Der Videokünstler Petr Vrána und sein Denkmal des tschechoslowakischen Exils
Abertausende Menschen mussten ab 1939 die Tschechoslowakei verlassen. Zunächst flüchteten sie vor den Nationalsozialisten, später vor den ständigen Repressionen durch das kommunistische Regime. Viele, aber beleibe nicht alle kehrten nach der Samtenen Revolution in ihre alte Heimat zurück. In allen möglichen Erdteilen und Ländern findet man bis heute emigrierte Tschechen und Slowaken und deren Nachkommen. An sie alle soll nun das Denkmal des tschechoslowakischen Exils erinnern, das im Prager Stadtteil Modřany entstehen soll. Hinter dem interaktiven Projekt steht Petr Vrána, der selbst im Jahr 1981 nach Deutschland ausgewandert ist und sich dort einen Namen als Videokünstler gemacht hat. Im Gespräch mit Radio Prag schildert Vrána die Einzelheiten und Hintergründe zu seinem Projekt. Doch zunächst stellt Ihnen Radio Prag den Künstler etwas näher vor.
Nach seiner Flucht studierte Petr Vrána in Kassel „Freie Kunst“. Gemeinsam mit seinem Landsmann Woody Vasulka experimentierte er mit der damals so genannten elektronischen Malerei, aus der sich bald das eigene Genre der Videokunst entwickelte. Ende der Achtzigerjahre entstanden Vránas erste Werke. Es sind für die Zeit typische schrille Collagen aus Bild- und Tonschnipseln – Nachrichten, Dialoge aus Film und Fernsehen, Werbespots.
1988 schloss Vrána in Kassel sein Studium bei Georg Bussmann und Peter Weibel ab. Anschließend arbeitete er in Deutschland und den USA als Medienkünstler und Produzent von Werbespots sowie als Art Director und Producer für das Hessische Fernsehen. Für sein 1988 produziertes Video „Microwaved Hot Dog“ bekam er den Filmförderpreis der Robert-Bosch-Stiftung.Nach der politischen Wende kehrte Vrána 1990 nach Prag zurück. Er arbeitete unter anderem als Spotdesigner für den privaten Fernsehsender Nova und gründete 1992 das Medienarchiv, um die wichtigsten Werke der internationalen Videokunst in Tschechien zu präsentieren. Außerdem lehrte er an verschiedenen Hochschulen im In- und Ausland, etwa an der Kunsthochschule für Medien in Köln oder der Prager Filmhochschule FAMU. Daneben blieb Vrána auch in seiner alten Heimat als Künstler aktiv. 1993 etwa, nach dem Zerfall der tschechoslowakischen Föderation, führte er gemeinsam mit tschechischen und slowakischen Künstlerkollegen unter dem sarkastischen Titel „Genug ist genug“ ein „Föderales Happening“ auf.
2004 war Vrána an der spektakulären Inszenierung von Karel Čapeks Oper RUR am Brünner Nationaltheater beteiligt. Seit 2008 bemüht er sich um die Errichtung eines Denkmals des tschechoslowakischen Exils in Prag. Wie Vrána im Gespräch mit Radio Prag erzählt, nimmt das Projekt nun konkrete Formen an:
Was hat Sie dazu bewogen, so ein Denkmal zu gestalten. Oder anders gefragt, an wen genau soll es denn erinnern?
„Es soll an alle erinnert werden, die zwischen 1938/39 und 1989, also innerhalb von 50 Jahren, unser Land verlassen haben. Das waren Hunderttausende. Auch in den 1980er-Jahren sind noch viele weggegangen. Ich selbst bin damals nach Deutschland gekommen, wo ich sehr gut empfangen wurde und studieren konnte. Aber auch Deutsche, die geflüchtet sind, haben seinerzeit die tschechoslowakische Staatsangehörigkeit bekommen. Etwa in den Dreißigerjahren Thomas und Heinrich Mann, die hierzulande schön empfangen wurden. Das ist ein Phänomen des letzten Jahrhunderts und das wird heute nicht mehr verstanden. Das hat mich auf die Idee gebracht, diese Exilantenbewegung noch einmal künstlerisch zu interpretieren, bevor es zu spät ist. Das Denkmal soll eine audiovisuelle Kollektion dessen sein, was die tschechoslowakischen Emigranten im Ausland geleistet haben. Ich denke da natürlich in erster Linie an die Künstler, weil ich von denen etwas abspielen, etwas zeigen kann, Musik vorführen und so weiter. Aber das Denkmal soll an alle Persönlichkeiten im Exil erinnern, die sich gegen das totalitäre Regime engagiert haben.“
Sie haben es schon angesprochen, sie wollen nicht nur eine Skulptur in die Landschaft stellen. Schließlich haben Sie sich als Videokünstler einen Namen gemacht. Es soll also ein interaktives, ein lebendiges Denkmal sein.„Es soll am Rathaus des Stadtbezirks Prag 12 errichtet werden. Das Rathaus zieht in ein Gebäude mit einem großen Vestibül und einem verglasten Treppenhaus ein. Dort werden in jedem Stockwerk Terminals stehen, wo die Leute surfen können und sehen, in welche Herrgottsländer die Mitmenschen ausgewandert sind. Sie können ihre Geschichten und Schicksale verfolgen und das alles auf die Projektionswand vor dem Rathaus werfen. Die ist entsprechend den umliegenden Gebäuden 15 Meter hoch und sieben Meter breit. Alles, was sie im Rathaus auf dem Display ansehen, erscheint draußen auf der großen Leinwand. Die Leute im Café gegenüber und die Passanten bekommen so bewegte Bilder zu sehen und Musik zu hören. Zum Beispiel Ausschnitte aus Miloš Formans Film ‚Amadeus’ und vielen anderen Werken. Die Leute gestalten sich ihr Programm also selbst. Es soll wirklich ein lebendiges Denkmal werden. Wir benutzen dazu die Videoclipsprache der Jungen.“
Stehen soll ihr Denkmal des tschechoslowakischen Exils in Prag-Modřany, vor einem ehemaligen Einkaufszentrum. Dort, wo – sie haben es gerade gesagt – das Rathaus des Stadtbezirks Prag 12 einziehen soll. Warum denn eigentlich gerade an diesem Ort, der ja doch ein Stück weit vom Prager Stadtzentrum entfernt liegt?„Na, es ist gar nicht so weit: In 20 Minuten ist man mit der Straßenbahnlinie 17 am Nationaltheater. Ich komme aus diesem Stadtteil. Wir sind in das Haus eines Exil-Tschechen eingezogen, der nicht zurückgekehrt ist. Meine Eltern haben das Haus 1960 gekauft. Und die neue Straße, die dort vorbeiführt, wurde ‚Straße des Tschechoslowakischen Exils’ genannt. Die kreuzt sich mit der Allee des General Šiška, der auch ein bekannter Exiltscheche war. Für mich lag auf der Hand, dass wenn überhaupt ein solches Denkmal entsteht, dann hier. Das ist ein neues Viertel mit vielen Hochhäusern. Bis jetzt gibt es dort keinen Platz, nicht einmal eine Piazzetta, wo sich die Leute treffen könnten. Das versuche ich auch mit meinem Denkmal zu erreichen: einen Platz zu schaffen, wo sich die Menschen treffen können.“
Bleibt natürlich noch die heikle Frage: Wer soll das bezahlen? In Tschechien ist es ja nicht immer einfach, Geld für Kunstprojekte aufzutreiben. Das gilt in Zeiten wie diesen erst recht.„Es ist schade, dass Anfang der 1990er-Jahre das Gesetz abgeschafft wurde, das einen gewissen Anteil der Bausumme – drei, vier, fünf Prozent – für Kunst am Bau reserviert hat. Das gibt es auch in Deutschland oder der Schweiz, eigentlich fast überall. Auch in Tschechien galt das seit den Dreißigerjahren, sogar während des totalitären Regimes. Natürlich ist die Frage, wie die Kunstwerke damals ausgeschaut haben. Manche waren eigentlich ganz o.k., andere musste man nach der Wende entfernen. Nun, das Gesetz wurde vor 20 Jahren abgeschafft und wir müssen jetzt selbst schauen, wie wir von Sponsoren das Geld zusammenbekommen. Eine Baufirma hat sich zum Beispiel schon gemeldet. Aber es wird nicht einfach werden, da haben Sie recht.“
Umso heikler ist die Frage zum Abschluss: Bis wann soll alles fertig sein?„Das Rathaus wird innerhalb der nächsten zwei Jahre umziehen. Ich habe die feste Hoffnung, dass ich am Ende des kommenden Jahres auch fertig sein werde. Das Außenministerium hat sich gemeldet, die Programmdirektorin der Tschechischen Zentren ist ebenfalls an mich herangetreten. Die wollen das Jahr 2012 als Jahr des tschechoslowakischen Exils in ihre Programme aufnehmen. Also müssen wir einfach fertig werden.“
Nähere Informationen über Petr Vrána und zahlreiche Videos seiner Arbeiten finden Sie auf seiner persönlichen Homepage: www.petrvrana.eu
Und nähere Informationen zum Denkmal des tschechoslowakischen Exils gibt es hier: http://ceskoslovensky-exil.info
Dieser Beitrag wurde am 23. Januar 2011 gesendet. Heute konnten Sie seine Wiederholung hören.