Parteichef in schweren Zeiten: Ludwig Czech und die sudetendeutsche Sozialdemokratie

Ludwig Czech

Er führte die längste Zeit die Deutsche Sozialdemokratische Arbeiterpartei der Tschechoslowakei (DSAP): Ludwig Czech. Und er stand für eine aktive Teilnahme der Sudetendeutschen am politischen und gesellschaftlichen Geschehen des Landes. Doch letztlich wurde Czech nach mehr als 16 Jahren an der Parteispitze abgesetzt. 1938/39 floh er dann nicht wie andere sudetendeutschen Sozialdemokraten aus der Tschechoslowakei. Ludwig Czech starb vor 80 Jahren im KZ Theresienstadt.

Ludwig Czech ist sogar in einem Film zu sehen. Es ist ein Streifen des Regisseurs František Holý über die Dritte tschechoslowakische Arbeiterolympiade, die 1934 in Prag stattfand. Czech hielt damals eine kämpferische Rede. Denn dieses Festival des Arbeitersports fand nur ein Jahr nach Hitlers Machtergreifung in Deutschland statt. Und den Sozialdemokraten ging es darum, klar Stellung zu beziehen gegen Nationalsozialismus und Faschismus.

Ludwig Czech war zur Zeit der Veranstaltung der Parteivorsitzende der DSAP, also der Deutschen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei der Tschechoslowakei. Da diese mit in der Regierung saß, fungierte Czech zudem als Minister – und zwar für öffentliche Arbeiten. Der Historiker Thomas Oellermann ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung in Prag und Fachmann für die sudetendeutsche Sozialdemokratie. Über Ludwig Czech sagt er:

„Er hatte eine große Bedeutung für die sudetendeutsche Sozialdemokratie, denn er war der Nachfolger von Josef Seliger, dem Gründer der Deutschen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei in der neu entstandenen Tschechoslowakischen Republik. Seliger starb dann recht unglücklich an einer nicht geheilten Krankheit. Daraufhin wurde Ludwig Czech Vorsitzender. Er führte die Partei – und das ist das Entscheidende – in den sogenannten Aktivismus. Das war die Politik der konstruktiven Teilhabe. Das heißt, die sudetendeutschen Sozialdemokraten waren bereit, an den Geschicken des tschechoslowakischen Staates mitzuwirken. Sie ließen sich ins Parlament wählen, und letztlich waren sie auch an der Regierung beteiligt. Aber vor allem machten sie konstruktive Politik. Und das nicht nur in der Machtzentrale in Prag, sondern auch in den Gemeinden. Das große Verdienst von Ludwig Czech war, die DSAP auf diese Linie gebracht zu haben.“

28. Oktober 1918 in Prag  | Foto: Archiv des Nationalmuseums in Prag

Denn in den ersten Jahren nach der Staatsgründung von 1918 verhielten sich die Sozialdemokraten noch nicht aktivistisch. Als Erste traten stattdessen einige bürgerliche Parteien der Sudetendeutschen in die tschechoslowakische Regierung ein. Gänzlich gegen die Mitwirkung stellten sich hingegen die nationalistischen Gruppierungen.

Zweisprachig und kein Arbeiter

Ludwig Czech stammte ursprünglich aus Lemberg in der heutigen Ukraine. Im Februar 1870 wurde er in der damals zu Österreich gehörigen Stadt geboren. Der Vater hatte in Lemberg ein kleines Café gepachtet, konnte die Familie aber nur mühsam ernähren. Man kehrte dann ins mährische Brno / Brünn zurück, der Heimatstadt des Vaters. Ludwig Czech studierte an der Universität in Wien und machte dort auch seinen Abschluss.

Foto: Radio Prague International

„Er war Jurist, interessierte sich aber recht bald auch für Politik und fand Anschluss an die aufkommende Arbeiterbewegung. Schon in den 1890er Jahren ging er diesen Weg und war 1899 bereits die führende Figur der deutschen Sozialdemokratie in Mähren. Dazu muss man aber sagen, dass er nicht den klassischen Sozialdemokraten in den Böhmischen Ländern repräsentierte. Denn das waren eigentlich Leute, die aus der Arbeiterschicht stammten. Er kam zwar nicht gerade aus gehobenen Verhältnissen, hatte aber andere Möglichkeiten in seinem Leben – weil er studieren konnte. Czech stand für eine gewisse Schicht von Intellektuellen, die es auch in der Sozialdemokratie gegeben hat. Doch typisch waren eher jene, die aus einfachsten Verhältnissen kamen“, erzählt Thomas Oellermann.

Aber nicht nur das unterschied Czech von den meisten seiner Genossen, sondern ebenso seine Sprachkenntnisse. Denn er konnte neben Deutsch auch fließend Tschechisch…

„Das ist schon so ein gewisser Gegenentwurf zu seinem Vorgänger Josef Seliger, der aus dem deutschsprachigen böhmischen Norden stammte. Aber es unterscheidet Czech auch von seinem Nachfolger Wenzel Jaksch, der aus Südböhmen kam, Tschechisch dann jedoch relativ passabel gelernt hat. Czech beherrschte die Sprache hingegen schon von Anfang an, weil er aus Brünn stammte. Das war auch für die politische Arbeit unglaublich wichtig, da er problemlos mit den anderen Politikern kommunizieren konnte – so auch in der Regierungskoalition ab 1929“, so der Historiker.

Thomas Oellermann | Foto: Fatima Rahimi,  Tschechischer Rundfunk

Die DSAP war ab jenem Jahr bis April 1938 in allen tschechoslowakischen Regierungen vertreten. Und Ludwig Czech übernahm immer auch eine Funktion als Minister. So kümmerte er sich zunächst und mitten in der Weltwirtschaftskrise um die Sozialfürsorge in der Tschechoslowakei. 1934 wurde er dann Minister für öffentliche Arbeiten und 1935 Gesundheitsminister.

Für positiv hält Historiker Oellermann, wie schnell Czech damals Notprogramme auflegte, um die Ernährung in den tschechoslowakischen Krisengebieten zu sichern. Dies betraf gerade die deutschsprachigen Sudeten, die stark industrialisiert waren und in denen ein Unternehmen nach dem anderen pleiteging. Auf seine Initiativen ging Czech zum Beispiel auch im Mai 1935 in einer Rundfunksendung für die deutschen Arbeiter in der Tschechoslowakei ein. Leider gibt es die Radioansprache nur in schriftlicher Aufzeichnung. Unter anderem sagte der Sozialdemokrat:

„Im Industriegebiete besteht schwere Wohnungsnot. Die Regierung schützte die bedürftigsten Mieter während der ganzen Krisenzeit durch gesetzliche Maßnahmen. Sie gewährte Bauzuschüsse und in die Milliarden gehende Baugarantien und ermöglichte dadurch die Herstellung von vielen zehntausenden proletarischen Wohnungen.“

Und an anderer Stelle:

„Die Regierung hat das Hilfswerk der staatlichen Ernährungsaktion ins Leben gerufen. Sie hat die Ausgabe von Naturalleistungen an die Arbeitslosen (Milch, Brot, Zucker, Kohle usw.) als Ergänzung der Ernährungsaktion durchgeführt. Sie hat in den Jahren 1930 bis 1935 drei Milliarden Kronen für Arbeitslosenzwecke aufgewendet.“

Menschenmassen versammeln sich nach dem Wall-Street-Crash von 1929 vor der New Yorker Börse | Foto: Associated Press / Wikimedia Commons,  public domain

Doch insgesamt zieht Thomas Oellermann eine gemischte Bilanz von Ludwig Czechs Wirken als Minister:

„Das Problem war, dass er sich noch so anstrengen konnte, aber alle seine Maßnahmen gegen den immensen Druck der Weltwirtschaftskrise nichts auszurichten vermochten. An die Krise war zudem der Erfolg der Nationalsozialisten in Deutschland gekoppelt und später auch ihrer Stellvertreter in den Sudetengebieten.“

Abwahl und deutscher Einmarsch

Wenzel Jaksch  (rechts)  | Foto: Friedrich Magnussen,  Wikimedia Commons,  CC BY-SA 3.0 DE

Ludwig Czech blieb dabei Anhänger einer realistischen Politik. Unter anderem dies kostete ihn beim Parteitag 1937 in Prag den Vorsitz in der DSAP, er wurde durch Wenzel Jaksch ersetzt. Denn andere politische Kräfte bis hin zu den Nationalsozialisten machten große Versprechungen. Und innerhalb der sudetendeutschen Sozialdemokraten rumorte es, man wollte eine Politik und ein Programm mit mehr Durchschlagskraft. Ein weiteres Problem war laut Oellermann, dass Czech im klassischen Marxismus dachte:

„Er sagte unter anderem, dass sich alle Probleme in der Tschechoslowakei – zum Beispiel auch nationaler Art – durch eine Verbesserung der sozialen Situation lösen ließen. Das mag richtig gewesen sein. Allerdings war die nationale Frage durch den Nationalsozialismus und auch die Sudetendeutsche Partei stark in den Vordergrund gestellt worden. Und Wenzel Jaksch, ein junger Nachwuchspolitiker, forderte daher, dass die Sozialdemokratie in der nationalen Frage mehr tun müsse. Man müsse auch ein klares Statement abgeben, wie man sich die Tschechoslowakei vorstelle und wie die Minderheiten- und die Nationalitätenpolitik auszusehen habe.“

Protektorat Böhmen und Mähren | Foto: XrysD,  Wikimedia Commons,  CC BY-SA 3.0

Selbst mit ihrer Neuausrichtung konnte die DSAP aber nichts mehr erreichen. Zu sehr war die politische Lage bereits festgefahren und Hitlers Einmarsch nur noch eine Frage der Zeit. Mit dem sogenannten Münchner Abkommen vom 30. September 1938 sicherte sich Nazi-Deutschland zunächst die Sudetengebiete. Am 15. März 1939 marschierte die Wehrmacht dann auch in Prag ein, und Berlin etablierte das „Protektorat Böhmen und Mähren“, einen Staat von deutschen Gnaden.

Während die meisten sudetendeutschen Sozialdemokraten spätestens bis dahin aus der früheren Tschechoslowakei geflohen waren, blieb Ludwig Czech im Land. Bis heute ist unklar, warum.

Ludwig Czech | Foto: public domain

„Zu dieser Frage ist schon ziemlich viel spekuliert worden. Es wurde sogar gesagt, Ludwig Czech sei nicht emigriert, weil er sich so sehr über seine Abwahl als Parteivorsitzender geärgert habe. Damit wurde versucht, Wenzel Jaksch den späteren Tod von Czech in Theresienstadt ein bisschen in die Schuhe zu schieben. Ich denke aber, das geht zu weit. Ich glaube, dass der Grund eher in Czechs Alter lag. Er war damals bereits 69 Jahre alt und wollte wohl nicht mehr die Reise in die Emigration auf sich nehmen. Zudem versuchte er in der sogenannten Zweiten Republik, eine weitere Sozialdemokratie mit aufzubauen. Das waren wahrscheinlich die Gründe, warum er nicht emigriert ist“, erläutert Thomas Oellermann.

Dabei musste Ludwig Czech im Protektorat mit dem Schlimmsten rechnen. Schließlich war er nicht nur Sozialdemokrat, sondern auch Jude. Er lebte dann in Brünn, und die Behörden drangsalierten den alten Mann. Im März 1942 wurde er ins Ghetto und Konzentrationslager Theresienstadt deportiert. (Dort kam er ins Krankenhaus – wohl weil er bereits krank war. Später wurde er dann zwar aus der Klinik entlassen, starb aber bereits nach wenigen Tagen – am 22. August 1942.

Theresienstadt | Foto: Pavel Kinšt,  Wikimedia Commons,  CC BY-SA 3.0

An diesem Montag jährt sich also Ludwig Czechs Tod zum 80. Mal. Bereits nach der politischen Wende in der Tschechoslowakei von 1989 wurde an der heutigen Gemeindebücherei in Terezín / Theresienstadt eine Gedenktafel für ihn enthüllt. Dazu der Historiker:

„Diese Gedenktafel – und das unterstreicht noch einmal Czechs Bedeutung – wurde 1993 eingeweiht, und zwar von Václav Havel, Hans-Jochen Vogel und dem österreichischen Bundeskanzler Franz Vranitzky.“

Gedenktafel von Ludwig Czech in Theresienstadt | Foto: Miaow Miaow,  Wikimedia Commons,  public domain