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4) Klementinum: Pracht und Wissenschaft des Barock

Klementinum (Foto: Magdalena Hrozínková)

Das Klementinum beziehungsweise Clementinum ist ein umfangreiches Barockgebäude, in dem die tschechische Nationalbibliothek ihren Sitz hat. Zudem ist auch die älteste Wetterstation hierzulande untergebracht. Man findet den Bau in der Prager Altstadt, gleich gegenüber dem Altstädter Turm der Karlsbrücke. Das Klementinum war seit dem Mittelalter ein Zentrum der Bildung sowie des geistigen und wissenschaftlichen Lebens. Heute beherbergt es unter anderem eine der schönsten Barockbibliotheken weltweit und die Sternwarte mit einem einzigartigen Blick auf die Dächer der Altstadt.

Klementinum  (Foto: Magdalena Hrozínková)

Das Klementinum, genannt nach Kirche des heiligen Klemens, ist ein ehemaliges Jesuitenkolleg. Das Barockgebäude wurde nach der Ankunft der Jesuiten in Böhmen 1556 errichtet. Es erstreckt sich auf einer Fläche von zwei Hektar und ist somit der zweitgrößte Baukomplex in der tschechischen Hauptstadt, gleich nach der Prager Burg. In einem der vielen Höfe kann man sich heute an einen der Tische setzen. Dort wartet unsere Begleiterin auf uns, die Kunsthistorikerin Šárka Gandalovičová:

Šárka Gandalovičová vor dem Denkmal an Joseph Stepling  (Foto: Magdalena Hrozínková)

„Das Klementinum ist als ein einzigartiger, von Jesuiten erbauter Barockkomplex bekannt. Doch für jeden hat es eine andere Bedeutung. Ausländische Touristen sehen es als eines der wichtigsten Baudenkmäler Prags, das sie neben der Prager Burg, der Karlsbrücke oder dem Vyšehrad gesehen haben müssen. Für die Tschechen beziehungsweise für die Prager hat es eine andere Bedeutung. Ich selbst habe lange Zeit im Prager Stadtzentrum gewohnt, in dem man sich in der Sommersaison normalerweise wegen der Touristenmassen kaum bewegen kann. Für uns bietet das Klementinum eine schöne Abkürzung, wenn man von der Karlsbrücke zum Altstädter Ring geht. Und für gebildete Tschechen ist das Klementinum vor allem eine wichtige Institution: Dort hat nämlich die Nationalbibliothek ihren Sitz. Sie wurde 1777 gegründet, ihre Anfänge liegen aber noch tiefer in der Vergangenheit und sind mit dem Jesuitenorden verbunden.“

Dominikaner und Jesuiten

Klementinum  (Foto: Magdalena Hrozínková)

Die Besucher bewundern heute vor allem die Barockräume des Klementinum. Sie ahnen dabei wohl aber nicht, dass die Besiedlung des Ortes bis ins 9. Jahrhundert zurückreicht. Šárka Gandalovičová beschreibt, wie die Altstadt im Mittelalter aussah:

Krypta der Salvatorkirche  (Foto: Magdalena Hrozínková)

„Die Jesuiten, die 1556 auf das Gelände an der Karlsbrücke kamen, waren selbstverständlich nicht die ersten, die hier gebaut haben. Schon im 13. Jahrhundert stand hier ein Dominikanerkloster mit einer Kirche, die dem heiligen Klemens geweiht war. Es gab hier etwa 25 Häuser und Gärten.“

An die frühere Bebauung des Grundstücks an der Moldau erinnern Bauelemente in der Krypta der Salvatorkirche. Die Krypta dient heute als Meditationsraum. Eben dort sind die ältesten Überreste des mittelalterlichen Klementinum zu sehen, wie Martin Staněk von der Salvator-Pfarrgemeinde erläutert:

Krypta der Salvatorkirche  (Foto: Magdalena Hrozínková)

„Der unterirdische Raum mit den Überresten des Dominikanerklosters vom Anfang des 13. Jahrhunderts wird als Krypta bezeichnet, eigentlich ist es aber ein gewölbter Barockkeller unter der Sakristei. Wir wissen nicht genau, wozu der Raum früher diente, wahrscheinlich wurde hier Messwein aufbewahrt. Die tatsächliche Krypta liegt ein paar Meter weiter, hinter einer massiven Mauer. Es wird dort allerdings seit vielen Jahrhunderten nicht mehr bestattet. Man kann dort mit eigenen Augen die Reste des mittelalterlichen Hauses sehen, in dessen Umgebung sich die Dominikaner etwa 1230 niederließen. Wir befinden uns heute vier Meter unter der Erdoberfläche, damals war dies aber Straßenhöhe. Zu sehen sind hier Quader aus Plänersandstein, die ein Portal bilden. In unserer Pfarrgemeinde ist überliefert, dass eben durch dieses Portal der mittelalterliche deutsche Mystiker Meister Eckhart kam, um sich im Kloster eine gewisse Zeit aufzuhalten.“

Studium und Wissenschaft

Klementinum | Foto: Magdalena Hrozínková,  Radio Prague International

1420 wurde das Dominikanerkloster von Hussiten geplündert und zerstört. Der Jesuitenorden kam 1556 auf Einladung von Kaiser Ferdinand nach Prag. Die Jesuiten erhielten vom Kaiser ein leer stehendes baufälliges, ehemaliges Dominikanerkloster, in dem sie eine Hochschule als Konkurrenz zur utraquistischen Karlsuniversität aufbauen sollten. Bereits 1562 erhielt das Klementinum die Universitätsrechte. Šárka Gandalovičová:

Salvatorkirche  (Foto: Magdalena Hrozínková)

„Die Habsburger begriffen, dass sie die Tschechen am besten durch Bildung und Predigen zum katholischen Glauben bringen können. Dazu eignete sich der neugegründete Jesuitenorden sehr gut. Man nimmt an, dass die ersten Jesuiten, die nach Prag kamen, direkt von Ignatius von Loyola ausgewählt wurden. In der ersten Phase wurden die Gebäude auf der Seite der Karlsbrücke errichtet, das sind das alte Kolleg und die Salvatorkirche. Schrittweise wurden weitere Bauten angeschlossen. Der jüngste Teil des Klementinum am Marienplatz stammt aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts.“

Klementinum  (Foto: Magdalena Hrozínková)

Am Bau beteiligten sich bedeutende Architekten wie Carlo Lurago, Domenico Orsi, Franz Maximilian Kaňka und Kilian Ignaz Dientzenhofer. Im Gesamtkomplex befanden sich fünf Höfe, zwei Kirchen, mehrere Kapellen, eine Schule und ein Wohnheim für 700 Studenten aus Böhmen und dem Ausland. Weiter gab es dort eine Bibliothek, eine Druckerei, eine Sternwarte, eine Apotheke und sogar ein Theater. Einige Ausstattungsstücke des Theaters befinden sich heute in der Sakristei der Salvatorkirche, wie Martin Staněk erläutert:

Schränke aus dem Jesuitentheater  (Foto: Magdalena Hrozínková)

„Es gibt hier Schränke aus dem Jesuitentheater, sie sind fünf Meter hoch und dienten zur Aufbewahrung von Kulissen. Das Jesuitentheater war ein Phänomen, im Klementinum wurden aufwändige Opern und Theaterstücke in der Interpretation von Studenten und Professoren aufgeführt. Der Theatersaal im östlichen Gebäudeflügel ist ein riesiger Raum mit bemalter Holzdecke. Ich hoffe, dass er bald für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird.“

Sonnenuhr in einem Hof des Klementinums  (Foto: Magdalena Hrozínková)

1616 wurde das Klementinum zur katholischen Universität erhoben. Nach der Schlacht am Weißen Berg von 1620 übernahmen die Jesuiten auch die Leitung der alten Prager Universität. Kaiser Ferdinand III. vereinigte dann 1654 das Klementinum mit der Karlsuniversität.

Opulente Barockbibliothek

Barockbibliothek  (Foto: Archiv der Nationalbibliothek)

Das Highlight beim Rundgang durch das Klementinum ist ein Besuch in der angeblich schönsten und am besten erhaltenen Barockbibliothek der Welt. Im abgedunkelten Saal, in den man hineinschauen darf, sind alte Globen, Fresken, vor allem aber wertvolle Bildbände zu sehen. Die ältesten der 22.000 Bücher würden von Anfang des 17. Jahrhunderts stammen, betont Pavel Hrabánek. Er führt Besucher durch das Klementinum:

„Alle Bücher sind Originale. Die Bücher stehen in Regalen über zwei Stockwerke verteilt. Unten ist theologische Literatur, oben Bücher zu Mathematik, Sprachwissenschaft, Rhetorik, Latein, Griechisch und Philosophie. Die meisten Bücher sind auf Latein geschrieben, ansonsten auch in Deutsch, Tschechisch und weiteren europäischen Sprachen.“

Barockbibliothek  (Foto: Archiv der Nationalbibliothek)

Die Bibliothek diente ausschließlich den Jesuiten, und zwar bis zur Aufhebung des Ordens im Jahr 1773. Damit kam das Klementinum in staatliche Hände. Die Kaiserin und böhmische Königin Maria Theresia ließ das Observatorium weiterbetreiben, richtete 1781 die Nationalbibliothek ein, an die die alten Buchbestände übergingen, und übergab Teile des Gebäudes der Universität zur Nutzung.

Sternwarte und Wetterstation

Astronomischer Turm | Foto: Magdalena Hrozínková,  Radio Prague International

Nach einer Besichtigung der Bibliothek wartet auf die Besucher der Aufstieg zum Astronomischen Turm. Die Dominante des Klementinum ist 68 Meter hoch. Auf der Turmspitze steht eine Figur des Atlas, dieser trägt eine metallene Weltkugel auf seinem Rücken. Auf dem Weg kommt man am Meridian-Saal vorbei, in dem heute alte astronomische Geräte ausgestellt sind. Früher wurde in diesem Raum die Zeit gemessen. Und zwar genau zwölf Uhr mittags bestimmt. Denn durch ein Loch in der Wand fiel genau um diese Zeit ein Sonnenstrahl auf eine Saite, die über den Boden gespannt war, und damit ließ sich der genaue Zeitpunkt angeben. Ab 1842 wurde der Mittag an die Einwohner Prags verkündet, und zwar schwenkte man vom Umgang des Astronomischen Turms eine Fahne. Später kam noch ein Kanonenschuss hinzu. Diese Praxis gab es bis 1928, dann wurde die Fahne durch ein Radio-Signal abgelöst. Bis heute hängen im Turm die Repliken der Fahnen, wie Pavel Hrabánek beschreibt:

Ausblick auf die Denkmäler und Dächer des Prager Stadtzentrums  (Foto: Magdalena Hrozínková)

„Es gibt hier eine schwarz-goldene Fahne der österreichischen Monarchie sowie die weiß-rote Fahne der Tschechen beziehungsweise der Slawen. Und dazwischen hängt eine weiße Fahne.“

Der Umgang liegt in der Höhe von 52 Metern, fast 170 Stufen führen dort hoch. Der einzigartige Ausblick auf die Denkmäler und Dächer des Prager Stadtzentrums entlohnt jedoch für den mühsamen Aufstieg.

Meteorologische Messgeräte  (Foto: Magdalena Hrozínková)

Vom Turm aus sieht man zudem eine kleine Dachterrasse mit meteorologischen Geräten. Mit ihrer Hilfe werden im Klementinum seit fast 250 Jahren ununterbrochen tägliche Wetterbeobachtungen aufgezeichnet. Die ersten Messungen von Temperatur und Niederschlag nahm der damalige Leiter der Sternwarte, Josef Stepling, vor. Die Wetterstation ist die älteste noch bestehende in Tschechien und eine der ältesten weltweit. Fast nirgendwo anders wird schon so lange kontinuierlich gemessen.

Spiegelkapelle  (Foto: Magdalena Hrozínková)

Während die Wetterstation im Klementinum noch bis heute reibungslos funktioniert, lässt sich dasselbe nicht auch von der Nationalbibliothek behaupten. Die räumlichen Kapazitäten des Barockkomplexes reichen schon lange nicht mehr für die Bestände, die aus sechs Millionen Schriftstücken bestehen. Weiter kommen die Studierenden in die Lese- und Studiensäle und den Katalogsaal im Klementinum, die Bücher werden aber zum Großteil aus einem Depositar am Rande der Stadt geliefert. Zudem steht den Studierenden der Prager Hochschulen hier eine Pfarrgemeinde zur Verfügung, sie ist eine der aktivsten Kirchengemeinden hierzulande. Und sie arbeitet auch mit den Jesuiten zusammen, die aber nicht wieder an den Ort hier zurückgekehrt sind. Das Klementinum ist vor allem ein historisches Baudenkmal. Und die Besucher nehmen nicht nur die Führungen in Anspruch, sondern kommen etwa auch zu den Konzerten in der prächtigen Spiegelkapelle.

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