Deutsche und böhmisch-mährische Missionare gemeinsam in Südamerika

Ignatius von Loyola - Mitbegründer und Gestalter der Gesellschaft Jesu

Der Hochsommer läuft auf Hochtouren und mit ihm europaweit auch die übliche Völkerwanderung in obligaten Blechlawinen. Über Reiseaktivitäten, die allerdings ein wesentlich geringeres Ausmaß hatten und ebenso andere als Urlaubsziele verfolgten, wird im Folgenden auch bei uns die Rede sein. Nämlich über die Südamerikareisen von mehreren hundert Jesuiten aus Mitteleuropa, die sich im frühen Neuzeitalter den Export der katholischen Religion auf die Fahne schrieben. Mit diesem interessanten Kapitel der europäischen Geschichte befassen sich Forscher sowohl in Deutschland und als auch in Tschechien und kooperieren dabei. Diesem Thema wenden wir uns auch in der Sendereihe „Kapitel aus der tschechischen Geschichte“ zu, und zwar in einem Zweiteiler. Heute also Teil eins.

Florian Paucke: Jesuiten überqueren einen Fluss in Chaco
Es ist nicht allgemein bekannt, dass deutsche, böhmische, mährische und schlesische Missionare der Gesellschaft Jesu im 17. und 18. Jahrhundert in Übersee aufeinander trafen. Unter dem Titel „Jesuiten zentraleuropäischer Provenienz in Portugiesisch- und Spanisch-Amerika, 17./18. Jh." wurde vor zehn Jahren ein Projekt an der Universität Mainz eingeleitet, das aufgrund der vorliegenden gedruckten, aber auch der authentischen archivalischen Überlieferung die Spuren der Missionare auf dem südamerikanischen Kontinent verfolgt. Sie stammten aus fünf Ordensprovinzen der – wie es hieß – deutschen Assistenz der Gesellschaft Jesu. Eine davon bildeten damals auch die Länder der böhmischen Krone, also Böhmen, Mähren und Schlesien. Die entstehende Studie führte einen der wissenschaftlichen Projektteilnehmer, den Hochschullehrer an der Theologischen Fakultät der Mainzer Uni, Michael Müller, nach Prag:

Michael Müller
„Wir erforschen die Quellen der Jesuitenmissionare, die noch in den Archiven vorhanden sind, und zwar im Prager Zentralarchiv (Státní ústřední archiv), ebenso in der Nationalbibliothek im Prager Klementinum und auch im Mährischen Landesarchiv Brünn. Dort befinden sich auch eine Reihe von Briefen, entweder in Original oder in Abschriften in deutscher, lateinischer oder tschechischer Sprache, je nachdem wie die Muttersprache dieser Missionare war, aber auch Listen mit Ordensangehörigen, die in die Mission gingen, und sonstige Quellen, die wir auswerten. Es ist eine hochinteressante Geschichte für uns.“

Durch das Forschungsprojekt entstand beziehungsweise entsteht ein modernes Verzeichnis der Jesuiten, die in die südamerikanische Mission entsandt wurden. Es beruht auf bislang vielfach unbekannter archivalischer Überlieferung, die Michael Müller eben auch in Tschechien fand:

Jesuitenmissionar in Brasilien  (18. Jahrhundert)
„Also die Quellen, die hierzulande vorhanden sind, sind sehr umfangreich und auch gut erhalten. Es sind zum Teil Briefe, die von den Missionaren an ihre Ordensoberen gerichtet wurden. Es geht um offizielle Berichte über ihre Arbeit in der Mission. Interessant sind auch Briefe an Angehörige – die Eltern und Geschwister. Sie sind entweder auf Deutsch oder auf Tschechisch verfasst. Sie sind schon viel persönlicher und verraten auch etwas mehr über die Persönlichkeit des jeweiligen Missionars und seine Motive. Für uns sind auch die offiziellen Quellen interessant, auch wenn sie in ihrem Aufbau häufig sehr standardisiert sind.“

Was den vielen Briefen aus der neuen Welt zu entnehmen war, zeugte oft von einem leidvollen Leben jener, die dort das Wort Gottes hingebungsvoll verbreiten wollten:

Ruinen der Jesuiten-Reduktion von Trinidad in Paraguay  (Foto: Markus Reckwerth,  www.wikimedia.org
„Beispielsweise Heinrich Wenzeslaus Richter, von dem insgesamt sechs Briefe im Staatlichen Zentralarchiv Prag aufbewahrt werden. Der siebte ist in Bonn: Er schreibt unter anderem an seinen früheren Prager Rektor und berichtet, wie es ihm in der Mission ergangen ist. Erstmal bei der Überfahrt nach Südamerika, die damals wochenlang dauerte und zum Teil auch lebensgefährlich war. Es gab Seuchen, nicht genug Lebensmittel und Trinkwasser. Gerade das verdorbene Wasser hat auf hoher See vielfach Krankheiten oder Seuchen hervorgerufen. Dann nach der Ankunft in Cartagena folgte häufig noch eine monatelange Reise durch die Urwälder bis zu dem eigentlichen Bestimmungsort in der Mission. Nach der Ankunft in der Mission dann das Zusammenspiel mit den einheimischen Missionaren - den Spaniern – und schließlich auch die Begegnung mit den Indios.“

Jesuitenreduktion São Miguel das Missões in Brasilien  (Foto: Leandro Kibisz,  www.wikimedia.org)
Durch Korrespondenz, regelmäßige Berichte und enzyklopädische Darstellungen mehrten die Jesuitenmissionare in Europa die Kenntnisse über andere Natur- und Kulturwerte. Gefragt wurden aber nicht nur hochgebildete Patres, sondern auch Laienbrüder. Michael Müller:

„Der Beginn der böhmischen Missionen nach Südamerika lässt sich etwa mit dem Jahr 1680 datieren. In diesem Jahr wurden die spanischen Missionen für deutsche Missionare geöffnet. Die Patronatsmacht Spanien konnte nicht mehr genug Personal zur Verfügung stellen, um diese großen Räume in Südamerika zu missionieren. Es gab zwar auch spanische Jesuiten, die aber meistens in den größeren Städten wirkten, nämlich in den Kollegien oder in den Ordenshäusern. Aber in den Indiomissionen, im Urwald, dort fehlten Missionare und beispielsweise auch Handwerker. Dafür suchte man Laienbrüder unter anderem auch aus Böhmen und Mähren, die als Schreiner oder Tuchweber nach Südamerika gingen.“

Jesuiten haben die Tapuyos-Indianer christianisiert
Die tschechischen Archive haben offenbar sehr viel Material zu bieten. Dass vergleichsweise viele Missionare aus Böhmen, Mähren und Schlesien nach Südamerika kamen, war auch dadurch möglich, weil diese Gebiete zu jener Zeit Habsburger Länder waren und Habsburger Untertanen konnten. leichter in die damals noch spanisch-habsburgischen Kolonien einreisen. Hier ein Vergleich mit ihren deutschen Ordensbrüdern:

„Missionare vom Niederrhein beispielsweise hatten es schwerer, weil sie keine Habsburger-Untertanen waren. Für Österreicher, Böhmen, Mährer und Schlesier gab es eine Sonderbestimmung, mit der sie leichter nach Spanisch-Südamerika kommen konnten. Allerdings nur bis etwa 1715, als die Habsburger Spanien verloren und das Land an die französischen Bourbonen überging. Aber auch dann waren nach wie vor die deutschen Missionare aufgrund der personellen Not gefragt. Dabei gerade auch die Handwerker. 1722 ging beispielsweise eine größere Gruppe von Laienbrüdern als Handwerker nach Chile, weil man dort zwar Missionspatres hatte, die die Indios bekehrten, aber keine Schreiner, die zum Beispiel einen Altar zimmern oder den Innenraum einer Kirche gestalten konnten. Auch die Böhmen und Mährer waren da gefragt.“

Jesuitenmartyrer in Chile
Den hohen Anteil der Böhmen und Mährer an der Mission in Südamerika führt Michael Müller zum Teil auch auf deren Aulandsehnsucht zurück. Im Gegensatz zu Frankreich, England oder Spanien hatte das Heilige Römische Reich deutscher Nation keine eigenen Kolonien. Müller schlussfolgert:

„Es gab weniger Möglichkeiten für Deutsche, nach Übersee zu gehen. Es gab auch keine deutschen Handelskompanien bis ins 18. Jahrhundert hinein. Und da war die Mission eine Möglichkeit nach Übersee zu kommen. Aber das primäre Element war nicht so sehr die Sehnsucht, nach Übersee zu kommen, sondern wirklich der Impuls, das Christentum nach Übersee zu tragen, um die - wie es hieß - heidnischen Völker zum Glauben zu bekehren. Das kommt auch in den Briefen immer wieder zum Ausdruck, dass es den Missionaren ein Anliegen war, die Seelen der Indios zu Gott zu bekehren und sie zu taufen. Sekundäres Element war jedoch das Fernweh, damals stark verbreitet auch bei Böhmen und Mähren.“

Marquis von Pombal
Die Jesuitenmissionen in Südamerika fanden im letzten Drittel des 18. Jahrhundert ein mehr oder weniger gewaltsames Ende. Die Jesuitenmissionare in den spanischen und portugiesischen Kolonien in Südamerika wurden aufgrund der Beschlüße der jeweiligen Könige und Regierungen aus den Missionen ausgewiesen. In Portugal, das damit den Anfang machte, setzte der berühmt berüchtigte portugiesische Premierminister Sebastião José de Carvalho e Mello (Marquis von Pombal) 1757 die Aufhebung der Jesuitenmissionen in Brasilien durch. Das hatte ernsthafte Konsequenzen:

Karl III.
„Die Patres wurden dann auf Schiffe getrieben, nach Portugal verfrachtet, zum Teil dort jahrelang im Kerker San Julian inhaftiert. Aber auch die Misisionare in den spanischen Kolonien wurden 1767/68 aufgrund der Beschlüsse König Karls III. aus den Missionsgebieten ausgewiesen, nach Europa verfrachtet, zum Teil in den Kirchenstaat und zum Teil in ihre Heimatländer gebracht.“

Der Grund für diese Aufhebungswelle war eine starke antijesuitische Strömung in der Aufklärungsbewegung, der auch der Premierminister Pombal in Portugal angehörte, ebenso die führenden Minister in Spanien, die aufgrund der ideologischen Motivation die Jesuitenmission zu einem Ende bringen wollten. Aber auch wirtschaftliche Motive spielten da eine große Rolle. Es gab ja in Südamerika beispielsweise einen florierenden Sklavenhandel. Aber die Jesuitenmissionare haben ihre Indios vor der Sklaverei bewahrt, indem sie bei den Königen ein Privileg erwirkt hatten, dass ihre getauften Indios als getaufte Christen nicht versklavt werden dürften, so dass diese Indios, die unter dem Schutz der Jesuiten lebten, für die Sklavenhändler unerreichbar waren. Und deren wirtschaftlichen Interessen spielten natürlich auch eine Rolle. Sie suchten nach billigen Arbeitskräften.

All diese Gründe und ideologischen Motive haben dann zu Aufhebung des Ordens erst in den Missionen geführt, 1773 in Europa und weltweit.