Vom Missionar zum Sträfling: Karel Přikryl und das Verbot der Jesuiten

Julianische Festung in Lissabon (Foto: Archiv Pavel Zavadil)

Die Jesuiten waren im 18. Jahrhundert der stärkste und einflussreichste Orden der Welt. In vielen Ländern wuchs jedoch das Misstrauen der Herrscher gegen sie, bis der Orden 1773 weltweit aufgehoben wurde. Diese Geschehnisse betrafen auch den böhmischen Jesuiten Karel Přikryl, der sechs Jahre in einer unterirdischen Zelle in Portugal eingekerkert wurde. Im Folgenden seine Lebensgeschichte.

Es war das Jahr 1766, als Karel Přikryl folgenden Brief schrieb:

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„Unsere Zellen befinden sich in einem Kellergeschoss, das eher einem Grab gleicht. Das Areal liegt am Meeresufer, was die Feuchtigkeit noch erhöht. Würmer und Käfer leisten uns unangenehme Gesellschaft. In den Mauern befinden sich nur kleine Löcher, durch die gerade so viel Licht fällt, dass sich unsere Wärter beim Essenholen orientieren können. Sonst ist es hier absolut dunkel. Wir müssen beim Essen eine kleine Öllampe anzünden, was einen unvorstellbaren Gestank verursacht.“

Mit diesen Worten beschrieb Karel Přikryl seine Inhaftierung in der Julianischen Festung in Lissabon. Zusammen mit ihm waren noch etwa 170 weitere Jesuiten aus vielen Ländern Europas in dem Kerker gefangen. Sie hatten keine Verbrechen begangen, sie waren bloße Pechvögel. Aber dazu später mehr.

Karel Přikryl wurde 1712 in Prag geboren. Seine Familie ermöglichte ihm eine gute Ausbildung. Mit 22 Jahren beschloss er, Jesuit zu werden. Miroslav Herold ist selbst Ordensmitglied und Publizist:

„Přikryl absolvierte sein zweijähriges Noviziat in Brünn, dann studierte er in Olmütz Philosophie. Nachdem er darauf an einigen Jesuitenschulen unterrichtet hatte, entschied er sich für ein Studium der Theologie. Dadurch konnte er seine Priesterkarriere starten. 1748 legte er in Jičín sein Ordensgelübde ab.“

Zu dem Zeitpunkt war Karel Přikryl schon 36 Jahre alt, aber entsprechend lange Studienjahre waren typisch für die Jesuiten. Jeder Bruder musste sich 15 Jahre lang ausbilden lassen, bis er sich nicht nur in Theologie und Philosophie, sondern zum Beispiel auch in Mathematik, Geographie und Geschichte auskannte. Auch körperliche Fitness und Geschicklichkeit waren notwendig. Denn Missionsfahrten mussten meist zu Fuß zurückgelegt werden, und in den Zielländern mussten sich die Missionare selbst versorgen.

Im indischen Goa im Einsatz

Miroslav Herold  (Foto: Tschechisches Fernsehen)
Karel Přikryl wollte Missionar werden, das war damals die einzige Möglichkeit, um die Welt kennen zu lernen. In Latein- und Südamerika, Indien oder Asien –überall waren die Jesuiten tätig. Přikryl wurde nach Goa an der Westküste Indiens geschickt. Für die Reise dorthin brauchten er und seine Kollegen länger als ein Jahr. Wie er später in einem Brief an seine Mitbrüder nach Böhmen schrieb, seien sie in einen solch schrecklichen Sturm geraten, dass sich alle in ihren Gebeten bereits vom Leben verabschiedet hätten. Der Liebe Gott aber habe die Missionare ihr Ziel erreichen lassen. Miroslav Herold:

„Goa war ein wichtiges Zentrum europäischer Kultur in Vorderindien. Das galt auch im religiösen Sinne, denn schon in den 1730er Jahren wurde dort ein Bistum gegründet. Die Jesuiten betrieben in Goa ihr weltweit größtes Studenteninternat. Von dort brachen die Ordensbrüder auf zu Missionsreisen in die ganze Region. Der Einfluss der Jesuiten ist dort überall bis heute sichtbar. Während in Indien insgesamt der Anteil von Christen relativ niedrig ist, stellen sie in der Region Goa laut bestimmten Schätzungen bis zu 40 Prozent. In der Stadt Goa sind auch noch einige Gebäude aus der jesuitischen Zeit erhalten geblieben. Der Orden war dort bis zu seinem Verbot im Jahr 1773 tätig.“

Karel Přikryl unterrichtete am Seminar in Goa, zugleich studierte er die dortige Sprache. Diese beherrschte er letztlich so perfekt, dass er ihre Grammatik in einem Buch schriftlich zusammenfasste. Es war das erste Lehrbuch der Landessprache von Goa überhaupt.

Julianische Festung in Lissabon  (Foto: Archiv Pavel Zavadil)
Přikryl hätte sich sicher bis zum Ende seines Lebens dieser Arbeit verschrieben, wenn in Europa nicht dunkle Wolken für die Jesuiten aufgezogen wären. Die Gründe waren vielseitig: In vielen Ländern hatte der Orden das ganze Schulsystem in den Händen und beeinflusste dadurch die Ausbildung der gesellschaftlichen Elite. Das widersprach dem Verständnis des politischen Absolutismus, die Herrscher fühlten sich bedroht durch die Patres. Zudem verfügte der Orden über eine enorme Wirtschaftskraft. Schließlich löste diese Sonderstellung auch innerhalb der katholischen Kirche eine Welle der Kritik aus. Damit war der Weg zum Verbot der Jesuiten geebnet. Das erste Land, das dies wagte, war Portugal. Für Karel Přikryl und seine Mitbrüder hatte dies fatale Folgen, schließlich war ihr Missionsgebiet eine portugiesische Kolonie.

„Im Jahr 1761 mussten wir ein Schiff besteigen, und fünf Monate lang waren wir auf dem Meer unterwegs. Während dieser qualvollen Fahrt starben 23 unserer Mitreisenden. Ihr ruhiges Gemüt, Gelassenheit, Geduld und Vertrauen an Gott ging auf uns über und nahm jegliche Traurigkeit von uns. Endlich gelangten wir am 20. Mai nach Lissabon, in die Mündung des Tejo. Wir waren 104 Ordensbrüder. Einige andere waren jedoch in Indien geblieben. Sie waren aus der Stadt geflüchtet und den portugiesischen Kommissaren gelang es nicht, sie zu zu fangen“, so beschrieb später Karel Přikryl seine erzwungene Rückkehr nach Europa.

Kaum Luft zum Atmen

Julianische Festung,  die Zelle von Karel Přikryl  (Foto: Archiv Pavel Zavadil)
Er und seine Mitbrüder landeten in der Julianischen Festung – ohne jede Anklage, ohne Ahnung, wann sie wieder frei kommen würden. Die Bedingungen waren hart: Im Kerker war es dunkel, feucht und schimmelig, kaum zum Atmen. Die Gefangenen wurden bei Brot und Wasser gehalten, nur ab und zu gab es dem Bericht nach ein Stück stinkendes Fleisch. Die Inhaftierten erbaten bei ihren Wärtern eine kleine Lampe, um beim Essen wenigstens etwas sehen zu können. Nach und nach bekamen sie auch einige Bücher und durften einander treffen. Gelegentlich war auch die Versendung eines Briefes möglich. Wie Přikryl in einem dieser Briefe notierte, gründeten er und seine Mitbrüder in der Festung auch eine eigene Universität. In den Reihen der Patres befanden sich schließlich hoch gebildete Spezialisten, die den anderen ihre Erfahrungen und Kenntnisse vermitteln wollten.

Der Jesuit Přikryl aus Böhmen hatte Glück. Nach sechs Jahren wurde er freigelassen – wegen der Fürsprache von Maria Theresia. Seine Mitbrüder aus anderen Ländern mussten auf ihre Freiheit hingegen teilweise bis zu 20 Jahre warten, falls sie vorher nicht starben. Die österreichische Kaiserin und böhmische Königin wollte aber nicht mehr dulden, dass ihr unschuldiger Untertan im Gefängnis litt. 1766 kehrte der böhmische Missionar in seine Heimat zurück. Zunächst war er in Jičín und dann in Hradec Králové / Königgrätz tätig, wo er 1773 auch die offizielle Aufhebung des Ordens erlebte. Wie aber Miroslav Herold betont, verlief dieser Schritt in der Habsburger Monarchie kultiviert und friedlich:

Maria Theresia
„Maria Theresia war unter den europäischen Herrschern diejenige, die am längsten dem Druck zur Aufhebung des Ordens standhielt. Schließlich wurde nur noch auf ihr Wort gewartet, dieser radikalen Entscheidung zuzustimmen. Maria Theresia hielt große Stücke auf die Jesuiten, in vielen Reformfragen war sie mit ihnen einig. Es gab natürlich auch gewisse Streitigkeiten, die aber in der fraglichen Zeit bereits vergessen waren. Die Herrscherin räumte letztlich ihre Position, um einen Konflikt mit den anderen europäischen Mächten zu vermeiden. Sie ordnete aber an, bei der Auflösung des Ordens rücksichtsvoll vorzugehen. Den Brüdern wurde einige Zeit gegeben, um vor der Aufgabe ihrer Tätigkeit eine neue Beschäftigung zu finden und private Angelegenheiten zu regeln. Allen Ordensbrüdern wurde zudem eine lebenslange Rente zugestanden.“

Diese Rente konnte auch Karel Přikryl ein gutes Jahrzehnt genießen. Trotz aller überstandenen Härten starb er erst 1785 mit 73 Jahren. Sein Grabstein steht noch heute auf dem Domfriedhof in Hradec Králové.