unterkunft und Verpflegung. So sind wir mit Pfarrer Antonin Bratrsovsky von der Pfarrgemeinde in Gablonz in Verbindung getreten. Er ist dann eines Tages überraschend in meinem Bamberger Büro aufgetaucht und hat dort die ganzen Einzelheiten mit mir besprochen, so dass wir uns im Februar 1996 bereits über die Grundsätze dieses Projektes einig waren. Zwei Monate später bin ich mit dem damaligen Jugendseelsorger Roland Huth nach Tschechien gefahren, um die Dinge vor Ort anzuschauen. Wir waren so überzeugt von der Richtigkeit unserer Entscheidung, dass wir unter den Abiturienten Werbung gemacht haben. Bereits an Weihnachten 1996 hatten wir einen Kandidaten, der bereit war, im Sommer 1997 seinen Dienst zu beginnen. Das war sozusagen der Startschuss für das bis heute andauernde Projekt."

Sechs deutsche Jugendliche haben seitdem ihren Zivildienst in der katholischen Pfarrei in Jablonec nad Nisou / Gablonz an der Neiße abgeleistet, mit Mathias Gebhardt hat ein siebter Anfang September seine Arbeit angetreten. Nicht nur Projektleiter Klaus Achatzy, sondern auch der Gablonzer Dekan Antonin Bratrsovsky, in dessen Pfarrei der Dienstleistende tätig ist, betont den durchschlagenden Erfolg des deutsch-tschechischen Projektes.

"Ich halte die Anwesenheit des deutschen Zivildienstleistenden für sehr wichtig, da er für uns eine große Hilfe darstellt. Er lernt nicht nur Tschechisch, sondern bekommt auch einen Eindruck von unserem Pfarreileben, was er dann mit seinen Erfahrungen in Deutschland vergleichen kann. Da wir eine lebendige Pfarrei mit vielen Jugendlichen sind und er somit von Beginn an ein angenehmes Klima vorfindet, ist die Integration trotz der anfänglichen Sprachhindernisse nie ein Problem. Jeder Zivildienstleistende war für uns bisher ein großer Erfolg."

Da gerade die Sprache der Schlüssel zu neuen Kontakten und Freundschaften ist, steht das Erlernen des Tschechischen für jeden neuen Dienstleistenden im Vordergrund. Da traf es sich gut, dass die mittlerweile 84-jährige ehemalige Deutschlehrerin Cecilia Trojanova sich gleich zu Beginn des Projektes bereiterklärt hat, dem deutschen Abiturienten dreimal die Woche je 90 Minuten privaten Sprachunterricht zu erteilen. Sechs junge Deutsche, die anfangs kein Wort tschechisch sprachen, hat sie schon durch ihren einjährigen Dienst begleitet - alles unentgeltlich. Neben dem Sprachunterricht und den vielen Ausflügen in die Umgebung, die natürlich auch nicht zu kurz kommen sollen, kann der Dienstleistende eine ganze Reihe von Aufgaben in der Pfarrei übernehmen, die Dekan Antonin Bratrsovsky beschreibt:

"Vor allem brauche ich ihn als Chauffeur für meine Dienstreisen, da ich aufgrund meines Alters nicht mehr Auto fahre. Zu seinen weiteren Tätigkeitsfeldern gehört die Jugendarbeit in der Pfarrei, der Deutschunterricht an unserer katholischen Grundschule und ansonsten eigentlich alle Arbeiten, die in der Pfarrei anfallen, also einkaufen, Kirche putzen, Malarbeiten, Reparaturen usw. Es ist aber nicht so, dass der Dienstleistende feste Arbeitszeiten hat oder ein bestimmtes Pensum absolvieren muss. Vielmehr liegt es an ihm selber, wo und mit welchem Engagement er anpacken will. Bisher haben aber alle sechs jungen Deutschen sicherlich wesentlich mehr gearbeitet, als sie bei einer gewöhnlichen Stelle in Deutschland hätten arbeiten müssen. Sie waren sehr gut integriert und es hat Ihnen einfach Spaß gemacht, sich für unsere Pfarrei zu engagieren. Dafür haben sie fast jedes Wochenende geopfert, weil ja gerade Freitag, Samstag und Sonntag die meisten Jugendlichen zu uns kommen."

Über mangelnde Arbeit konnte sich wahrlich noch kein Zivildienstleistender beschweren, da die Pfarrei nicht nur ein großes Pfarrhaus hat, sondern auch mehr als ein Dutzend Kirchen, um die sich nur wenige Leute kümmern. Die vielen Bauten sind allerdings kein Ausdruck von Größenwahn, sondern ein Produkt der Geschichte: Gablonz an der Neiße liegt im ehemaligen Sudetengebiet, wo einmal 90 Prozent der Bevölkerung deutschstämmig und tief katholisch war. Heute gehört diese mittlerweile natürlich überwiegend von Tschechen bewohnte Gegend zu den atheistischsten Landsstrichen der Tschechischen Republik, wo über 70 Prozent der Einwohner keiner Glaubensgemeinschaft angehören. Dieser geschichtliche Aspekt mit der Vertreibung der Sudentendeutschen stellt eine weitere Besonderheit dieser Zivildienststelle dar. Nicht selten kommt es vor, dass Angehörige von Vertriebenen an der Pfarrhaustür klingeln und um den Taufschein ihrer Eltern bitten oder verzweifelt das Grab ihrer Großeltern suchen, die auf irgendeinem Friedhof der Umgebung begraben sein sollen. Da sie meisten kein Tschechisch sprechen, ist es natürlich praktisch, einen Landsmann vorzufinden, der diese Sprache gerade gelernt hat und gerne weiterhilft. Bei alldem, was diese Zivildienstelle - eingebettet in die malerische Landschaft des nordböhmischen Isergebirges - alles zu bieten hat, stellt es für viele Abiturienten doch einen bedeutenden Einschnitt dar, das Leben in behüteter heimischer Umgebung aufzugeben und für ein Jahr ins unbekannte Tschechien zu gehen. Dieser fehlende Mut macht es Klaus Achatzy vom Erzbistum Bamberg häufig auch schwer, überhaupt einen Kandidaten für den Dienst in Gablonz zu finden.

"Es wagen nicht viele den Schritt. Aber diejenigen, die nach Tschechien gehen wollen, reizt insbesondere die Begegnung mit einer bis 1989 für uns ziemlich abgeschlossenen Welt und Kultur. Sie wollen das Leben in einem Nachbarland kennen lernen, das für unsere deutschen Jugendlichen immer noch so unbekannt ist. Dies stellt sich vor allem über die Sprache dar, da Tschechisch in der slawischen Sprachfamilie angesiedelt ist und wenig Assoziationen zu ihren bisherigen Sprachkenntnissen bietet. Darin liegt eine besondere Herausforderung, die diese Projektes auch ein bisschen exotisch macht."

Diese Herausforderung in punkto Sprache muss nun auch Mathias Gebhard meistern, der gerade ein paar Wochen in Gablonz ist, sich aber schon gut eingelebt hat. Was hat ihn dazu bewogen, sich für dieses ungewöhnliche Auslandsjahr in Tschechien zu entscheiden?

"Ich denke, dass Tschechien - was den Fokus der jungen Menschen in Deutschland angeht - nach wie vor ein bisschen stiefmütterlich behandelt wird. Das finde ich eigentlich schade und ich habe mich gerade deswegen gefreut, dass es die Möglichkeit gibt, hierher zu kommen. Ich habe selber festgestellt, dass wir relativ wenig voneinander wissen, obwohl wir direkte Nachbarn sind und eine lange, wenn auch nicht immer glorreiche gemeinsame Geschichte haben. Ich finde das eine spannende Sache, weil doch der Fokus der jungen Menschen eher nach Amerika oder in englischsprachige Länder geht als nach Tschechien."

Spricht man einen der alten Zivildienstleistenden auf sein Auslandsjahr in der Gablonzer Pfarrei an, so gerät er nicht selten ins Schwärmen. Das ist auch bei Dominique Weber zu beobachten, der von August 1998 bis September 1999 seinen Wehrersatzdienst in der nordböhmischen Stadt abgeleistet hat. Heute ist er als Wirtschaftsingenieur tätig und betont rückblickend die herausragende Bedeutung dieses Jahres für seinen Lebensweg:

"Für mich persönlich hat sich im Nachhinein herausgestellt, dass mir dieses Jahr sehr viel Selbstständigkeit gebracht hat. Es hat nicht nur mein Selbstbewusstsein gestärkt, sondern auch den Grundstein für meine heutige Weltoffenheit gelegt. Mit Leuten, die aus dem Ausland kommen, gehe ich jetzt anders um, als ich es früher getan habe, weil ich mich nach den Erfahrungen in Tschechien viel besser in eine fremde Kultur hinein denken kann. Zudem konnte ich viele Freundschaften knüpfen, die ich bis heute noch pflege."

Wenn Sie mehr über die Erlebnisse des aktuellen Zivildienstleistenden Mathias Gebhard erfahren wollen, so können sie seine Tagebucheinträge auf seiner Homepage auf den Seiten von www.erzbistum-bamberg.de in der Rubrik "Jugend" und dann "Zivildienst im Ausland" mitverfolgen. Interessierte Jugendliche, die sich für seine Nachfolge ab September 2006 bewerben wollen, finden dort eine Kontaktadresse der Bamberger Zivildienstseelsorge oder können Fragen auch direkt an den Dienstleistenden richten.