Der tschechische Vecernicek feiert seinen vierzigsten Geburtstag
Die Weihnachtszeit ist in vielen tschechischen Familien untrennbar mit dem Fernsehen und den dort gesendeten Märchen verbunden. Passend dazu wollen wir uns im heutigen Medienspiegel mit dem tschechischen Gegenstück zum Sandmännchen, dem Vecernicek befassen, der in diesem Jahr vierzig wurde.
Jeden Abend, punkt 19,00 Uhr, wird es in vielen tschechischen Familien auf einmal still. Zumindest dort, wo sich kleine Kinder vor dem Fernseher versammeln und dann gespannt verfolgen, wie die Zeichentrickfigur eines kleinen Jungen mit Augen aus Sternen und einer aus Zeitungspapier zusammengefalteten Mütze über den Bildschirm flimmert und damit ein Gute-Nacht-Märchen einleitet. Dieser Junge mit Sternenaugen heißt Vecernicek. Seit mittlerweile vierzig Jahren gehört die Figur zum Alltag vieler tschechischer Kinder.
Die allabendliche Kindersendung gehört zweifellos zu den wenigen Konstanten des tschechischen Fernsehbetriebs, vielleicht zusammen mit den Abendnachrichten, doch im Unterschied zu diesen ist beim Vecernicek im Laufe der Zeit nicht nur der Sendetermin, sondern auch die graphische Gestaltung unverändert geblieben.
Es gab wohl im abgelaufenen Jahr kein tschechisches Medium, das sich nicht irgendwann einmal dem Vecernicek-Jubiläum gewidmet hätte. Oft wurde dabei auch hinter die Kulissen geschaut und es wurden nicht uninteressante Details veröffentlicht, die sonst wohl nie den Weg an die Öffentlichkeit gefunden hätten.
Bei Künstlern sind vierzig Jahre Bühnenjubiläum im Allgemeinen eher die Ausnahme. Bei Sendungen, gerade in einem so schnelllebigen Medium, wie dem Fernsehen, schon eine Seltenheit.
Dennoch ist sicherlich die Frage berechtigt, ob es in den vergangenen vier Jahrzehnten nicht Situationen gab, wo die Existenz des Vecernicek gefährdet war, oder ob Versuche unternommen wurden - man denke etwa an die Zeit vor der Wende -, den ursprünglichen Charakter einer reinen Kindersendung zu verschieben?
Das fragten wir Milos Zverina, der beim öffentlich-rechtlichen Tschechischen Fernsehen für die Ausstrahlung des Vecernicek verantwortlich ist. Von seiner starken Identifizierung mit der Gestalt des Vecernicek zeugt bereits der Umstand, dass Zverina, wenn man bei ihm im Büro anruft, sich am anderen Ende der Leitung als "Vecernicek" vorstellt.
"Die Gefahr, dass der Vecernicek auf einmal vom Programm gestrichen werden könnte, hat nie bestanden. Die Leitung des Tschechischen Fernsehens war sich, egal zu welchen Zeiten, immer bewusst, auf welchen Grundlagen Vecernicek aufgebaut ist. Dazu zählt vor allem die so genannte tschechische Schule des Zeichentrickfilms, die mit den Namen Hermina Tierlova, Karel Zeman, Bretislav Pojar und nicht zuletzt Jirí Trnka verbunden ist. Natürlich hat das kommunistische Regime auch beim Vecernicek aufgepasst, dass alles politisch und ideologisch einwandfrei ist, aber es stimmt auch, dass unter den Autoren der einzelnen Märchen auch Persönlichkeiten waren, die in anderen Bereichen nicht wirken durften. Zu erwähnen ist zusammen mit dem Vecernicek auch die Titelmusik, die in den vier Jahrzehnten tatsächlich nie geändert wurde. Die einzige Veränderung, die es je gegeben hat, war dass Vecernicek mit der Einführung des Farbfernsehens im Jahr 1968 ein farbiges Gewand bekam. Ansonsten gilt diese Kindersendung als unantastbares Familiensilber und ist für den tschechischen Fernsehzuschauer sicherlich ein Phänomen."
Ist der Vecernicek ein rein tschechisches Spezifikum, oder gibt es in anderen Ländern ähnliche Sendungen? Schließlich sind einige der Gründungsväter des Vecernicek, wie etwa dessen erster Dramaturg Milan Napravnik, der heute in Köln lebt, emigriert. Dazu meint Milos Zverina:
"Es ist ein tschechisches Spezifikum, aber Vecernicek hat auch in anderen Ländern Freunde und in vier europäischen Ländern strahlen die öffentlich-rechtlichen Medien ein vergleichbares Programm aus. An erster Stelle würde ich Deutschland mit dem Sandmännchen erwähnen, das sogar noch länger auf Sendung ist als Vecernicek. So viel ich weiß, feierte das Sandmännchen unter ebenfalls relativ großem Interesse seinen 45. Geburtstag. Dann ist noch Polen zu erwähnen, wo Generationen von Kindern ihrer Dobronotschka zuschauen und ebenfalls Ungarn mit dem Programm TV-Matzi, das ebenfalls seit Jahrzehnten ausgestrahlt wird. Man sieht also, dass Vecernicek überall Freunde hat."
Kann man also die Sendungen des Vecernicek auch anderswo ausstrahlen, bzw. können sie von den Zuschauern in entfernten Ländern und anderen Kulturkreisen überhaupt verstanden werden?
"Der Vecernicek ist für das Tschechische Fernsehen auch ein wichtiger wirtschaftlicher Faktor, ich würde sogar sagen, ein wichtiger Exportartikel. Neben allen europäischen Ländern wurde die Sendung bereits auf allen Kontinenten ausgestrahlt. Den Weg, den sie dabei zurückgelegt hat, führt von Australien über Malaysia und die Vereinigten arabischen Emirate bis nach China oder Zimbabwe."
Anlässlich des Vecernicek-Jubiläums strahlte das Tschechische Fernsehen in den vergangenen Wochen einige Sonderprogramme aus und das Ganze wurde von einer Fernseh-Gala gekrönt, die im Hauptabendprogramm gesendet wurde. Zu den Begleitprogrammen gehörte auch der Betrieb einer eigenen Homepage, wo die Besucher über ihr Lieblingsmärchen abstimmen konnten. Mitte Dezember wurden dann die sieben beliebtesten auch um 19,00 Uhr ausgestrahlt.
Nicht zuletzt bei dieser wenn auch unrepräsentativen Zuschauer-Befragung zeigte sich, dass vor allem die klassischen Märchen, die zum Teil Ende der 70er, oder in den früher 80er Jahren entstanden sind, zu den größten Rennern gehören. Die neueren und zum Teil auch modern gestalteten Folgen hatten dagegen das Nachsehen.
Diese Tendenz wirft natürlich die Frage auf, nach welchen Kriterien heute die neuen Folgen des Vecernicek konzipiert werden? Wie stark muss darauf Wert gelegt werden, dass sie der heutigen Zeit und deren Ansprüchen entsprechen? Haben zum Beispiel die modernen Kommunikationsmöglichkeiten wie Handys oder Satelliten-Schüsseln schon in den jeweiligen Geschichten Einzug gehalten?
In wie weit steht zum Beispiel die ursprüngliche Erziehungsfunktion im Vordergrund? Dazu meint Milos Zverina:
"Natürlich ist die erzieherische Aufgabe der Sendungen nicht unwesentlich, aber keinesfalls darf diese edukative Dimension an erstet Stelle stehen. Aber die Erziehung findet ja im Prinzip schon allein deshalb statt, weil es bei Märchen ein ehernes Gesetz, einen Archetyp, gibt, nämlich, dass das Gute über das Böse siegt. Es gab interessanterweise zwischen den 60er Jahren und den 70er Jahren Versuche, dieses archetypische Prinzip umzudrehen, so dass zum Beispiel die Drachen in einem Märchen die Guten und die Prinzen die Schlechten waren. Diese Versuche sind glücklicherweise gescheitert, nicht zuletzt auch deshalb, weil die Kinder als Zuschauer genau wissen, was sie sehen wollen. Somit müssen das Gute oder die Liebe am Ende immer siegen und das muss vor allem bei den Programmen für Kinder berücksichtigt werden."
Gibt es redaktionsintern einen Schlüssel, nach dem neue und traditionelle bzw. außerordentlich beliebte Geschichten aneinander gereiht werden? Hören Sie dazu abschließend noch einmal den Dramaturgen Milos Zverina, der beim Tschechischen Fernsehen die Vecernicek-Sendungen betreut:
"Bei den einzelnen Folgen des Vecerniceks muss die Dramaturgie gleich mehrere Ebenen in Betracht ziehen. An erster Stelle steht die Zielgruppe, das heißt es muss ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Serien für ältere Kinder und Serien für kleinere Kinder geben. Dann muss die technische Seite im Gleichgewicht sein, das heißt, man kann nicht immer nur Zeichentrickfilme bringen und ebenso wenig ausschließlich Geschichten mit Marionetten. Und vielleicht der wichtigste Aspekt ist der sensible Umgang mit Premieren, so dass eben neben den bewährten auch ganz neue Märchen ausgestrahlt werden. Es ist kein Geheimnis, dass dabei die Regel gilt, dass auch Beliebtheit und Tradition einige Zeit brauchen, um zu entstehen."