250 Jahre seit Beginn der Wetteraufzeichnungen: Das Prager Klementinum als Klimaarchiv
Im Prager Klementinum, einem ehemaligen Jesuitenkolleg, in dem heute die tschechische Nationalbibliothek ihren Sitz hat, befindet sich eine Wetterstation, an der seit 250 Jahren ununterbrochen die Witterungsbedingungen aufgezeichnet werden. Die Station ist damit weltweit eine der ältesten ihrer Art. In Zeiten des Klimawandels bieten die historischen Daten wertvolle Informationen zur Entwicklung von Temperatur, Luftdruck und Niederschlagsmenge im Laufe der Jahrhunderte. Aber wie läuft die Messung vor Ort heute ab? Unser Redakteur hat das Klementinum besucht und sich die Messinstrumente angesehen – und er durfte dabei auch einen atemberaubenden Ausblick auf Prag genießen.
Unscheinbar sind die kleinen Anbauten, die sich an der Fassade im Innenhof des Prager Klementinums befinden. Doch sie haben es in sich. Denn hier, mitten im Zentrum von Prag und nur wenige Meter vom Touristentrubel des Königsweges entfernt, werden seit 250 Jahren Wetterdaten aufgezeichnet.
Ilona Zusková führt in den Bau hinein. Sie ist die Leiterin der Abteilung für Meteorologie und Klimatologie bei der Prager Niederlassung des Tschechischen Hydrometeorologischen Instituts (ČHMÚ). Von einem Fenster in einem Raum im Inneren des Gebäudes können die Instrumente zur Wetterbeobachtung abgelesen werden.
„Wir befinden uns hier in einem Anbau des Klementinums auf der Nordseite des Südflügels, gleich gegenüber der St.-Klemens-Kirche. In diesem Raum waren früher die Wetterbeobachter tätig.“
Wo genau im Jahr 1775 die Temperatur gemessen wurde, ist heute nicht mehr bekannt. Sicher ist hingegen, dass die Messungen später auch auf dem astronomischen Turm der Anlage durchgeführt wurden und seit 1781 von dem Raum aus, in dem wir nun stehen. Jan Daňhelka leitet im ČHMÚ die Abteilung für Hydrologie. Er hat sich nicht nur wegen des diesjährigen Jubiläums intensiv mit der Geschichte der Wetteraufzeichnungen im Klementinum beschäftigt. Wie er im Interview für Radio Prag International erzählt, begannen die Aufzeichnungen in der Station noch vor 1775:
„Die ersten Messungen im Klementinum, von denen wir heute noch wissen, fanden 1752 statt. Der damalige Direktor der Sternwarte, Joseph Stepling, zeichnete die Lufttemperatur, den Luftdruck und den Niederschlag auf.“
Messungen auch in Kriegszeiten
Joseph Stepling stammte aus einer gemischten, deutsch-böhmischen Familie. Die Sternwarte, die auf seinen Wunsch hin im Prager Jesuitenkolleg eingerichtet wurde, nahm 1751 ihren Betrieb auf.
„Ab 1769 liegen uns monatliche Daten zum Luftdruck und ab 1771 für die Temperatur vor. Und vor 250 Jahren begannen dann die täglichen Aufzeichnungen von Temperatur und Luftdruck, die bis heute erhalten sind.“
Und mit „täglichen Aufzeichnungen“ meint Jan Daňhelka tatsächlich, dass seit 250 Jahren jeden Tag die Messinstrumente abgelesen wurden – zu Hochzeiten in der Mitte des 19. Jahrhunderts sogar bis zu 20 Mal am Tag. Es kamen Epidemien, es kamen Kriege, doch die Wettermessungen wurden nie unterbrochen. Zuträglich war laut dem Hydrologen etwa, dass die Station im Klementinum im Ersten Weltkrieg auch zu militärischen Zwecken diente. So wurde hier eine Abteilung des österreichisch-ungarischen Feldwetterdienstes eingerichtet, die Daten über die Witterungsverhältnisse für die Luftstreitkräfte sammelte.
Vor allem aber widmete sich die Prager Station in den vergangenen zweieinhalb Jahrhunderten der Wissenschaft, und dahingehend kam es kurz nach Beginn der regelmäßigen Messungen zu einem wichtigen Meilenstein – im August 1781. Jan Daňhelka:
„Damals schloss sich das Klementinum der Societas Meteorologica Palatina an. Das Netzwerk war kurz zuvor in Mannheim gegründet worden. Dazu gehörten verschiedene Stationen in Europa – vor allem in Deutschland, aber auch die hier in Prag. Zudem schlossen sich Stationen in Russland und in Amerika an. Es wurde überall nach den gleichen Regeln gemessen und sogar mit identischen Instrumenten, damit die Daten vergleichbar waren.“
Datenübermittlung heute alle zehn Minuten
Die Messungen erfolgten täglich um 7, 14 und 21 Uhr. Und aus den Werten zu diesen drei Tageszeiten wird auch heute noch die durchschnittliche Tagestemperatur im Klementinum bestimmt. Ansonsten hat sich aber vieles geändert, wie Ilona Zusková berichtet:
„Seit 2022 ist die Anlage komplett automatisiert. Es muss also nichts mehr manuell abgelesen werden, sondern die Daten werden digital übermittelt.“
Alle zehn Minuten werden die gesammelten Informationen übertragen. Persönlich muss hier in der Station nur noch ab und zu jemand zum Reinigen der Instrumente vorbeischauen.
Arbeitsort mit atemberaubendem Ausblick
Während die Temperatur an der Fassade der einstigen Klosterwand gemessen wird, befinden sich die Apparaturen für die Messung von Wind, Sonnenlicht und Niederschlag an einem anderen Ort: auf dem Dach des Klementinums.
„In einigen Aufzeichnungen beschweren sich die ehemaligen Direktoren darüber, wie schwer das Dach zu erreichen sei. Vor allem, wenn Herren in hohem Alter dieses Amt ausführten, schrieben sie zu den täglichen Wetteraufzeichnungen oft entsprechende Beschwerden hinzu“, berichtet Daňhelka.
Und auch heute ist der Weg nicht ganz unbeschwerlich. Um zur Messstation zu gelangen, muss man sich zunächst mit einer Schlüsselkarte an der Pforte des Gebäudes ausweisen. Dann geht es nach oben. Zunächst über eine Wendeltreppe, dann muss Ilona Zusková mehrere Türen aufschließen, bis wir schließlich auf einer Eisentreppe die letzten Meter auf das Dach zurücklegen.
Der Blick von oben ist atemberaubend. Prag liegt einem nicht zu Füßen, stattdessen breitet sich die Stadt der Hundert Türme vor einem aus wie ein feingewobener Wandteppich oder ein schönes Gemälde. Das Meer aus ziegelroten Dächern ergießt sich zu allen Seiten in den Horizont, über dem in den verschiedenen Himmelsrichtungen der Aussichtsturm auf dem Petřín-Hügel, der Žižkov-Fernsehturm und die Prager Burg thronen. Ilona Zusková darf diesen Ausblick öfter genießen:
„Wir begeben uns einmal pro Woche hierher, vor allem, um den Niederschlagsmesser zu reinigen. Denn in Prag gibt es viel Staub, und manchmal fällt auch ein Käfer in den Trichter und verstopft die automatische Anlage mit der Kippwaage.“
Mittels dieser Waage werden heutzutage die Niederschläge gemessen, die sich im Inneren des Tubus ansammeln. Wenn eine bestimmte Menge Wasser oder geschmolzener Schnee auf der Wippe landet, kippt sie und entleert sich. Über einen Mechanismus kann die Anzahl der Kippbewegungen berechnet werden, aus denen dann die Niederschlagsmenge errechnet wird. Dass Regen und Schnee gewogen werden, sei allerdings keine große Neuerung, sagt Daňhelka:
„Die früheren Messgeräte waren ebenfalls besondere Konstruktionen. Der Niederschlag wurde in einem Trichter gesammelt und vom Dach in die Räume darunter geleitet. Dort wurde das Wasser gewogen und der Wert dann in Millimeter umgerechnet. Wie genau diese Umrechnung erfolgte, haben uns die Herrschaften an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert aber nicht sonderlich gut dokumentiert. Für uns ist das heute ein Quiz, das wir immer noch zu lösen versuchen, und wir können uns mit den Niederschlagswerten aus der Anfangszeit der Messungen einfach nicht sicher sein. Deshalb geben wir für das Klementinum erst die Werte ab dem Jahr 1805 an.“
Heliograph und Anemometer
Auf der Plattform in luftiger Höhe befindet sich nicht nur der Niederschlagsmesser, sondern auch eine moderne Anlage für die Bestimmung der Windgeschwindigkeit. Und Zusková weist noch auf weitere Geräte hin:
„Wir reinigen hier oben auch den automatischen Sonnenmesser. Zudem sieht man hier den ursprünglichen Heliographen nach Campbell Stokes. Man führte einen Papierstreifen in ihn hinein. Die angebrachte Glaskugel funktionierte wie eine Lupe, und wenn die Sonne schien, wurden Löcher in das Papier gebrannt. Einmal im Monat wurde der Streifen an die Zentrale geschickt, und dort wurde die tägliche Sonnenscheindauer bestimmt.“
Heute erfüllt die Glaskugel nur noch eine dekorative Funktion, technisch ist die Gerätschaft längst überholt. Aber selbst moderne Geräte seien aufgrund der Lage nur bedingt einsetzbar, sagt Jan Daňhelka:
„Um den Niederschlagsmesser herum weht der Wind stärker, das ist ähnlich wie an der Oberseite eines Flugzeugs. Die Folge ist, dass der Luftstrom den Niederschlag abdrängt. Instrumente in so großen Höhen, die dem Wind frei ausgesetzt sind, haben deshalb die Tendenz, zu geringe Niederschlagsmengen anzugeben.“
Deshalb werden Regen, Schnee und Hagel in Tschechien heute einen Meter über der Oberfläche gemessen. Die Anemometer zur Messung der Windgeschwindigkeit befinden sich standardmäßig auf einer zehn Meter hohen Stange. Und die Temperatur muss zwei Meter über einer Rasenfläche bestimmt werden. Im Klementinum herrscht keine dieser Bedingungen vor – und daran wird sich wohl auch in den kommenden 250 Jahren nichts ändern.
Dennoch hat die Station bis heute großen Wert. Denn sie bietet gleichbleibende Bedingungen. Daher können hier langfristige Veränderungen des Klimas gut nachvollzogen werden. Dies gelte etwa für die Erderwärmung, meint Jan Daňhelka:
„Wenn man sich die Temperaturen im Verlauf der 250 Jahre anschaut, fällt zunächst ein Rückgang auf. Zwischen 1825 und 1875 war es am kältesten. Seitdem sind die Werte aber recht schnell angestiegen. Vor allem ab den 1980er Jahren ist eine starke Erwärmung zu verzeichnen.“
2024 war das wärmste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen
Das bisher wärmste Jahr, das jemals im Klementinum gemessen wurde, war 2024. Die Durchschnittstemperatur lag bei 13,3 Grad Celsius. Auch die anderen zehn wärmsten Jahre lagen alle nach der Jahrtausendwende. Die langfristige Temperaturentwicklung spiegeln auch die an einzelnen Tagen gemessenen Rekorde wider. Der niedrigste jemals im Klementinum gemessene Wert stammt vom 1. März 1785, als das Thermometer auf -27,6 Grad herabsank. Am heißesten war es hingegen am 27. Juli 1983 mit 37,8 Grad. Und ähnliche Werte wurden auch in den letzten Jahren gemessen.
Die steigenden Temperaturen im Klementinum hängen laut Daňhelka aber nicht nur mit dem Klimawandel zusammen, sondern auch mit dem Phänomen der städtischen Wärmeinsel. Denn hier, im Zentrum von Prag, ist es laut einer Studie von Ilona Zusková im Schnitt 1,6 Grad wärmer als in den Vororten der tschechischen Hauptstadt. Hydrologe Daňhelka schildert:
„Ilona hat für eine Studie einmal die Daten aus Wien, wo ebenfalls schon sehr lange gemessen wird, mit denen aus Prag verglichen. Dabei hat sich deutlich herausgestellt, dass die Erwärmung hier wesentlich schneller war als in Wien. Und das kann eben auch daran liegen, dass sich die dortige Hohe Warte nicht mitten im Zentrum befindet. Wenn man sich hier umsieht, blickt man nur auf Dächer und bebaute Flächen. Der Klimawandel führt hier logischerweise zu höheren Temperaturen als in Parks oder in der Nähe von Grünflächen.“
Besonders sichtbar wird der Klimawandel und das Phänomen der Hitzeinsel im Winter, wenn es heute im Vergleich zu den historischen Erhebungen kaum noch Tage mit einer geschlossenen Schneedecke gibt. Doch Ilona Zusková verweist zudem auf die Sommermonate:
„Wir haben einen radikalen Anstieg tropischer Nächte zu verzeichnen, was natürlich Stress bei den Menschen auslöst. Wir haben Daten aus der Innenstadt mit denen vom Flughafen am Stadtrand verglichen. Und der Unterschied ist wirklich massiv.“
Es gibt kein schlechtes Wetter, nur falsche Kleidung
Obwohl Ilona Zusková der Klimawandel Sorgen bereitet, antwortet sie auf die Frage nach ihrem persönlichen Lieblingswetter so:
„Ich bin wohl ein thermophiles Wesen und mag auf jeden Fall Sonne. Aber dafür muss es ja nicht Sommer sein. Selbst wenn es ordentlich kalt ist und die Sonne scheint, bin ich glücklich.“
Ähnlich geht es Jan Daňhelka.
„Ich mag es auch, wenn es warm ist, aber eigentlich mag ich jedes Wetter. Und außerdem gibt es ja kein schlechtes Wetter, sondern man ist nur schlecht darauf vorbereitet. Ich hoffe, dass das Tschechische Hydrometeorologische Institut den Menschen dahingehend eine Hilfe sein kann. Und ohne die Langzeitbeobachtungen und die Anfänge vor 250 Jahren wäre unser Institut heute ganz sicherlich nicht da, wo es nun ist.“
Zum 250-jährigen Jubiläum der Wetteraufzeichnungen im Prager Klementinum soll in diesem Jahr eine umfangreiche Publikation erscheinen. Im Mai wird an dem historischen Ort zudem eine Ausstellung über die Geschichte der Wetterstation eröffnet.

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