Der menschliche Faktor bleibt unersetzbar: Künstliche Intelligenz und die Kunst

Putzroboter, vollautomatische Suchmaschinen im Internet, selbstfahrende Autos – die Technisierung unserer Lebenswelt schreitet zügig voran und greift in alle denkbaren Alltagsbereiche ein. Immer häufiger wird mit künstlicher Intelligenz auch in Kunst und Kultur experimentiert. Es gibt bereits literarische Texte, denen kaum noch anzumerken ist, dass sie von Computern verfasst wurden. Nun wird in Prag auch das erste Theaterstück uraufgeführt, das keinen menschlichen Autor hat.

Porträt eines Mannes namens „Edmond de Belamy“  (Quelle: Wikimedia Commons,  CC0)

Eines der ersten Gemälde, das ein Computer erschaffen hat, zeigte das Porträt eines Mannes namens „Edmond de Belamy“. Im Oktober 2018 wurde es für umgerechnet 380.000 Euro versteigert. Diese Exklusivität muss künstlich erzeugte Kunst in ein paar Jahren nicht unbedingt mehr haben. Schon jetzt sind Werke anderer Art einem breiten Publikum zugänglich. Der Tschechische Rundfunk hat im Januar eine Kurzserie von fünf Erzählungen präsentiert, deren Autor kein Mensch war. Die Podcast-Serie trägt den Titel „Digitální spisovatel“, also „Der digitale Schriftsteller“. Anna Vošalíková ist die verantwortliche Redakteurin:

„Wenn man sich die Erzählungen anhört, fällt auf, dass sie sehr unterschiedlich sind. Einige von ihnen haben einen kompletten Handlungsbogen, also Anfang, Mittelteil und Ende. Andere wiederum laufen beinahe ins Sinnlose oder ins Endlose und sind wirklich eigenartig.“

„Künstliche Intelligenz: Wenn ein Roboter ein Theaterstück schreibt“  (Quelle: Archiv der Tschechischen Zentren)

Diese Eigenartigkeit ist wiederum einigen der Genres nur zuträglich. Die fünf Texte decken eine breite Skala ab: von Krimi und Horror über Science Fiction bis hin zu einer Liebesgeschichte sowie einer längeren historischen Erzählung. Der Computer, dem sie entstammen, wurde zuvor mit zehntausenden Büchern gefüttert. So verfügt er laut Vošalíková über eine intellektuelle Kapazität, die das Zwei- bis Dreifache des menschlichen Denkvermögens darstellt.

Auch im Prager Švandovo divadlo (Švanda-Theater) hat sich das Team der Drehbuchautoren um ein künstliches Mega-Hirn erweitert. Das Stück „AI: Když robot píše hru“ („Künstliche Intelligenz: Wenn ein Roboter ein Theaterstück schreibt“) hat Ende Februar Premiere. Da ist es sogar irgendwie passend, dass diese wegen der Corona-Vorgaben nur online stattfinden kann. Dramaturg David Košťák fasst den Inhalt zusammen:

„Das Stück gibt einen Eindruck aus dem Leben eines Roboters, der sich in der menschlichen Gesellschaft bewegt und auf ihre verschiedenen Vertreter trifft. Im Prinzip sucht er seinen Platz in diesem Leben. Das könnte eine Art Bestimmung sein oder auch der Platz an der Seite von jemandem Nahestehenden. Dieser Roboter erfährt am meisten über sich selbst und über die Gesellschaft, wenn er mit sehr eindrücklichen Gestalten konfrontiert wird, die jeweils sehr charakteristische Typen der menschlichen Gesellschaft verkörpern.“

Künstliche Intelligenz schreibt schnell und viel

In dem Sinne könne man die Hauptfigur mit dem „Kleinen Prinzen“ vergleichen, so Košťák. Den Impuls zu dieser Inszenierung gab aber ein anderer Vertreter der Weltliteratur. Karel Čápek erfand das Wort „Roboter“ in seinem Stück „R.U.R. – Rossumovi Univerzální Robot“ („Rossums universeller Roboter“), das vor 100 Jahren, genauer am 25. Januar 1921, Premiere hatte.

Was sich seitdem in Sachen künstliche Intelligenz und Theater getan hat, testeten Košťák und seine Kollegen gemeinsam mit einem Team der Mathematisch-physikalischen Fakultät der Karlsuniversität aus. Sie nutzten dafür die frei zugängliche Software GPT-2, die von der Organisation OpenAI entwickelt wurde. Vorgegeben waren jeweils die ersten beiden Repliken eines Dialoges, den Rest erledigte der Algorithmus dann von selbst. Košťák berichtet:

„Einerseits verlief diese Arbeit sehr zügig, denn der Computer verfasst Texte viel schneller als ein Mensch. Andererseits nutzt er die Methode von Versuch und Irrtum. Dadurch kommt es zu einem quantitativen Schreiben. Wir mussten aus den Dutzenden und Hunderten Möglichkeiten jene aussuchen, die uns für die Inszenierung am passendsten erschienen.“

Anna Vošalíková  (Foto: Khalil Baalbaki,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)

Auch Anna Vošalíková konnte die Auswahl der Geschichten für ihren Podcast aus zu Dutzenden generierten Texten treffen. Im Falle des „Digitální spisovatel“ war dem Algorithmus lediglich das Genre vorgegeben, in das die Erzählung passen sollte.

„Ansonsten war unsere Absicht nur, die Technologie zu nutzen, die wir auf unserer Plattform zur Verfügung haben. Der künstlichen Intelligenz wollten wir damit so etwas wie eine künstlerische Freiheit geben.“

Dabei nutzte das Team des Tschechischen Rundfunks nicht nur GPT-2, sondern auch das fortgeschrittene System GPT-3. Dieses wurde bei komplexeren Inhalten eingesetzt, so etwa für den verhältnismäßig langen Dialog zwischen zwei Personen in der historischen Erzählung „Da Vinciho stroj“ („Da Vincis Maschine“). Die restlichen vier Podcast-Teile sind nur aus der Perspektive eines Erzählers verfasst.

Auch die KI macht Fehler

Foto: Alena Hrbková,  Archiv des Švanda-Theaters

Zwei Charaktere waren auch die Höchstgrenze, die der Algorithmus GPT-2 den Mitarbeitern des Švandovo divadlo beim Verfassen ihres Stückes gesetzt hat. Tatsächlich besteht es aus mehreren Einzelszenen, die nicht zusammenhängend entstanden sind, erläutert Košťák:

„Momentan ist die Software in der Lage, einzelne Situationen zu erstellen. Sie ist leider noch nicht so weit entwickelt, dass sie ein ganzes Drama konstruieren könnte, mit allem, was dazu gehört. Bisher hat sie einzelne Dialoge generiert, die wir so arrangiert haben, dass sie einen Sinn ergeben. An der Software wird weitergearbeitet, damit sie in Zukunft eine dramatische Situation erkennen und ein ganzes Theaterstück schreiben kann, in dem sich eine Situation aus der anderen ergibt.“

Foto: Archiv des Tschechischen Rundfunks

Die überraschendsten Momente bescherte die künstliche Intelligenz ihren Nutzern immer dann, wenn sie an dem Gedanken eines Dialoges länger festhielt als erwartet, so Košťák weiter. Die Geschichten des „Digitální spisovatel“ sind wohl vergleichbar mit den einzelnen Szenen des Theaterstücks, denn sie haben zumeist nur eine Länge von ein paar Minuten. In sich geschlossen sind sie nach Meinung von Redakteurin Vošalíková so stimmig, dass sie genauso gut von einem menschlichen Autor stammen könnten.

Nur manchmal horcht man mitten in den Erzählungen auf. Dann nämlich, wenn kleinere Unstimmigkeiten im Text deutlich werden. Denn auch die künstliche Intelligenz arbeitet noch nicht perfekt. Schon in den englischen Originalen, die sowohl den fünf Geschichten als auch dem Theaterstück zugrunde liegen, tauchen gewisse Fehler auf. So werden manchmal etwa Geschlechter oder Ein- und Mehrzahl vertauscht. Mitunter sorgen sie sogar für eine humoristische Konnotation. Sofern sie nicht sinnentstellend waren, sind sie in die tschechische Übersetzung übernommen wurden, bestätigt Vošalíková:

Illustrationsfoto: Gerd Altmann,  Pixabay / CC0

„Wer sich die Texte anhört, kann erkennen, dass sie irgendwie ungewöhnlich sind. Manchmal gibt es Fehler oder kleine Unvollkommenheiten. Wir haben darauf bestanden, dass der ursprüngliche englische Text fast wörtlich übersetzt wird. Gleichzeitig musste er sich aber noch anhören lassen und für das Publikum attraktiv sein. Da hatte unser Übersetzer ziemlich zu kämpfen, denn er musste die Fehler belassen, die ihm aber immer bewusst waren. Das ist so gewollt. Wir wollten den Text nicht zu sehr verschönern, um zu zeigen, was die künstliche Intelligenz wirklich kann.“

Für die Schauspieler, die die Geschichten für den Podcast eingelesen haben, sei es jedoch nicht immer einfach gewesen, sich den linguistischen Eigentümlichkeiten anzunehmen, so die Redakteurin weiter:

Tereza Hofová liest die historische Erzählung „Da Vinciho stroj“  („Da Vincis Maschine“). Foto: Archiv des Tschechischen Rundfunks

„Wir haben bekannte tschechische Schauspieler gebeten, dem Ganzen eine Seele einzuhauchen, die die Texte von sich aus so nicht haben. Die Arbeit daran war so interessant, weil die Geschichten auf Papier gedruckt ganz anders wirken, als wenn sie jemand einspricht. Der Mehrwert durch den menschlichen Input ist wirklich beeindruckend.“

Ein Text, viele Interpretationen

Auch die Schauspieler im Švandovo divadlo standen vor der Aufgabe, den Text des Roboter-Theaterstücks auf sinnvolle Weise zu interpretieren und entsprechend umzusetzen. Dabei wüssten sie eben nichts, wie sonst üblich, von der persönlichen Intention des Autors oder dem breiteren Kontext des Werkes, berichtet Dramaturg Košťák:

David Košťák  (Foto: Barbora Linková,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)

„Bisher kann der Algorithmus noch nichts mit Emotionen anfangen. Er weiß nicht, wie ein Mensch adäquat auf eine konkrete Situation reagiert. Darum ist es immer wieder überraschend, wie er eine Figur handeln lässt, ohne die menschliche Psychologie. Es ist auch eine große Herausforderung für die Schauspieler, die Dialoge zu interpretieren, eben anders als in gewöhnlichen psychologischen und realistischen Denkmustern.“

Es sei zwar eine größere Interpretationsfreiheit gegeben, stimmt der Dramaturg zu. Aber die eigene Theorie zum Text könne mit jeder neuen Szene schon wieder umgeworfen werden.

Illustrationsfoto: Gerd Altmann,  Pixabay,  Pixabay License

Tatsächlich stehen die Nutzung und der Nutzen von künstlicher Intelligenz in der Theaterwelt noch relativ am Anfang. David Košťák bilanziert nach dieser ersten Arbeit, dass der Algorithmus GPT-2 kompakte und lineare Texte wie etwa die des „Digitální spisovatel“ bisher besser bewältige, als Stücke mit mehreren Figuren oder Akten:

„Das Programm generiert bisher primär auf Grundlage wörtlicher Assoziationen. Aber wer sich ein bisschen mit Theater auskennt, der weiß, dass es hier oft gar nicht so sehr darum geht, was gesagt wird, sondern darum, was sich im Gesamtbild abspielt. Theater ist auf die Situation ausgerichtet, nicht nur auf den Text wie in der Literatur. Unser größtes Problem bestand also darin, dass der Computer nicht in Betracht zieht, dass sich der Dialog im Rahmen einer konkreten Situation abspielt.“

Projekt THEaiTre

Damit bleibt noch viel zu tun an Programmierarbeit, bis die künstliche Intelligenz tatsächlich in der Lage sein wird, ein zusammenhängendes Theaterstück zu schreiben. Das Švandovo divadlo bleibt mit seinen wissenschaftlichen Partnern und dem Projekt THEaiTre am Thema dran. Ganz ohne menschliches Zutun wird es aber in naher Zukunft nicht gehen, glaubt Košťák. Dazu fehle den generierten Texten einfach eine gewisse Lebendigkeit:

„Es ist immer noch offensichtlich, dass der Computer etwas repliziert, was wir schon kennen. Insofern können die Theatermacher erst einmal beruhigt sein. Auch in Zukunft wird der Computer den Autor nie wirklich ersetzen können. Er kann ihm aber ein Hilfsinstrument sein. Wenn dem Autor die Ideen ausgehen, kann der Computer Möglichkeiten anbieten, einen Dialog weiterzuführen. Damit ist er eher ein weiteres dadaistisches Mittel, so als ob wir verschiedene Varianten aus dem Hut ziehen. Der Computer schafft das dann einfach schneller.“

Der Podcast „Digitální spisovatel“ steht auf dem Portal des Tschechischen Rundfunks mujrozhlas zur Verfügung. Die Premiere von „AI: Když robot píše hru“ findet am 26. Februar um 19 Uhr unter der Adresse www.theaitre.com statt. Die Tschechischen Zentren übertragen die Aufführung in weiteren Ländern, zum Beispiel unter https://berlin.czechcentres.cz/de.