Der Rosenkavalier in der Prager Staatsoper
Kommende Woche erlebt eine Neuinszenierung von Richard Strauss‘ „Der Rosenkavalier“ in der Prager Staatsoper Premiere. Für die musikalische Bearbeitung ist diesmal Gabriel Feltz verantwortlich, der Generalmusikdirektor am Theater Dortmund ist. Und Regie hat der Intendant des Zürcher Opernhauses, Andreas Homoki. Martina Schneibergová hat mit den Künstlern während einer der Proben gesprochen.
Herr Feltz, Sie haben den Rosenkavalier als einen „wirklichen Klassiker“ bezeichnet. Was unterscheidet ihn denn von den anderen Werken von Richard Strauss?
„Der Entstehungszeitpunkt in Strauss´ Komponistenbiografie ist interessant: In der ‚Elektra' war das Orchester sehr groß und laut, die Musik dramatisch. Außerdem sollten die Stimmen von Elektra und Orest so kräftig wie möglich klingen. Diese musikalischen Superlative waren ein häufiges Phänomen dieser Zeit. Wir hören sie auch in Schönbergs Gurre-Liedern. Dann fällten alle Komponisten plötzlich die gleiche Entscheidung: Die Orchestergrößen wurden reduziert und die Stücke moderner und progressiver. Das betraf auch Richard Strauss. Das Orchester seines ‚Rosenkavaliers' ist groß, aber nicht zu vergleichen mit dem von ‚Elektra'. Außerdem gewann die Sprache einen neuen Charakter. Sie ist weniger dramatisch und sensationell. Dafür enthält sie komödiantische Elemente und eine riesige Menge an Text – so viel Text, wie ich es aus kaum einer anderen Oper kenne. Die Musik wurde zu einer interessanten Mischung aus Wiener Walzer und Menuett, dramatischeren und moderneren Passagen. Ich würde das alles als hintergründig intelligent und teilweise sehr komisch bezeichnen. Das macht den ‚Rosenkavalier' zu einem Meilenstein. Der Schritt zwischen ihm und der ‚Elektra' war sehr groß.“
Für diese Entwicklung spielt doch bestimmt auch das Libretto von Hugo von Hofmannsthal eine große Rolle…
„Ja, absolut. Und ich denke, dass Strauss – genauso wie die anderen Komponisten – gespürt hat, dass das Limit der Personen auf der Bühne erreicht war. Immer größer zu werden, das ging nicht mehr. Also mussten sie neue Wege finden, und das ist Strauss besonders gut gelungen.“
Wie verlief Ihre Zusammenarbeit mit den Solisten und dem Orchester hier in der tschechischen Staatsoper?
„Sehr gut. Ich empfinde das Haus als angenehm – ein tolles, traditionsreiches Theater. Auch architektonisch gefällt mir das Gebäude, insbesondere der Orchestergraben. Um gleich beim Orchester zu bleiben: Insgesamt haben wir zusammen einen sehr produktiven Arbeitsrhythmus etablieren können. Nach harter und langer Arbeit an der Partitur bin ich zuversichtlich, dass das Ergebnis gut wird. Auch die stimmlichen und darstellerischen Leistungen der Sängerinnen und Sänger gefallen mir.“
Für viele jüngere Opernbesucher wird das hier in Prag die erste Begegnung mit dem „Rosenkavalier“. Empfehlen sie ihnen diese Erfahrung?
„Unbedingt! Man sollte sich am besten vorher schon mit dem Stück beschäftigen und es einmal lesen, denn durch die deutsche Sprache könnten Verständigungsprobleme auftreten. Der ‚Rosenkavalier' ist natürlich nicht so eingängig wie zum Beispiel ‚Madame Butterfly' und die Handlung ist komplizierter, aber trotzdem lohnt sich der Besuch.“
Wie ist Ihre Beziehung zur tschechischen Musik?
„Ausgezeichnet. Symphonisch gesehen habe ich zwei Lieblingswerke, die ich auch oft dirigiert habe: ‚Asrael' von Josef Suk und die ‚Sinfonietta' von Leoš Janáček. Von Janáčeks Opern habe ich dirigiert ,Die Ausflüge des Herrn Brouček‘, ,Aus einem Totenhaus‘ und ,Katja Kabanowa‘.“
Herr Homoki, Sie haben den Rosenkavalier schon zweimal inszeniert. Wird sich die Prager Version von den anderen Inszenierungen unterscheiden?
„Ich habe die Oper in den 1990er Jahren in Basel inszeniert. Damals war ich nur teilweise mit dem Ergebnis von mir selber zufrieden. Später bin ich eigentlich aus einer Notsituation heraus für einen Regisseur an der Komischen Oper in Berlin eingesprungen. Ich habe mich damals kurz entschlossen, das Stück zu machen und dazu meine Basler Variante zu verändern, zu vereinfachen. Das war dann sehr erfolgreich, und ich war damit sehr zufrieden. Als Per Boye Hansen (künstlerischer Leiter der Oper am Prager Nationaltheater und der Staatsoper, Anm. d. Red.) mich gebeten hat, den Rosenkavalier in Prag zu machen, haben wir uns die Bühne angeschaut. Dabei haben wir festgestellt, dass bestimmte Dinge, die wir in Berlin machen konnten, hier aus Platzgründen nicht gingen, sodass wir den dritten Akt ein wenig anders gestalten mussten. Die ,Prager‘ Fassung bezieht sich vor allem auf den dritten Akt.“
Sie haben zuvor von einer Zeitreise gesprochen. Wie meinten Sie es?
„Dieses Stück basiert auf dem merkwürdigen artifiziellen Rokoko, was eigentlich kein wirkliches Rokoko ist. Es ist wie ein Jugendstil-Rokoko, ein nachempfundenes Rokoko mit einer sehr künstlichen Sprache, mit bestimmten Dingen, die es gar nicht gibt. Dieses Ritual mit der Rosenüberreichung ist komplett frei erfunden. Das heißt: Wir schauen durch die Brille des Menschen von 1910 auf eine idealisierte Vergangenheit, die sich verändert. Das ist das Thema des Stücks. Die alte Aristokratie ist zunehmend im Niedergang begriffen. Baron Ochs ist dafür ein Beispiel – ein Landadeliger, der pleite ist und jetzt unbedingt eine Heirat mit einer Bürgerlichen braucht, die jetzt wieder geadelt wird. Die Marschallin steht noch für das Große, für die Konstante. Die Welt ist also noch ein bisschen in Ordnung, aber man spürt an den Figuren wie Ochs und Faninal, dass da eine starke Änderung ist. Das war für uns der Anlass, zu überlegen: Das Stück wurde 1910 geschrieben. 1910 ist die Zeit unmittelbar vor dem Ersten Weltkrieg, vor dem Zusammenbruch der letzten, politisch auf Aristokratie basierten Ordnung in Europa. Das ist eine schöne Idee, dass das Stück in einem Raum spielt, der irgendwie ewig ist, der immer da ist. Es ist ein leerer Raum, und für die Menschen draußen vergeht die Zeit, aber drinnen vergeht die Zeit nicht. Das gibt eine sehr schöne Metaebene für dieses Stück und für den Verlauf der Oper und akzentuiert ein bisschen das philosophische Thema, das vor allem von der Marschallin artikuliert wird - im ersten Teil richtig philosophisch. Der Octavian muss natürlich seinen eigenen Weg gehen, mit der jungen Frau geht er in die Zukunft, die Marschallin bleibt zurück. Diese Erzählung, diese Zeitreise bietet einen interessanten Bogen darüber und gibt dem Stück noch eine zusätzliche Melancholie und vielleicht auch eine philosophische Bedeutung.“
Es ist fast ein Konversationsstück. Der Text von Hugo von Hofmannsthal ist nicht gerade einfach. Ist es für die Solisten schwieriger als andere Opernrollen?
„Ja, es ist das schwerste Stück, das es gibt – für die Darsteller, für den Regisseur und auch für das Orchester und den Dirigenten. Es ist eigentlich ein Versuch, ein gesprochenes Theater in Musik abzubilden. Es gibt turbulente Szenen, wo mehrere Sachen gleichzeitig passieren. Es lohnt sich, wenn man deutsch kann, den Text zu lesen, nicht weil man sonst die Handlung nicht versteht, sondern weil die Texte so schnell kommen, dass es da immer etwas zum Entdecken gibt. Ich kenne das Stück natürlich sehr gut und habe Spaß daran, wenn diese Szenen wie ein Uhrwerk ablaufen. Die Partitur kreiert die lebendigen Theaterfiguren, die miteinander in dynamische Aktion treten.“
Wie gelang es den Solisten in ihre Rollen zu schlüpfen?
„Sehr gut. Wie Per Boye Hansen zuvor sagte, sind es alles Debüttanten, was den Rosenkavalier betrifft. Ich bin sehr erstaunt, wie gut sie das machen. Sie sind wirklich phantastisch, ich freue mich sehr darüber – nicht nur die Hauptprotagonisten, sondern auch die kleinen Partien wie die Marianne Leitmetzerin oder der Hofmeister. Das sind alles ganz tolle Typen, und es macht Spaß.“
Herr Homoki, wie ist Ihre Beziehung zu tschechischen Opern?
„Ich liebe die tschechische Musik sehr, natürlich die symfonische Musik – Dvořák, Smetana und Janáček. Ich habe die Verkaufte Braut und das Schlaue Füchslein inszeniert. Das war beides an der Komischen Oper in Berlin auf Deutsch. Für mich ist die Einheit von Text, Musik und Darstellung immer wichtig. Wenn ich in Zürich oder an anderen Orten international arbeite, muss ich das auf Tschechisch machen, und da habe ich einen großen Respekt. Deswegen habe ich keine tschechische Oper auf Tschechisch gemacht, weil ich das Gefühl habe: Was soll ich dem Darsteller sagen? Ich kann das nicht überprüfen. Deswegen fehlt bei meinen Inszenierungen ein bisschen das Tschechische.“
Die Premiere der Neuproduktion vom Rosenkavalier findet am Donnerstag, 24. November um 19 Uhr in der Staatsoper statt. Es gibt noch Restkarten.