Anwalt, Arbeiterführer und Minister: der Sozialdemokrat Ludwig Czech

Ludwig Czech

Ludwig Czech war ein führendes Mitglied der sozialdemokratischen Arbeiterpartei in Österreich. In der Ersten Tschechoslowakischen Republik wurde er 1929 Fürsorgeminister und blieb bis zum Anschluss der sudetendeutschen Gebiete 1938 in der Regierung. Er setzte sich immer für eine Zusammenarbeit und ein demokratisches Zusammenleben von Tschechen und Deutschen ein sowohl in Österreich als auch in der Tschechoslowakei. Nach dem Anschluss an das deutsche Reich 1938 weigerte er sich, das Land zu verlassen und kam am 22. August 1942 im Ghetto Theresienstadt um. Ein Nachruf anlässlich seines 70. Todestages.

Ludwig Czech
Im Februar 1870 kam in Lemberg, in der heutigen Ukraine, Ludwig Czech auf die Welt. Er war der zweitälteste Sohn eines Bahnbeamten, der seine Familie nur mühsam über Wasser halten konnte. Nach der Rückkehr der Familie nach Mähren begann Ludwig Czech ein Jurastudium in Wien. Dabei lernte er Victor Adler kennen, einen der Mitbegründer der österreichischen Sozialdemokratie. Dieser begeisterte den jungen Czech für die Ziele der Arbeiterbewegung.

Nach seinem erfolgreichen Studium in der Hauptstadt der Monarchie kehrte Czech nach Brno / Brünn zurück. Obwohl ihm klar war, dass er sich mit seinem Engagement für die Belange der Arbeiter eine bürgerliche Karriere in Österreich verbaute, blieb er der Bewegung treu. Er vertrat als Anwalt vor allem die Interessen von Arbeitern und engagierte er sich im Aufbau der Sozialdemokratischen Partei. Thomas Oellermann ist Historiker am Collegium Bohemicum und Experte für die sudetendeutsche Sozialdemokratie:

„In den 90er Jahren des 19. Jahrhunderts befindet sich die Sozialdemokratie in Österreich Ungarn in einer Phase des Aufbaus. Es ist nicht mehr die Kampfzeit früherer Jahrzehnte, also eine Zeit der Verfolgung durch staatliche Behörden. Vielmehr hat sich die Sozialdemokratie schon als politische Kraft etabliert, obwohl sie noch immer benachteiligt ist. Sie baut ihre Organisationen auf und die örtlichen, lokalen Vereine schließen sich zu größeren Verbänden zusammen. Und in diese Zeit fällt auch die Aktivität von Ludwig Czech in Brünn.“

Czech schuf einen Arbeiterbildungsverein, richtete eine Bibliothek ein und übernahm 1897 die Redaktion des „Volksfreund“, dem sozialdemokratischen Blatt in Brünn. Sein Interesse lag aber vor allem auf sozialpolitischen Verbesserungen und Erleichterungen für die in Armut lebenden Arbeiter.

Dora Müller
Nach einigen Anstrengungen wurde er 1896 zum Obmann der Brünner Bezirkskrankenkasse gewählt. Diese nach heutigen Maßstäben eher rudimentäre Krankenversicherung versuchte er zu reformieren und umzubauen. Vor sieben Jahren erinnerte sich die mittlerweile verstorbene Vorsitzende des deutschen Kulturverbandes Brünn, Dora Müller, bei der Enthüllung einer Gedenkplakette an Czechs Reformbestrebungen:

„Die größte Tat, war eigentlich, dass Dr. Czech die erste und modernste Bezirkskrankenkasse der Monarchie im Jahr 1903 geschaffen hat, in der auch die Angehörigen krankenversichert waren. Das ist für uns heute eine Selbstverständlichkeit, aber damals war das nicht so.“

Als Czech dann 1905 in den Brünner Stadtrat gewählt wurde, setzte er sich weiter für die Schwachen ein. Er gründete die Deutsche Landeskommission für Kinderschutz und Jugendfürsorge in Mähren. Während des Ersten Weltkriegs folgte der Deutsche Sozialdemokratische Kinderfürsorgeverein, den Czechs Frau – er hatte 1906 Lilli Kafka geheiratet – bis zur Errichtung des Protektorats im März 1939 leitete.

Nach der Auflösung der Monarchie und der Entstehung der Tschechoslowakei leitete Czech Ende August 1919 in Teplice / Teplitz den Parteitag zur Gründung der Deutschen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei der Tschechoslowakei (DSAP). Er wurde zum ersten stellvertretenden Vorsitzenden hinter Josef Seliger gewählt. Bei den ersten freien Parlamentswahlen 1920 konnte Czech für den Wahlkreis Brünn in das Tschechoslowakische Parlament einziehen und übernahm nach Seligers Tod auch den Vorsitz der Partei. Thomas Oellermann erklärt, warum sich die Partei auf den Brünner einigte:

Ludwig Czech
„Die Partei ist zu dieser Zeit ein wenig aus den Fugen geraten. Es gibt ja gerade den großen Konflikt mit dem kommunistischen Flügel, der letztlich dazu führt, dass sich die Kommunisten abspalten. Ludwig Czech war daher wahrscheinlich ein Kandidat, der die Partei stabilisieren sollte, eher ein Verlegenheits- als ein Wunschkandidat.“

Czech war aus Brünn in Mähren und damit nicht aus den Kerngebieten der deutschen Sozialdemokraten: Sie lagen im industrialisierten Nordböhmen. Hinzu kam, dass er Tschechisch sprach, das Zusammenleben mit der tschechischen Bevölkerung durchaus gewohnt war und seit jeher auf einen Ausgleich beider Bevölkerungsgruppen setzte. Damit fremdelte er bei den nordböhmischen Genossen, die meist aus rein deutschen Siedlungsgebieten kamen. Trotzdem gelang es ihm, die Partei zu stabilisieren und sie durch die unruhigen ersten fünf Jahre der Republik zu steuern.

Den Durchbruch für eine Zusammenarbeit der Sozialdemokraten beider Nationen brachten die Bürgerlichen. 1926 traten nämlich die Deutsche Christlich-Soziale Volkspartei und der Bund der Landwirte in eine bürgerliche Regierung ein. Es war der Beginn der aktiven Mitarbeit deutscher Parteien am Staat und sollte auch den Weg für Ludwig Czech bereiten:

„Dies ist der Zeitpunkt, an dem sich die beiden sozialdemokratischen Parteien, die tschechische und die deutsche, zusammentun, um die bürgerliche Regierung aus der Opposition heraus zu bekämpfen. Das führt dazu, dass ab 1929 in Person von Ludwig Czech die deutschen Sozialdemokraten in der Regierung vertreten sind und es bis zum Ende der 1930er Jahre auch bleiben.“

Thomas Oellermann
Czech wurde, auch wegen seines großen Engagements für die soziale Arbeit, Minister für Fürsorge. Der Eintritt der deutschen Sozialdemokraten in die Regierung weckte Hoffnungen bei beiden Nationen, wie auch ein Glückwunschbrief des Staatspräsidenten Masaryk zu Czechs 60. Geburtstag im Februar 1930 zeigt:

„Herr Minister Dr. Czech! Zu Ihrem 60. Geburtstag wünsche ich Ihnen alles Gute. Durch ihren Eintritt in die Regierung haben Sie zur Annäherung beider sozialdemokratischer Parteien beigetragen. Sie haben beigetragen zur Annäherung beider Nationen, von deren Zusammenarbeit in großem Ausmaß die glückliche Zukunft unserer Republik abhängt.“

1930 trafen aber die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise auch die Tschechoslowakei mit voller Wucht und läuteten eine Zeit der Krise ein. Die Arbeitslosenzahl und damit auch die Armut stiegen an, vor allem in der deutschen Bevölkerung. Czech reagierte, indem er Lebensmittelgutscheine austeilen ließ. Sie wurden unter dem Namen „Czech-Karten“ bekannt. Die gutgemeinte Aktion war allerdings nur ein Tropfen auf dem heißen Stein und brachte ihm nicht nur positive Reaktionen ein, wie Historiker Oellermann betont:

„Die Czech-Karten und die Position Czechs als Minister boten eine große Angriffsfläche für die Kommunisten und die Deutschnationalen. Die generelle Kritik an den Sozialdemokraten in der Regierung konzentrierte sich daher auch auf Ludwig Czech. Da spielt natürlich auch der Antisemitismus eine gewisse Rolle, denn es war allgemein bekannt, dass Czech Jude war.“

Die Arbeitslosenzahlen stiegen weiter, ebenso wie die Unzufriedenheit der deutschen Bevölkerung mit den Ergebnissen der aktivistischen deutschen Politik. 1933 gründete Konrad Henlein die sudetendeutsche Partei (SdP), die in den Wahlen 1935 einen erdrutschartigen Sieg erringen konnte. Obwohl sich der Kern der Sozialdemokratie immun gegenüber der Henlein-Partei zeigte, liefen doch viele Arbeiter zur neuen Partei über. Die deutschen Sozialdemokraten blieben aber trotzdem in der Regierung, Czech war bis 1938 Gesundheitsminister. Thomas Oellermann ordnet den Sozialdemokraten historisch ein:

„Aus heutiger Sicht wird Ludwig Czech oft als schwächster der drei Vorsitzenden der deutschen Sozialdemokratie in den böhmischen Ländern gesehen. Josef Seliger ist der Gründervater, der auch wegen seiner Nationalitätenpolitik bis heute geschätzt wird und Wenzel Jaksch ist gezeichnet von der Gegnerschaft zum Nationalsozialismus, vom Exil, von der Gegnerschaft zu Edvard Beneš, von der Gegnerschaft zur Vertreibung und natürlich auch von seiner Rolle in der bundesdeutschen Politik. Ludwig Czech, der 1942 in Theresienstadt umkam, ist dagegen etwas in Vergessenheit geraten.“

Obwohl Ludwig Czech die Möglichkeit zur Emigration in die Niederlande hatte, blieb er nach dem Einmarsch der Deutschen mit seiner Frau in seiner Heimat Brünn. Von den Nazis gleich doppelt als Jude und Sozialdemokrat verfolgt, wurde er 1942 in das Ghetto Theresienstadt verschleppt. Dort starb er laut offizieller Sterbeurkunde am 22. August 1942 an einer Lungenentzündung.