Der sozialdemokratische Freie Radiobund in der Ersten Tschechoslowakischen Republik

WLS Freier Radiobund II

Die Entwicklung der Medien war in der Zwischenkriegszeit geprägt vom Siegeszug des Radios. In der Tschechoslowakei wollte auch die deutsche Sozialdemokratie an dem Trend teilhaben und Einfluss nehmen. Dazu wurde 1924 der Freie Radiobund gegründet.

Der Rundfunk feiert hundert Jahre – rozhlas slaví sto let | Foto: Tschechischer Rundfunk

Der Tschechische Rundfunk hat in diesem Jahr seinen 100. Geburtstag gefeiert. Im Mai 1923 wurde damit begonnen, regelmäßige Sendungen auszustrahlen. Nur etwa ein Jahr später – genau am 24. Mai 1924 – entstand im Umfeld der deutschen Sozialdemokratie in der damaligen Tschechoslowakei der Freie Radiobund. Man habe unter anderem dem neuen Medium Radio eine eigene proletarische Form verleihen wollen, sagt Thomas Oellermann vom Büro der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung in Prag. Der Historiker erläutert:

„Der Freie Radiobund, 1924 in Teplitz gegründet wurde, hatte zum Ziel, die Arbeiterbewegung an den Rundfunk heranzuführen. Das andere Ziel war aber auch das neue Medium. Man muss sich das wie die Debatten der heutigen Zeit vorstellen – etwa über die künstliche Intelligenz oder vor 25 Jahren über das Aufkommen des Internets. Auch damals kam ein Medium auf, das eine unheimliche Kraft besaß. Es war weltverbindend und lieferte Informationen. Und die sudetendeutschen Sozialdemokraten der Tschechoslowakei haben versucht, dieses Medium irgendwie zu behandeln. Das bedeutete, es politisch zu begleiten, unter anderem mit Forderungen.“

Thomas Oellermann | Foto: Fatima Rahimi,  Tschechischer Rundfunk

Dabei sei der Freie Radiobund aber keine Gründung von unten gewesen, betont Oellermann…

„Es war nicht wie sonst in der Arbeiterbewegung ein Zusammenschluss lokaler Arbeiter, sondern eine Gründung von oben. Da hat wirklich die Deutsche Sozialdemokratische Arbeiterpartei (DSAP, Anm. d. Red.) gesagt: ‚Wir haben hier ein Thema, nämlich das neue Medium, und das müssen wir irgendwie begleiten und uns politisch damit befassen. Und deswegen gründen wir den Freien Radiobund.‘“

Wichtigster Funktionär in der neuen Organisation ist der in Teplitz-Schönau geborene Sozialdemokrat Leopold Goldschmidt, der von 1924 bis 1938 als Redakteur bei der DSAP-Parteizeitung „Sozialdemokrat“ in Prag arbeitet. Er wird Obmann des Radiobundes.

Die Gründung fiel in die Geburtsphase des Rundfunks. Dennoch gab es Vorbilder.

„Recht schnell gab es Zusammenschlüsse mit deutschen Arbeiter-Rundfunkamateuren, wie sie sich auch genannt haben, sowie mit österreichischen. Relativ große Arbeiterrundfunkbewegungen bestanden zudem in Holland, Belgien und den skandinavischen Ländern. Ich glaube aber, das größte Vorbild war sowohl die deutsche als auch die österreichische Organisation“, so Thomas Oellermann.

Soz.dem. 3.10.1925 Nr.230 Radiofreunde | Foto: Tageszeitung Sozialdemokrat

Schon im Dezember 1925 schließen sich die Arbeiterradioverbände aus mehreren Ländern zusammen. In der entsprechenden Resolution heißt es unter anderem:

„Arbeiterradiofreunde aller Länder, vereinigt euch! Es lebe die Radiointernationale als Verständigungsmittel des Weltproletariats.“

Nur zwei Jahre später entsteht auch wirklich die Arbeiterradiointernationale unter Beteiligung des Freien Radiobundes. Und 1930 findet ein großer Arbeiterradiokongress in Prag statt.

Selbstbau von Radioempfängern

Foto: Martina Schneibergová,  Radio Prague International

Statt einer internationalen Ausrichtung beschäftigt man sich im Freien Radiobund eigentlich mit dem Geschehen rund um den Rundfunk in der Tschechoslowakei. Und es entstehen recht schnell zahlreiche Ortsgruppen – von Karlovy Vary / Karlsbad über Ústí nad Labem / Aussig und Liberec / Reichenberg bis nach Brno / Brünn. Die Arbeit habe dabei zwei Schwerpunkte gehabt, sagt Oellermann:

„Zum einen hat man versucht, den sich gründenden Ortsgruppen zu Geräten zu verhelfen. Das bedeutet, dass dort Geld gesammelt wurde, um sich auf dem Markt Geräte anzuschaffen. Aber auch der Eigenbau von Radioempfängern war sehr wichtig. Zum Beispiel gab es in Prag, wo der Freie Radiobund seinen Sitz hatte, eine Beratungsstelle für den Selbstbau. Da ging es darum, wie sich aus Einzelteilen Radioapparate fertigen lassen.“

Der zweite Schwerpunkt ist politischer Natur. So schreibt damals die Parteizeitung „Sozialdemokrat“ in einem begleitenden Aufruf zur Gründung der Prager Zweigstelle:

„Sind nicht ähnliche Wunder Wirklichkeit geworden? Haben wir nicht Wagen auch, die ohne Pferde fahren, und Fahrzeuge, die ohne Pferde fliegen? Und wie viele Kinder – nein – wie viele Kinder des Proletariats genießen sie?“

Thomas Oellermann | Foto: Tschechischer Rundfunk

Dazu Thomas Oellermann…

„Die Kernfragen hierbei lauteten: Wer macht Rundfunk, und wer hat die Macht darüber? Es ist ein klassisches Bild aus der Arbeiterbewegung zu sagen, es bestehe – verkürzt ausgedrückt – oben eine Klasse der Kapitalisten, und die kontrolliert viele Elemente des Lebens und eben auch den Rundfunk. Deswegen war eine der größten Forderungen des Radiobundes immer eine Demokratisierung des Rundfunks. Das bedeutete eine Teilhabe an der Programmgestaltung.“

Drahtfunkempfänger "Elefantenohr" | Foto: Martina Schneibergová,  Radio Prague International

Der große Wunsch dabei ist der eines deutschsprachigen Senders in der Ersten Republik. Bis es dazu kommt, ist das Angebot vergleichsweise bescheiden:

„Es gab täglich eine deutsche Programmstunde mit unterschiedlicher Gestaltung. Einmal war es klassische Musik, am Folgetag ging es dann vielleicht um Beratungsthemen, wie man es heute nennen würde. Und an einem weiteren Tag gab es auch eine Arbeitersendung, an deren Programmgestaltung dann ebenfalls die sudetendeutsche Sozialdemokratie beteiligt war. Aber angesichts des gesamten Sendungsumfangs war das natürlich nur die Nadel im Heuhaufen“, so Oellermann.

1938 nimmt dann ein deutschsprachiger Sender seinen Betrieb auf: der Sender Mělník. Der Historiker sagt aber:

„Das war ein langer Weg. Die Forderung nach einem solchen Sender gab es seit 1924. Schon damals sagten die sudetendeutsche Sozialdemokratie und speziell der Freie Radiobund: Es braucht ein deutsches Programm, weil 3,5 Millionen deutschsprachige Bürger in dieser Republik leben, die aber kein durchgehendes Rundfunkprogramm in ihrer Sprache haben.“

Foto: Martina Schneibergová,  Radio Prague International

Als dann der Sender kommt, ist dies viel zu spät. Denn über Jahre hinweg haben die deutschen Reichssender nationalsozialistische Propaganda in die Sudetengebiete gefunkt. Auch das ist ein Baustein, der die Henlein-Bewegung stark macht, zur Sudetenkrise führt und letztlich in der Okkupation der mehrheitlich deutschsprachigen Gebiete der Tschechoslowakei durch Nazi-Deutschland mündet. In der Folge wird der Freie Radiobund wie auch alle anderen sozialdemokratischen Organisationen verboten, und viele Mitglieder fliehen ins Ausland. Obmann Leopold Goldschmidt emigriert zum Beispiel zunächst nach Frankreich und 1940 dann nach Großbritannien. Später geht er in die Bundesrepublik.

Demokratische Alternative

Thomas Oellermann bezeichnet den Freien Radiobund als „bedeutenden deutschen Beitrag zu einer demokratischen Radiokultur in der Ersten Tschechoslowakischen Republik“. Zugleich betont der Historiker, dass es sich keinesfalls um eine Massenbewegung gehandelt habe:

„Wir reden über eine Organisation, die knapp zwanzig Ortsgruppen hatte – hauptsächlich im sogenannten Sudetenland. Diese Ortsgruppen hatten im Schnitt 50 Mitglieder, sodass dem Radiobund ein paar Hundert Menschen angeschlossen waren. Allerdings hatte diese Organisation in der Arbeiterbewegung noch einen Wirkungsbereich, der darüber hinausging, weil der Freie Radiobund zum Beispiel Rundfunkstunden eingeführt hat. Man kam also zusammen, um gemeinsam Radio zu hören. Und das hatte dann eine etwas größere Reichweite.“

Foto: Archiv von Martina Pohl

Wichtigster Punkt jedoch: Es handelte sich um eine Hörerorganisation…

„Dieser Freie Radiobund war der Ausdruck eines gewissen Hörerwillens, natürlich aus einer bestimmten politischen Ecke. Das ist durchaus interessant, wenn man auf diese 100 Jahre Tschechoslowakischer Rundfunk schaut. Es gab also eine Gruppe, die das Programm hörte, aber den Rundfunk auch ein bisschen anders gestalten wollte – aus ihrer Sicht demokratischer und mit mehr politischen Inhalten. Das ist spannend zu sehen, weil es ja in den 1930er Jahren eine Radikalisierung gab in weiten Teilen der sudetendeutschen Gesellschaft. Und da spielt eben der Großdeutsche Rundfunk aus dem Dritten Reich eine bedeutende Rolle. Von daher finde ich es wichtig, den Freien Radiobund mehr in den Fokus zu rücken. Denn er war wirklich eine demokratische Alternative, wenn man über Rundfunk in den 1920er und 1930er Jahren redet.“

Autor: Till Janzer
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