„Allen Landespatronen unterworfen“ – der Anfang des Jesuitenordens in Böhmen

Foto: Karolinum Verlag

Wie anderswo haben die Jesuiten auch die Entwicklung der Böhmischen Länder rund zwei Jahrhunderte lang mitgeprägt und deutliche Spuren im Kulturerbe des Landes hinterlassen. Trotzdem wurde diese Epoche lange Zeit in der tschechischen Geschichtsschreibung als „dunkle Zeit der Rekatholisierung“ bezeichnet. Erst seit der politischen Wende von 1989 wird diese Sichtweise hierzulande so langsam durch eine objektivere Betrachtung ersetzt. Unter diesem Aspekt wurden in den vergangenen Jahren neue Erkenntnisse über die Gründung und die Arbeit des Jesuitenordens in den Böhmischen Ländern gewonnen.

Ignatius von Loyola
Die Jesuiten entstanden 1534 in Paris. Ideengeben war der baskische Adlige Ignatius von Loyola. Kaum zwei Jahrzehnte später gingen die Jesuiten bereits in die Böhmischen Länder. Zum 450. Jahrestag dieses Ereignisses starteten die Prager Karlsuniversität und die Böhmische Provinz der Gesellschaft Jesu ein gemeinsames Projekt, es heißt „Bohemia jesuitica 1556 – 2006“. Nach einer großen internationalen Konferenz erschien vor einiger Zeit eine gleichnamige Publikation mit zahlreichen Aufsätzen zum Thema. Petronilla Čemus hat die Herausgabe des Konvoluts betreut, sie ist Kunsthistorikerin und Philologin für lateinische Literatur des Mittelalters und der Neuzeit. Über die Gründung der „Böhmischen Provinz“ des Jesuitenordens erzählt sie:

„Die böhmische Provinz war eine der größten und bedeutendsten, deren Gründung noch Ignatius von Loyola persönlich als sein letztes Missionswerk von Rom aus leitete. Von dort kamen im April 1556 die ersten zwölf Jesuiten nach Prag. Ignatius starb dann am 31. Juli desselben Jahres. Der Anfang der Jesuitentätigkeit in Prag ist daher mehr mit Petrus Canisius verbunden. Nach Bonifatius gilt er als ´zweiter Apostel´ Deutschlands und könnte in gewissem Sinne auch als ein Apostel der Tschechen angesehen werden. Canisius bekleidete das Amt des Provinzials und leitete damit die große Oberdeutsche Provinz des Ordens, der seit 1556 auch die Böhmischen Länder angehörten. Das von den Jesuiten in Prag gegründete ´Kollegium Clementinum´ war eine der größten Lehrstätten, die von der ´Societas Jesu´ nördlich der Alpen betrieben wurden.“

Petrus Canisius
Der von Ignatius hoch geschätzte Gesandte Petrus Canisius begrüßte die Mission der ersten Jesuitengruppe persönlich vor Ort in Prag. Petronilla Čemus hat den Briefwechsel zwischen den beiden Männern studiert.

„Canisius besuchte ab 1555 ungefähr viermal Prag, um die Gründung des ´Kollegium Clementinum´ zu planen. In einem Schreiben bat er Ignatius, sich einer Fürbitte bei den böhmischen Schutzpatronen Václav (Wenzel), Vojtěch (Adalbert), Vít (Veit) und Zikmund (Sigismund) anzuschließen. Damit legte Canisius den Grundstein für das, was man bis heute in jeder Jesuitenkirche hierzulande sehen kann: die Ehrfurcht vor – so Ignatius wörtlich - ´allen Schutzpatronen dieses altehrwürdigen böhmischen Königreichs´. Das zeugt von einer hohen Sensibilität und dem Einfühlungsvermögen dieses Mannes, der schnell begriff, was hierzulande für die Menschen wichtig ist und woran man anknüpfen muss. Eine bedeutende Rolle wurde vor allem dem heiligen Wenzel beigemessen, er wurde als Bindeglied zwischen den Utraquisten, also den Reformierten, und den Katholiken wahrgenommen.“

Klementinum  (Foto: Archiv Radio Prag)
In Prag wurden die Jesuiten allerdings nicht mit offenen Armen empfangen. Auch die Bedingungen, die sie hierzulande vorfanden, waren alles andere als rosig.

„Unterkunft fanden sie in der Prager Altstadt in der Ruine des Dominikanerklosters Sankt Clemens. Fast 150 Jahre nach der Hussitischen Revolution waren dort nur noch wenige Dominikaner, sie zogen dann nach Absprache mit den Neuankömmlingen an einen anderen Ort in Prag. Im Gebäude war es kalt und nicht selten warfen Menschen auch Steine in die Fenster, die nicht verglast waren. Hier begann also die Geschichte des berühmten Prager Jesuitenkollegs, das bis heute ´Klementinum´ heißt. Seine heutige Gestalt erhielt es jedoch erst 150 Jahre später. Dass die Jesuiten seinen Namen von den Dominikanern übernommen haben, war einer der Akte der so genannten Inkulturation, die heutzutage als ein bedeutendes Phänomen der jesuitischen Betätigung gilt“, so die Kunsthistorikerin.

Ferdinand I.
Seinen Mitbrüdern, die er nach Prag sandte, gab der Ordensbegründer Ignatius ausführliche Unterweisungen. Auf ihre Umsetzung bestand auch Canisius konsequent. Ignatius´ Empfehlungen lassen darauf schließen, dass er über die religiöse, kulturelle und soziale Lage im damaligen Böhmen im Bilde war. Die Lage war durch große Spannungen und Konflikte geprägt.

„Das Land befand sich in jeder Hinsicht in einem absolut desolaten Zustand, sei es im Schulwesen, in der Kultur oder in der Religion. Das war auch der Grund, warum Kaiser Ferdinand I. den heiligen Ignatius sehr dazu drängte, Jesuiten nach Prag zu entsenden. Ignatius fasste seine Anweisungen in zwölf Punkten zusammen, die eines gemeinsam hatten: einen Appell, alles im Interesse der ´Erbauung der Stadt und des Reiches zu tun´. Die Kolleggründung sollte in Prag nicht als Kriegserklärung an die Nichtkatholiken empfunden werden, viel mehr aber zum religiösen Frieden beitragen. Ignatius schreibt ausdrücklich, man solle Abstand nehmen von Streitigkeiten, die aufrührerisch erscheinen könnten. Im Umgang mit den Menschen solle ´der Anschein von Verachtung´ vermieden und stattdessen die Haltung der Liebe gegenüber allen’ angewandt werden.“

Salvator-Kirche  (Foto: Archiv Radio Prag)
Wie selbstverständlich wird angenommen, dass sich die Patres auch in der Landessprache üben. Petronilla Čemus:

„Ignatius mahnte die ersten Jesuiten nachdrücklich, schnell Tschechisch zu lernen, um in dieser Sprache predigen zu können. Und so wurde in der Tat in der Prager Salvator-Kirche tschechisch gepredigt. In der Vlašská-Straße in der gleichnamigen Kapelle war es wiederum italienisch, denn damals lebten viele Italiener in Prag. In der Clemenskirche war die Predigt auf Deutsch und in der Spiegelkapelle des Klementinums auf Latein. Währenddessen wurden die ersten Jesuiten tschechischer Abstammung in Rom ausgebildet. Am 12. Februar 1555 machte sich ein internationales Team von zwölf Jesuitenmissionaren - ein Schweizer, ein Italiener, ein Deutscher, ein Österreicher und acht Flamen – in Rom auf den Weg. In Prag kamen sie dann am 21. April 1556 an.“

Trotz der ärmlichen Bedingungen, unter denen die Jesuiten begann Wurzeln in Prag zu schlagen, gelang es ihnen schnell, sich auf vielen Gebieten intellektuell zu behaupten. Der Schulbetrieb im Prager Jesuiten-Kolleg begann bereits am 8. Juli 1556. Auch deswegen entwickelte sich die Stadt an der Moldau nachfolgend zu einem bedeutenden Bildungszentrum. Im 17. und 18. Jahrhundert kommen von hier auch im europäischen Kontext beachtliche Beiträge zur Entwicklung des Schulwesens, der bildenden Kunst, Architektur, des Theaters, der Musik, der Literatur, der Philosophie und der Mathematik sowie auch der Medizin:

Edmund Campion
„In Prag gaben sich gelehrte Jesuiten der ganzen damaligen Kulturwelt die Klinke in die Hand, was wiederum auch viele Besucher anderer Konfessionen anlockte. Seinerzeit gab es zum Beispiel den Spruch ´venire Pragam, audire Ariagam´ - man komme nach Prag, um Arriaga zu hören. Rodriguez Arriaga war ein bedeutender Philosoph spanischer Abstammung, unter anderem war er auch Lehrer des spanischen Kaisers Ferdinand III., der einige Jahrzehnte bis zu seinem Tod im Jahr 1667 in Prag lebte. Edmund Campion kam aus England, um im südmährischen Brünn sein Noviziat zu absolvieren. Eine Zeitlang lehrte er Rhetorik in Prag. Seine Vorsteher schickten ihn später nach England, wo er allerdings schon nach kurzer Zeit verhaftet und hingerichtet wurde. Für Katholiken und besonders Jesuiten war damals die öffentliche Tätigkeit in England verboten. Im 16. und 17. Jahrhundert waren es aber eindeutig die Flamen, die in der internationalen Prager Gemeinschaft am stärksten vertreten waren.“

Petronilla Čemus  (Foto: Archiv der Tschechischen Provinz des Jesuitenordens)
Der Jesuitenorden war lange Zeit in ganz Europa starken Anfeindungen ausgesetzt und die Böhmischen Länder bildeten dabei keine Ausnahme. Petronilla Čemus verweist hingegen vor allem auf das Positive an der internationalen Tätigkeit des Jesuitenordens. An seiner Wiege in Böhmen sieht sie vor allem Petrus Canisius, der nicht nur nach Prag mit seiner Mission kam, die Bildung anzuheben:

„Mich fasziniert an ihm, dass er ganz Europa bereiste und vielerorts Schulstätten gründete. Verwunderlich ist aber, dass seine Biographen nicht in der Lage sind, das Profil dieser Persönlichkeit komplex zu zeichnen. Canisius bleibt nämlich hinter seinem Lebenswerk versteckt. Mir gefällt an ihm, dass er so im Hintergrund geblieben ist und dennoch ein großes Fundament für die Bildung geschaffen hat.“

Foto: Karolinum Verlag
An der Prager Karlsuniversität, die den Sammelband „Bohemia Jesuitica“ herausgegeben hat, weiß man durchaus die Bedeutung von Canisius zu schätzen. So sagte der Universitätsrektor Václav Hampl bei der feierlichen Präsentation des Bandes im Januar 2011:

„Die Rolle der Jesuiten in der Geschichte der Karlsuniversität ist unübersehbar und substantiell vor allem im 17. und 18. Jahrhundert. Damals hatte ihre Betätigung eine Schlüsselbedeutung für die Bewältigung der sich schleppenden und chronischen Krise zu Ende des Mittelalters. Die Jesuiten haben sich nicht nur um die Entwicklung der Theologie und der Philosophie verdient gemacht, sondern auch um die der naturwissenschaftlichen Fächer.“

Besonders aus tschechischer Sicht ist wichtig, dass nun ein neuer Blick auf die Geschichte der Jesuiten geworfen wird. Das erkennt auch der Orden selbst an. Ludvík Armbruster ist Jesuit und ehemaliger Dekan der katholischen Theologie an der Prager Karlsuniversität:

Ludvík Armbruster  (Foto: Michal Maňas,  Wikimedia CC BY 3.0)
„Das Buch ist keine Verteidigung des Jesuitenordens. Die Jesuiten waren Menschen wie alle anderen, mit guten wie schlechten Erfahrungen und mit guten wie schlechten Eigenschaften. Vielleicht wird dieses Buch dazu beitragen, dass man sie vorurteilslos betrachten und das Wirken des Ordens in Böhmen besser verstehen wird.“