Der Prager Frühling hatte viele Facetten
Endlich ist es wieder Frühling. Als nun schon lange Jahre in Prag lebender Deutscher aber sage ich ganz bewusst: Jawohl, es ist wieder Prager Frühling. Und das gleich in doppeltem Sinne!
Wie ich das meine? Um diese Frage zu beantworten, machen wir zunächst einen Sprung in die Vergangenheit. Und zwar zurück in das Jahr 1968. Der Begriff „Prager Frühling“ bezeichnete damals die Bemühungen der tschechoslowakischen Kommunistischen Partei unter Alexander Dubček, einen „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ zu schaffen. Dazu wollten die Reformkommunisten ab dem Frühjahr 1968 ein Liberalisierungs- und Demokratisierungsprogramm durchsetzen, in das auch eine sich rasch entwickelnde kritische Öffentlichkeit einbezogen werden sollte. Wie man weiß: dieser Versuch ist gescheitert. Er wurde gewaltsam niedergeschlagen durch die am 21. August 1968 in Prag einmarschierenden Truppen des Warschauer Paktes.
Die Bezeichnung „Prager Frühling“ stammt von westlichen Medien und ist eine Fortführung des Begriffs „Tauwetter-Periode“, der wiederum auf das Buch „Tauwetter“ von Ilja Ehrenburg zurückgeht. In Prag selbst wird unter „Prager Frühling“ hauptsächlich ein Musikfestival verstanden, das in einem Monat, ab dem 12. Mai, schon zum 65. Male stattfindet.
Der erste richtige Frühlingsmonat ist der April. Seit dem vergangenen Jahr ist der April für mich ausdrücklich auch ein fester Bestandteil des Prager Frühlings. Warum? Nun, am 5. April 2009 hat US-Präsident Barack Obama in Prag eine für die Weltöffentlichkeit bedeutende Grundsatzrede gehalten. Ein wichtiger Punkt darin war: Er, Obama, werde sich für eine atomwaffenfreie Welt stark machen. Ein beispielloses wie nahezu unerfüllbares Vorhaben, meinten viele, auch wenn sie in Obama durchaus einen neuen Hoffnungsträger sahen. Für diese Bemühungen wurde Barack Obama bereits im vorigen Dezember der Friedensnobelpreis verliehen. Überzogene Vorschlusslorbeeren? Mitnichten! Schon in diesem Frühjahr haben Obama und der russische Präsident Dmitri Medwedew erste Nägel mit Köpfen gemacht. Am vergangenen Donnerstag haben beide einen neuen Abrüstungsvertrag unterzeichnet. Einen Vertrag, laut dem sich beide Supermächte verpflichten, die Anzahl ihrer atomaren Sprengköpfe zu reduzieren. Und wo wurde dieser gewichtige Schritt am 8. April besiegelt? Woanders sonst als in Prag!
Nun, verstehen Sie jetzt, weshalb ich mich für den „Prager Frühling“ der Gegenwart wieder richtig begeistern kann? Bleibt nur zu hoffen, dass dem Tauwetter an der Rüstungsfront ein nachhaltig besseres Schicksal beschieden ist als dem Prager Frühling von 1968.