Ayahuasca: Tradition, Droge und Medizin
In Südamerika versetzen sich Schamanen mit Ayahuasca in Trance, in Europa gilt der Lianen-Sud als Droge. Tschechische Wissenschaftler wollen das Gebräu nun aus medizinischer Sicht beleuchten und erhoffen sich dadurch einen Durchbruch bei der Entwicklung neuer Antidepressiva. Für kommendes Jahr ist deshalb eine ausgedehnte Expedition in die Urwälder im Amazonasgebiet geplant.
„Untersuchungen gibt es schon einige. Die erste großangelegte Studie über die Wirkung von Ayahuasca hat vor gut 15 Jahren Jordi Riba durchgeführt. Er arbeitete damals am Krankenhaus des Heiligen Kreuzes in Barcelona. Riba wendete bei seinen Beobachtungen eine sogenannte phänomenologische Methode an. Er untersuchte eine Gruppe von gesunden Freiwilligen und beobachtete die Wirkung des Trankes mittels EEG-Messungen. Der Pharmakologe hat sich also auf die elektronischen Prozesse im Gehirn konzentriert.“
Damals sei aber nur die chemische Wirkung des Trunks erforscht worden, erklärt der Neuromediziner. Mittlerweile hat sich der Schwerpunkt der Untersuchungen verlagert, man sucht nämlich nach einem praktischen Nutzen der Droge:„In Brasilien wurden kürzlich Studien durchgeführt. Dabei wurde Ayahuasca aber nicht nur an gesunden Menschen getestet. Für die Versuchsreihen wurden Patienten ausgesucht, die an therapie- und arzneiresistenten Depressionen litten.“
Damals hätten rund 20 Personen in Kontrollgruppen an der Studie teilgenommen, erläutert Páleniček. Natürlich sind die Erforschung und Anwendung des Trunks ein Balanceakt. Denn in Europa ist Ayahuasca größtenteils als Rauschmittel verboten. In den USA und Kanada gelten strenge Auflagen, denn dort darf der Sud nur zu nachweislich rituellen Zwecken gebraut werden. In den Staaten Südamerikas herrscht aufgrund der langen Tradition ein liberaler Zugang zu Ayahuasca.
Im internationalen Team auf den Spuren der kosmischen Schlange
Für kommendes Jahr plant ein Team um Tomáš Páleniček eine eigene Expedition in das Amazonasgebiet. Ursprünglich sollte es eine kleinere Forschungsreise von Wissenschaftlern aus Prag werden. Das internationale Interesse war aber relativ groß:„Ursprünglich war es ein tschechisches Projekt. Unterstützt wurde es von der Stiftung Neuron. Im Verlauf der Forschungen wurde aus unserer tschechischen Forschergruppe ein internationales Team von Wissenschaftler. Heute arbeiten wir mit dem Brasilianer Eduard Schoenberg zusammen, aber auch mit dem Deutschen Frank Zenof. Er leitet ein Unternehmen, das EEG-Geräte herstellt. Derzeit verhandeln wir noch mit zwei Anthropologinnen aus Italien, die wir hoffentlich noch ins Boot holen können.“
Mit dabei ist sogar eine Koryphäe der Ayahuasca-Forschung:
„Zum Teil arbeiten wir auch mit Jeremy Narby zusammen. Er war der erste, der Ayahuasca einem breiten Publikum bekannt gemacht hat. Narby ist ein schweizerisch-kanadischer Anthropologe, der zahlreiche populärwissenschaftliche Bücher zu dem Thema veröffentlicht hat. In diesen erläutert er, was Ayahuasca ist und welche Rolle die Droge in den jeweiligen Gesellschaften spielt.“
Zum Popstar in der Wissenschaft wurde der 60-Jährige aber vor allem durch seine Ayahuasca-Selbstversuche. Als das wichtigste Werk des Anthropologen in diese Richtung gilt „Die kosmische Schlange“ über den Schamanismus in Südamerika. Bei den Recherchen verbrachte der Wissenschaftler einige Zeit bei den Asháninka-Indios in Brasilien und Peru. Gerade die Teilnahme Narbys an einer Konferenz in Prag sei ausschlaggebend gewesen für die Planung der Expedition, so Tomáš Páleniček:„Wir haben zu der Konferenz Fachleute eingeladen und Vertreter des Indianerstammes Huni Kui. Geplant war das als öffentliche Präsentation des Themas Ayahuasca werden. Dabei wollten wir auch ein Grundkonzept unserer Expedition zeichnen. Jeremy Narby sollte als Experte für das Rauschmittel auftreten. Außerdem haben wir Eduard Schoenberg Raum gegeben, damit er seine Versuche mit dem Trunk vorstellen konnte, die er in Brasilien an Probanden durchgeführt hat.“
Teil der Zeremonie werden
Die geplante Expedition soll die Wissenschaftler ebenfalls nach Brasilien führen, mit dabei ist eine Gruppe von Freiwilligen. Infrage kommen vor allem Patienten mit Depressionen, deren Reaktion auf Ayahuasca getestet werden soll. Die Versuchsreihen finden jedoch nicht in einer brasilianischen Klinik statt, sondern mitten im Urwald. Die Probanden sollen nämlich Teil einer traditionellen Ayahuasca-Zeremonie werden. Vor einigen Jahren wäre das für Frauen unmöglich gewesen, meint Tomáš Páleniček:„Wir wollen mindestens 18 Probanden mitnehmen, die an einer Ayahuasca-Zeremonie teilnehmen. Dabei gilt natürlich: Je mehr Menschen sich an den Versuchen beteiligen, desto besser. Frauen können sich gleichberechtigt mit Männern für die Studie melden. Heute gibt es keine strengen Auflagen mehr, wonach nur Männer an den Zeremonien teilnehmen dürfen. Bei den Indios haben mittlerweile auch Frauen Zugang zu den Riten.“
Bei der Studie steht eine sehr psychoaktive Droge im Mittelpunkt, deren Wirkung oft nicht abgeschätzt werden kann. Die Einnahme kann sowohl Horrorvisionen verursachen, als auch tiefe innere Ruhe. Zu den häufigsten Nebenwirkungen zählen wiederum schwerer Durchfall und Erbrechen. Deshalb betont Tomáš Páleniček, dass die Untersuchung auf Freiwilligkeit basiere und wissenschaftlich einwandfrei aufgebaut sei:
„Wir wollen die Zeremonie direkt begleiten und in ihrem Verlauf die Probanden untersuchen. Einerseits wollen wir EEG-Daten von ihnen sammeln. Andererseits sollen sie uns ihr Ayahuasca-Erlebnis schildern, also wie sie sich davor und danach gefühlt haben. Die Freiwilligen erleben bei unserer Versuchsreihe zwei Zeremonien. Einmal konsumieren sie Ayahuasca mit dem psychoaktiven Wirkstoff DMT. Gerade dieser ist für die Visionen verantwortlich. Ein anderes Mal trinken sie dann Ayahuasca ohne diesen Bestandteil, was dann so eine Art Placebo wäre.“ Nebenbei wolle man auch die Indios selbst dazu animieren, an der Studie teilzunehmen und sich untersuchen zu lassen, so Páleniček. Hinter den Beobachtungen verbirgt sich insgesamt die große Hoffnung, einen Durchbruch zu erreichen bei der Behandlung psychischer Erkrankungen.Respekt vor der Kultur der Indios
Die kommende Expedition will an schon bestehende Kontakte mit Indios aus dem Amazonasbecken anknüpfen. Man sei nämlich nicht das erste Mal in Südamerika unterwegs, erläutert Tomáš Páleniček:
„Wir waren schon einige Male dort. Gerade in diesem Jahr sollte eine engere Zusammenarbeit mit den Huni-Kui-Indianern und dem Mayantuyacu-Zentrum entstehen. Dort hat übrigens eine Zeitlang auch Jeremy Narby gearbeitet. Außerdem wollten wir wissen, wie gut unsere Technik in den extremen Witterungsbedingungen funktioniert.“
Man müsse sich nämlich vorsichtig an die Kultur der Ureinwohner herantasten, bevor man sie erforschen könne, meint der Neurobiologe:„Ich glaube, dass die Vorbereitungsreisen durchaus Sinn hatten. Wir haben die Gegend und die Leute kennengelernt. Vor allem konnten wir den Einheimischen erklären, dass wir ihnen mit den EEG-Messgeräten nicht die Gehirne stehlen wollen. Und vor allem, dass keiner vorhat, ihr kulturelles Erbe zu zerstören. Mittlerweile haben wir wirklich angenehme Kontakte mit den Einheimischen dort knüpfen können.“