Die Jesuiten in Tschechien: Eine 450 Jahre währende Geschichte
Es gibt in der Weltgeschichte ebenso wie in der tschechischen Geschichte wohl kaum einen Orden, der sich im Verlauf seiner fast fünfhundertjährigen Existenz so oft in Widersprüche verstrickt hat, wie die Gesellschaft Jesu. Es ist der Orden der römisch-katholische Kirche, der 1534 in Paris gegründet wurde und dessen geheimes Grundstatut der Papst im Jahre 1540 mit der Bulle genehmigt hatte. Einen Abriss über das Wirken der Jesuiten im damaligen Böhmen und ihre geringer gewordene Bedeutung im heutigen Tschechien erhalten Sie in unserem aktuellen "Kapitel aus der tschechischen Geschichte".
"In diesem Jahr erinnern wir nicht nur daran, dass die Jesuiten im Jahre 1556 nach Prag gekommen sind, sondern auch an den Todestag des Ordensgründers Ignacio von Loyola, der ebenso vor 450 Jahren verstorben ist. Und wir erinnern an die Geburt des engsten Vertrauten von Loyola, des heiligen Franz Xaver, vor 500 Jahren. Das erstgenannte Jubiläum wurde mit mehreren Veranstaltungen begangen, von denen zwei herausragten: Eine große Ausstellung im Prager Klementinum und die internationale Konferenz Bohemia Jesuitica. In der Ausstellung wurde die Tätigkeit des Ordens im ältesten Jesuitenkollegium, das im Klementinum zu Hause ist, dokumentiert. Zudem waren die Archive der Nationalbibliothek mit dem wissenschaftlichen Fonds der Jesuiten auch für die breite Öffentlichkeit zugänglich. An der Konferenz, die von der Prager Karlsuniversität in Zusammenarbeit mit der Tschechischen Provinz des Jesuitenordens veranstaltet wurde, haben zahlreiche Historiker, Philosophen, Soziologen und weitere Experten aus dem In- und Ausland teilgenommen.."
Die Jesuiten kamen auf Einladung Kaiser Ferdinands I. nach Böhmen sowie auf Einladung der Katholiken, die damals vor allem durch den höheren Adel repräsentiert wurden. Der Orden sollte die Position der katholischen Kirche stärken, da diese durch die Hussitenkriege in den böhmischen Ländern nahezu paralysiert wurde. Das zeigte sich auch daran, dass das Prager Erzbistum bis zum Jahr 1563 nicht besetzt wurde. Die Jesuiten sollten also in erster Linie "die Ketzer" zum rechten Glauben bekehren. Doch Mitte des 16. Jahrhunderts trafen sie in Böhmen auf ein Land, in dem die utraquistische Konfession (so genannte Kalixtiner) überwog. Daher wurden sie von den Bewohnern zumeist nicht mit offenen Armen empfangen. Einige Zeitdokumente besagen, dass man sie sogar mit Steinen beworfen hat.
"Die ersten Jesuiten, die ins böhmische Königreich gekommen sind, stammten aus Westeuropa. Sie wurden von Pater Ursmar Goisson aus dem belgischen Lüttich angeführt. Nach den Ordensregeln waren sie verpflichtet, die Landessprache zu lernen; in Böhmen also zwei: tschechisch und deutsch. Zuerst standen ihnen ihre Schüler als Dolmetscher zur Seite, aber gegen Ende des 16. Jahrhunderts und insbesondere im 17. Jahrhundert kamen die Jesuiten schon aus den Ländern der Böhmischen Krone, so dass die anfänglichen Sprachprobleme überwunden waren. Bereits 1556 setzte sich Petrus Canisius, der als ´Apostel Deutschlands´ bezeichnet wurde, fúr die erste jesuitische Einrichtung in Mitteleuropa ein: Die Akademie Collegium Clementinum in Prag. Unter den Jesuiten gab es viele ausgezeichnete Gelehrte, wie z. B. den Philosophen und Theologen Roderigo Arriaga. Der Spanier kam im Jahre 1623 nach Prag und blieb hier bis zum seinem Tod. Unter den Jesuiten, die im 18. Jahrhundert in Prag wirkten, muss man besonders den Physiker, Astronom und Mathematiker Joseph Stepling hervorheben. Stepling war auch einer der bedeutendsten tschechischen Aufklärer."
Die Jesuiten ließen sich von ihrer Mission, mit den Andersgläubigen ohne Gnade Schluss zu machen, nicht abschrecken. Es kam ihnen dabei zu Hilfe, dass sie ausgezeichnete Prediger waren, die ihre Zuhörer zu überzeugen wussten. Sie besuchten Krankenhäuser und Gefängnisse, veranstalteten Theateraufführungen, und sie waren vor allem im Schulwesen sehr erfolgreich. Gerade dank ihrer schulischen Tätigkeit haben sie sich Schritt für Schritt in die böhmische Gesellschaft integriert.
"Die Jesuiten haben sich besonders auf ihre Mission und auf den Schulunterricht konzentriert. Jesuitenschulen wurden an jedem Studentenheim gegründet. Die älteste Schule, das bereits genannte Klementinum, entstand in der Prager Altstadt. Später folgte die Schule beim heiligen Ignatius, die in der Prager Neustadt auf dem heutigen Karlsplatz steht. Jesuitenschulen und -residenzen entstanden aber auch außerhalb von Prag, zum Beispiel in Ceský Krumlov / Krumau, Chomutov / Komutau, Litomerice / Leitmeritz, Jihlava / Iglau, Znojmo / Znaim, Brno / Brünn, Hradec Kralove / Königgrätz und in Telc. Nach Prag und Olomouc / Olmütz entstand Anfang des 18. Jahrhunderts auch im schlesischen Wroclaw / Breslau eine Universität. Sie war die dritte Hochschule, an der die Jesuiten aus den böhmischen Ländern gelehrt haben."
Die im Barockstil errichteten Bauten des Ordens sind unübersehbar. Denn sie sind stets imposant, majestätisch und überwältigend. Bis zum heutigen Tag zeugen sie von der Macht und vom Reichtum, den die Jesuiten unter der Obhut der Habsburger Herrscher, des katholischen Adels und später auch des Bürgertums nach und nach in Böhmen und Mähren erlangt haben. Die konsequente Rekatholisierung der böhmischen Länder nach der Schlacht auf dem Weißen Berg, wo die böhmischen Protestanten im Jahre 1620 niedergeschlagen wurden, war gleichbedeutend mit einem riesigen Aufschwung des Ordens. Er übernahm u. a. die bis dahin protestantische Universität Collegium Carolinum. 1623 erfolgte die Gründung der böhmischen Ordensprovinz. In den folgenden Jahren bis 1651 entstanden in ihr elf weitere Kollegien. Zu dieser Zeit wurden auch erste Jesuiten-Missionen in die ganze Welt entsandt, um das Christentum auch im entlegensten Winkel der Erde zu verbreiten.
"Die böhmischen Bekehrer gingen vor allem nach Südamerika - erst nach Brasilien und dann nach Peru und Chile. Später gingen sie aber auch nach Mexiko, Indien, China und auf die Philippinen. Sie waren widerstandsfähige und dauerhafte Reisende, Entdecker und Kartographen. Nennen wir wenigstens Samuel Fritz, der 40 Jahre lang im Amazonas-Flussgebiet verbrachte und glaubte, die echte Quelle des Amazonas entdeckt zu haben. Oder den Pater Karel Slavícek, der in China tätig war und das lateinisch-chinesische Wörterbuch zusammengestellt hat."
Im Jahre 1773 wurde der Jesuitenorden von Papst Klement XIV. aufgelöst. Im Jahre 1814 ist er von Papst Pius VII. zwar erneuert worden, aber die Zeit des Ruhmes und der Macht der Jesuiten war schon vorbei. In der Gesellschaft verbreitete sich eine antijesuitische Stimmung, die Angehörigen der Gesellschaft Jesu wurden immer mehr als Symbole von Unterdrückung, Fanatismus und Intoleranz wahrgenommen. Und diese Wahrnehmung hat bis weit in das 20. Jahrhundert hinein überdauert.
"Im kommunistischen Regime der ehemaligen Tschechoslowakei haben die Jesuiten bis zum Jahr 1989 im Rahmen der so genannten unterirdischen (illegalen) Kirche gewirkt. Ab diesem Jahr wurde ihre Tätigkeit offiziell erneuert. Gegenwärtig zählt der Orden einige Dutzende Mitglieder, der Sitz des Provinziats ist die Jesuitenschule beim heiligen Ignatius in der Prager Neustadt. An der Spitze des Ordens steht Pater Frantisek Hylmar, der an der Technischen Hochschule in Prag studierte. Die jungen Jesuiten studieren vor allem im Ausland und arbeiten dann in der geistlichen Verwaltung, aber nicht mehr im Schulwesen. Das Interesse für einen Beitritt zum Orden ist natürlich inzwischen gering geworden. Doch diese Situation ist nicht nur in Tschechien, sondern auch in Bayern oder in Österreich anzutreffen, obwohl das typische katholische Länder sind."