5) Alchimie und obskure Gestalten – das Faust-Haus am Karlsplatz
Es ist sicher nicht die erste Sehenswürdigkeit, die man in Prag ansteuert. Da finden sich in der „Goldenen Stadt“ viele weitere, die deutlich beeindruckender sind. Und doch ranken sich um das Faust-Haus geheimnisvolle Geschichten und Legenden. Wie sollte es auch anders sein bei dem Namen? Ein Ausflug an das Südende des Karlsplatzes in der Prager Neustadt.
Wer heute vor dem Faust-Haus steht, der blickt auf eine rot und grau getünchte Fassade. Sie ist eine Mischung aus barocken Originalelementen und späteren Umbauten. Vor allem aber hat der Bau nichts gemein mit dem dunklen Ort, wie ihn Alois Jirásek in seiner Legende vom Faust-Haus beschrieben hat:
„Die roten Dachziegeln waren schmutzig-dunkel geworden, das Mauerwerk abgebröckelt, das Fensterglas von Staub und Regen erblindet und alles voller Spinnenweben“, so Jirásek zu Ende des 19. Jahrhunderts in seiner Sammlung böhmischer Sagen.
In das halbverfallene Haus jedenfalls bettet der Autor die Geschichte von Doktor Faust, der sich dem Teufel verschreibt und von eben diesem dann geholt wird:
„Der Teufel ging auf ihn los, packte ihn und hielt ihn mit seiner Klaue fest. Obwohl sich Faust noch wehrte, fuhr er mit ihm raus – aber nicht durch die Tür, sondern direkt durch die Decke. Und so bekam Faust, was er verdient hatte: Dem Teufel hatte er sich verschrieben, und der Teufel holte ihn. Das Loch aber blieb, das er in die Decke geschlagen hatte. Mehrmals wurde es zugemauert, aber immer bröckelte der Verputz bis zum nächsten Morgen wieder ab. Und dann war da wieder das schwarze Loch wie vorher.“
Jirásek schreibt die Legende jedoch weiter, indem er einen armen Studenten auf den Spuren von Faust wandeln lässt – aber auch er wird vom Teufel geholt. Diese oder ähnliche Legenden hätten mit der Wahrheit wenig zu tun, sagt die Historikerin Jaroslava Nováková. Sie hat früher beim Prager touristischen Informationsdienst gearbeitet und kennt sich gut aus mit der Geschichte des Hauses:
„Der Name des Hauses stammt sicher nicht daher, dass hier etwa Doktor Faust gelebt haben könnte. Der Name ist erst in der Zeit der Romantik im 19. Jahrhundert aufgekommen, wegen einer entsprechenden Sage. Diese aber ist kein Zufall. Denn an dem Ort hier lebten gleich mehrere Personen, die alchimistische oder chemische Versuche unternommen haben. Das begann bereits in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts mit Herzog Wenzel II. von Troppau und setzte sich weiter fort. In dem Haus wohnten nacheinander unterschiedliche Familien. Es wurde jeweils baulich umgestaltet, aber immer wieder fanden sich interessante Persönlichkeiten unter den Besitzern.“
Frühslawische Opfer- und Begräbnisstätte
Die Anfänge der Besiedlung an dem Ort des Faust-Hauses reichen jedoch viel weiter zurück – in vorchristliche und frühslawische Zeiten.
„Wir wissen, dass es direkt hier oder in unmittelbarer Nachbarschaft eine heidnische Opfer- und Begräbnisstätte gegeben hat. Denn nicht weit entfernt liegt die Örtlichkeit Na Moráni, heute heißt eine Straße so. Der Name deutet auf die altslawische Gottheit Morena hin“, sagt Jaroslava Nováková.
Und die Morena war unter anderem die Göttin des Todes und der Nacht.
Später lag der Ort am wichtigsten Handelsweg im mittelalterlichen Prag. Dieser verband die Prager Burg mit dem Vyšehrad am anderen Moldauufer, also die beiden Residenzen des Geschlechts der Přemysliden. In der Nähe einer solch wichtigen Straßenverbindung habe nur jemand bauen dürfen, der auch gesellschaftlich weit oben stand, sagt die Historikerin:
„Bekannt ist, dass hier ein Hof der Herzöge von Troppau entstand. Dies war eine bedeutende Adelsfamilie in den böhmischen Ländern, denn das Herzogtum wurde praktisch vom böhmischen König Přemysl Otakar II. gegründet.“
Wahrscheinlich ließ der erste von drei außerehelichen Söhnen des Herrschers das Palais bauen, er hieß Nikolaus. Und auch nach den Hussitenkriegen gehörte das Anwesen weiter den Herzögen von Troppau.
„Und einem von ihnen, nämlich Herzog Wenzel II. von Troppau, werden bestimmte alchemistische Aktivitäten nachgesagt. Er interessierte sich also für die Eigenschaften von chemischen Elementen und hat auch mit solchen Stoffen hantiert. Schon damals erhielt das Haus seinen schlechten Ruf. Es hieß, dass hier komische und ungewöhnliche Dinge geschehen würden.“
Und das setzte sich weiter fort. Ein nächster Vertreter der obskuren Reihe war Johann Kopp von Raumenthal, ab 1528 Hofarzt von Kaiser Ferdinand I. Auch er hantierte wohl mit Chemikalien. Dass sich deswegen Geschichten verbreiteten, hatte auch mit der Lage des Hauses zu tun. Es befand sich am Rand des damaligen Viehmarktes, den viele einfachere Menschen besuchten. Ihnen kam das Geschehen sehr unheimlich vor.
Lange schwarze Haare und Ohrstummel
Der wohl bekannteste Vertreter von Ärzten und Alchimisten unter den Eignern des Hauses war Edward Kelly. Der Engländer kam zu Ende des 16. Jahrhunderts nach Böhmen und galt bereits als illustre Persönlichkeit. Jaroslava Nováková:
„Er war eine sehr ungewöhnliche Erscheinung: relativ groß gewachsen und schlank, mit langen schwarzen Haaren. Ein bisschen sah er aus wie ein Hexenmeister oder – wenn man so will – wie ein Schwarzmeister. Mit den schwarzen Haaren verdeckte er allerdings seine Ohrstummeln. Wegen eines Rechtsbetrugs waren ihm nämlich die Ohren abgeschnitten worden.“
Kelly kam 1584 zunächst als Lehrling eines noch erfolgreicheren Alchemisten nach Prag, und zwar John Dee. Kaiser Rudolph II. war aber zunächst nicht sonderlich angetan von den beiden Herren.
„Wahrscheinlich hatte man Kaiser Rudolph II. vor den beiden Engländern gewarnt. Sie wurden angeblich als Agenten der englischen Königin Elisabeth II. bezeichnet“, so die Historikerin.
Edward Kelly ging dann zunächst nach Südböhmen. Und dort hinterließ er Eindruck durch sein Wirken am Hof von Wilhelm von Rosenberg...
„Kelly hatte tatsächlich dann auch Erfolg am Hof von Rudolph II. Er wurde sogar zum kaiserlichen Rat erhoben. In dieser Funktion kaufte er das Haus hier. Wobei das nicht ganz korrekt ist, denn eher hat seine Frau den Kauf getätigt. Sie hatte zuvor ihr Eigentum in Brüx (Tschechisch: Most, Anm. d. Red.) und im heutigen Nordböhmen veräußert. Bekannt ist jedoch, dass Edward Kelly hier tatsächlich eine Zeitlang gewisse Versuche unternommen hat. Damit und mit seiner äußerlichen Erscheinung hat er die Menschen hier in seinen Bann gezogen.“
Die Tradition eigenartiger Besitzer setzte sich auch noch im 18. Jahrhundert fort. Mittlerweile hatte Ferdinand Antonín Mladota von Solopysk das Haus erworben. Den Grafen könnte man heute als eine Art Erfinder bezeichnen, er beschäftigte sich mit den Prinzipien von Optik, Elektrizität und Magnetismus. In diese Fußstapfen seien auch zwei seiner Erben getreten, sagt die Geschichtswissenschaftlerin:
„Einer von ihnen sammelte zum Beispiel mechanisches Spielzeug, das er dann ausbesserte. Angeblich soll dieses Spielzeug wunderlich ausgesehen haben. So geht die Erzählung, dass sich im Haus und um es herum zum Beispiel Gerippe bewegt haben sollen.“
Später kaufte die katholische Kirche einen Teil des Hauses. Unter anderem zog der Pfarrer Karl Jaenig dort ein, er leitete die benachbarte Gemeinde von St. Johannes von Nepomuk. Auch Jaenig hatte angeblich eine ungewöhnliche Leidenschaft: das Sammeln von Bestattungsgegenständen.
„Diese Geschichten waren in der Zeit, als das Haus bereits der Kirche gehörte, noch sehr lebendig – also in den 1830er und 1840er Jahren. Es war die Ära der Romantik, und so entstanden bei den Menschen bestimmte Vorstellungen, aus denen dann der Name Faust-Haus hervorging“, so Nováková.
Wandmalereien aus der Renaissance
Heute gehört das Haus der 1. medizinischen Fakultät der Prager Karlsuniversität. Zwar betreibt sie wahrlich keine Alchimie, aber ein wenig setzt sich damit die Tradition fort. Für die Öffentlichkeit sind die Räume eigentlich nicht zugänglich. Außen wie innen präsentiert sich das Gebäude als ein Gemisch unterschiedlicher Stile. Ein Teil sind frühere Umbauten, anderes musste nach einem Bombenangriff am 14. Februar 1945 ausgebessert werden. In einigen Räumen hat der Medizinische Klub ein Café eingerichtet. Dazu gehört auch ein alter Erker. Historikerin Nováková weist auf die Details dort hin:
„Zum Glück sind hier in diesem Raum über uns ein Kreuzgewölbe sowie an den Wänden Malereien aus der Renaissance zu sehen. Dieser Teil ist nicht beschädigt worden.“
Sind das dann auch die ältesten Teile des Hauses? Die Expertin sagt „Jein“.
„Die Bauteile aus der Renaissance sind die ältesten noch sichtbaren. Ohne Zweifel ist aber ein Teil der Wände im Haus noch älter. Denn das erste schriftliche Dokument, in dem das Haus erwähnt wurde, stammt aus der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts. Das heißt, die Fundamente des Hauses und des gesamten Hofes sind gotisch und wohl auch die Mauern bis in die Höhe von einigen Metern. Aus der Renaissance stammen noch einige Gewölbe und Mauern, oder zumindest ihre Verzierungen. Die Umbauten allerdings sind jüngeren Datums.“
Und zwar stammen diese vor allem aus dem Barock, zu Zeiten der Familie Mladota von Solopysk.
Radio Prag International dankt der 1. Medizinischen Fakultät der Prager Karlsuniversität dafür, dass sie eine Besichtigung des Gebäudes ermöglicht hat.