Aus Prag nach Tokio und zurück: Jesuitenpater und Philosoph Ludvík Armbruster

Ludvík Armbruster (Foto: Archiv der Tschechischen Bischofskonferenz)

Er ist katholischer Priester, Jesuitenpater, Philosoph und Theologe: Professor Ludvík Armbruster. Der gebürtige Prager hat über 50 Jahre lang in Japan gelebt. Er arbeitete unter anderem als Philosophieprofessor an der Sophia-Universität in Tokio.

Ludvík Armbruster  (Foto: Archiv der Tschechischen Bischofskonferenz)
In den 1950er Jahren war er in der Tschechoslowakei in ein kommunistisches Internierungslager gesteckt worden. Dann wurde er des Landes verwiesen, und seine Heimatstadt Prag durfte er erst nach der Wende wieder besuchen. Eine Zeitlang war er Dekan der theologischen Fakultät an der Parger Karlsuniversität und half bei der Erneuerung des Theologiestudiums hierzulande. Professor Armbruster wurde 2006 mit dem österreichischen Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst ausgezeichnet. 2008 verlieh ihm der tschechische Staatspräsident Klaus die Verdienstmedaille. Heute ist Ludvík Armbruster als Priester in der Ignatius-Kirche auf dem Prager Karlsplatz tätig. Kurz vor Weihnachten hat Radio Prag mit dem Jesuitenpater gesprochen.

Herr Professor Armbruster, wie war Ihr Weg zum Jesuitenorden?

„Das ging sozusagen direkt. In den letzten drei Jahren auf dem Gymnasium hatte ich mir vorgenommen, bei den Jesuiten einzutreten. Ich kannte eine Reihe von Patres. Im Juni 1947 machte ich die Matura, und am 14. August bin ich schon mit drei Kameraden aus Prag ins Noviziat in Velehrad eingetreten.“

Gerichtsprozess mit einem Priester  (sog. „Aktion K“). Foto: ČT24
Ihr Studium hat aber nicht lange gedauert. Denn im April 1950 wurden im Rahmen der so genanten „Aktion K“ in der Tschechoslowakei alle Ordensmitglieder und Theologiestudenten unter der Aufsicht des kommunistischen Geheimdienstes verhaftet. Wie haben Sie das damals erlebt?

„Wir hatten noch das Glück, dass wir die ersten zwei Jahre im Noviziat in Ruhe leben konnten. Dann sind wir nach Děčín / Tetschen gegangen. Dort hatten die Jesuiten ein kleines Kolleg. Wir begannen, am dortigen Philosophischen Institut zu studieren. Das Studium sollte drei Jahre lang dauern. Das erste Semester haben wir noch absolviert. Aber dann in der Nacht vom 13. zum 14 April 1950 um Mitternacht wurden wir alle verhaftet und interniert.“

Bohosudov / Mariaschein  (Foto: Archiv Radio Prag)
In welches Internierungslager wurden Sie gebracht?

„In Bohosudov / Mariaschein hatten die Jesuiten ein Gymnasium mit einem Internat in der Trägerschaft. Das Gymnasium wurde damals von der Polizei geschlossen, die Schüler mussten weg. Die Schule wurde praktisch in ein Internierungslager umgewandelt. Einen Tag lang kam ein Bus nach dem anderen nach Bohosudov, und es wurden Jesuiten aus verschiedenen Orten der Tschechoslowakei dorthin gebracht. Wir wurden dort von der Armee überwacht oder ´beschützt´. Die Geheimpolizei hoffte, dass sie in den Residenzen der Jesuiten kompromittierendes Material findet, um einen Grund zu haben für unsere Festnahme. Sie haben geglaubt, dass sich unter dem Altar Waffen befinden oder so etwas.“

Wie allen anderen Ordensleuten drohte Ihnen damals eine langjährige Internierung. Gerettet hat Sie Tatsache, dass Sie eigentlich ein Ausländer waren. Wieso?

Illustrationsfoto
„Das war so: Ich hatte einen österreichischen Großvater wie viele andere, die auf dem Gebiet der früheren k.u.k. Monarchie gelebt haben. Er stammte aus Niederösterreich, ließ sich im Adlergebirge nieder und heiratete eine Tschechin. Dann kam mein Vater zur Welt. Nach dem Ersten Weltkrieg, als 1918 die Tschechoslowakische Republik entstand, hätte mein Großvater eigentlich beim Amt die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft beantragen müssen. Er war aber so ein echter Österreicher und sagte: ´Ich zum Amt gehen? Nie. ´ Niemand konnte ihn dazu bringen. Er hat nichts getan und ist das geblieben, was er war. Während der Ersten Republik ergaben sich daraus für ihn keine Probleme. Die Erste Tschechoslowakische Republik war das alte Österreich in einer Neuauflage. Als aber Hitler in Wien einmarschierte, da läuteten bei uns in der Familie die Alarmglocken, und die Eltern stellten sich die Frage: Was werden wir tun? Ich habe erst damals überhaupt zum ersten Mal erfahren, dass ich eigentlich kein Tscheche bin, sondern ein Österreicher. Mein Vater hätte sich melden und Reichsdeutscher werden müssen. Das lehnte er jedoch ab. Er hatte alle Dokumente versteckt, und wir haben den Krieg als staatenlos oder ohne Staatsangehörigkeit irgendwie überstanden. Nach dem Krieg hat es lange gedauert, bis in Prag eine österreichische Botschaft eröffnet wurde. Aber eine Vertretung gab es bereits. Mein Vater grub die Dokumente wieder aus und legte sie beim Amt vor - und wir waren wieder Österreicher. Ich hatte nie in meinem Leben die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft. Als wir dann in Tetschen interniert wurden, habe ich mich gemeldet und gesagt, dass ich Ausländer bin. Sie wollten meinen Reisepass sehen, den habe ich gezeigt, sie haben ihn mitgenommen. Das hat dazu geführt, dass ich schließlich nach etwa zwei Monaten als ‚unerwünschter Ausländer‘ des Landes verwiesen wurde.“

Besatzungszonen in Österreich 1945–1955  (Quelle: C.Lingg,  Wikimedia Free Domain)
Wohin begaben Sie sich als „unerwünschter Ausländer“?

„Mit Polizeibegleitung wurde ich nach Gmünd befördert. Der Zug fuhr dann weiter nach Wien. Dort suchte ich die Jesuiten auf und habe versucht, so schnell wie möglich nach Rom weiterzureisen. Denn ich war der erste, der damals aus der Tschechoslowakei wegkam und wollte über die Lage in der Tschechoslowakei berichten. Die Jesuiten haben mit aber gesagt: ´Mit deinem Reisepass kommst du nicht über die Zonengrenze weiter, denn diese wird von russischen Soldaten kontrolliert und die erkennen nur Stempel im Identitätsausweis an. Daher haben mir die Jesuiten einen Identitätsausweis mit meinem Foto und 13 Stempeln besorgt. Das dauerte etwa zwei Wochen. An der Zonengrenze kamen die Russen, haben die 13 Stempel gesehen, und ich durfte weiterreisen und war frei.“

Foto: Archiv der Stiftung Partnerství
War das nicht ein wenig abenteuerlich?

„Nein. Derjenige, der aus der Tschechoslowakei zu fliehen versuchte und - wenn es klappte - durch verschiedene Lager geschleust wurde, in denen es von Agenten der Geheimpolizei wimmelte, der hatte es wirklich schwer. Das war wirklich abenteuerlich. Aber wenn man sozusagen Mitglied so einer Firma ist, die international tätig ist, wie der Jesuitenorden, dann ist es einfacher. Man geht praktisch zu den eigenen Leuten und wird gut aufgenommen.“

Aus Wien ging es weiter nach Rom. Haben Sie dort das Studium fortgesetzt?

„In Rom habe ich Philosophie studiert, also das, was ich in Tetschen angefangen hatte. Nach dem Magisterstudium meldete ich mich für die japanische Mission, sodass ich aus Rom nach Japan reiste. Die Jesuiten waren weise genug, dass sie möglichst junge Leute nach Japan schickten, solange diese noch aufnahmefähig waren.“

Yokohama  (Foto: Marc Antomattei,  Wikimedia CC BY-SA 3.0)
Das alles war nur wenige Jahre nach dem Krieg. Wie sah es damals in Japan aus?

„Es war genau sieben Jahre nach dem Krieg. Ich bin im September oder Oktober 1952 mit dem Schiff in Yokohama angekommen. Japan lag damals am Boden. Es war niederschmetternd. Das hat sich aber später geändert.“

Japanisch haben Sie zuvor aber nicht gelernt. Wie lange hat es gedauert, bis sie die Sprache beherrschten? Ist es überhaupt möglich, sie wirklich zu lernen?

Foto: ScooterZen,  Stock.xchng
„Das ist eine gute Frage. Die Jesuiten betrieben in der Nähe von Tokio eine Sprachschule für die jungen Missionare. Das Studium dort dauerte zwei Jahre lang. Uns schien es wie zwei Jahre Freiheitsstrafe, von morgens bis abends sollten wir nur Japanisch büffeln. Ich erinnere mich an unseren ersten Spaziergang oder Ausflug. Wenn man durch das Land herumgeführt wurde, erlebte man, wie die Welt einem Analphabeten erscheint, der sich nicht verständigen und nichts lesen kann. Das waren die ersten Eindrücke.“

Haben Sie dann angefangen, an einer Schule oder einer Uni zu lehren?

Jesuiten in Japan  (Foto: National Jesuit News)
„Nach den zwei Jahren Sprachschule wurde ich mit dem so genannten ´Tutoring´ beauftragt, wie es Englisch genannt wird. Ich war Mentor für Studenten, die bei den Jesuiten in Japan eingetreten waren und Philosophie studierten. Damals wurden alle Vorlesungen noch lateinisch gehalten, und die Studenten verstanden natürlich ´Bahnhof´. Deswegen haben wir alles noch einmal auf Japanisch durchgenommen. Für mich war das eine einzigartige Gelegenheit, in einer rein japanischen Umgebung zu leben, wo ich nur die Landessprache gebrauchte. Das hat mir sehr geholfen. Erst danach wurde ich zum Theologiestudium nach Frankfurt geschickt. Die deutsche Theologie war damals auf einem wirklich hohen Niveau. Im dritten Studienjahr wurden wir zu Priestern geweiht. Danach kehrte ich wieder nach Japan wieder. Ich habe dort dann Philosophie unterrichtet und als Erzieher im Diözesanseminar gearbeitet. Auch wurde ich zum Rektor ernannt. 1970 übernahmen die japanischen Bischöfe die Leitung des Seminars. Sie kamen damals mit frischen Gedanken vom Vatikanischen Konzil nach Hause. Für mich bedeutete dies, dass ich endlich zu den Jesuiten an der Universität stoßen konnte und glaubte, dass ich mich endlich mit Philosophie beschäftigen würde. Im Missionsgebiet besteht aber nie den Luxus, dass man nur einen Beruf hat. Ich musste nicht nur weiter philosophische Vorträge halten und Seminare leiten, sondern auch viel publizieren. Zuerst schrieb ich meine Aufsätze in Deutsch und ließ sie ins Japanische übersetzen, aber das war so unbefriedigend, dass ich angefangen habe, selbst japanisch zu schreiben.“

Franz Xaver
Professor Armbruster, die Christen sind in Japan eine kleine Minderheit. Wie wurden Sie dort damals in dem Land aufgenommen?

„Heute hat Japan etwa 122 Millionen Einwohner, und Christen aller Glaubensbekenntnisse stellen etwa eine Million von ihnen, also nicht einmal ein Prozent der Bevölkerung. Aber der Einfluss des Christentums in Japan ist unvergleichlich größer, als man diesen Zahlen nach annehmen würde. Durch die Aufnahme westlicher Zivilisation haben die Japaner viel mehr vom Christentum übernommen, als sie je wollten oder sich vorgestellt haben. Nachdem wir uns eingearbeitet hatten war es für uns eine Überraschung, dass wir in einem Land lebten, das bereits Mitte des 16. Jahrhunderts die ersten Kontakte mit Europa, also mit dem Westen aufgenommen hatte. Als die ersten Missionare um Franz Xaver nach Japan kamen, hatten die Menschen bereits 1000 Jahre eigene Kulturgeschichte hinter sich - ohne Kontaktaufnahme mit dem Westen. Die Tatsache, dass wir uns trotzdem verstehen, ist natürlich ein Wunder. Es hat sich gelohnt, dass die Jesuiten dort eine gute Universität auf die Beine gestellt haben. Denn die katholische Sophia-Universität gehört zu den drei besten Privatuniversitäten des Landes. Es war damals eine Prestigeangelegenheit, bei uns zu studieren. Wenn beispielsweise japanische Eltern erfuhren, dass ihre Tochter Ordensschwester werden wollte, fragten sie zuerst erschrocken, um welche Kirche oder Religion es sich handle. Wenn sie sagte, dass es die Kirche ist, die die Sophia-Universität gegründet hat, waren sie beruhigt. Diese gute Universität ist wie eine Visitenkarte der katholischen Kirche in Japan.“

Sophia-Universität  (Foto: Hykw-a4,  Wikimedia CC BY-SA 3.0)
Feiern die Japaner das Weihnachtsfest - und wenn, wie?

„Sie werden lachen, aber in Japan fing damals der Weihnachtstrubel schon Ende Oktober an. In den großen Kaufhäusern wurden Weihnachtsbäume aufgestellt. Weihnachten heißt dort ´Christmas´, es ist ein Phänomen, das niemand in Frage stellt. Eingeführt haben es aber nicht die Kirchen, sondern die Warenhäuser. Die beste Zeit für sie, um Gewinne in Japan zu machen, ist eigentlich die Neujahrszeit. Seit Jahrhunderten wird Neujahr in Asien ganz groß geschrieben. Früher dauerte die festliche Neujahrszeit zwei Wochen, das ganze Land hat immer gefeiert. Dann haben die Japaner entdeckt, dass die Europäer eine Woche vor Neujahr ein Fest haben, bei dem sie sich beschenken. Dann wurde die gesegnete Zeit auf drei Wochen ausgedehnt, und alle Leute haben mitgemacht. In der Zeit, als ich dort war, gab es Japaner, die nichts über Weihnachten wussten, aber sie haben ‚Christmas‘ gefeiert. In Japan begriff man aber schnell, dass Weihnachten kein Fest für irgendwelche Ausschweifungen ist, sondern eher für die Familien. In den Geschäften wurden immer Weihnachtskuchen verkauft, und jeder musste daher einen Weihnachtskuchen nach Hause bringen. Die Sophia-Universität befindet sich im Zentrum von Tokio, deswegen wurde an unserer Universität folgende Geschichte erzählt: Einmal an Heiligabend kamen ein paar Leute vorbei, die gerade einen Weihnachtskuchen gekauft hatten. Sie sahen das Licht in der Uni-Kirche, schauten rein und fragten, ob die Christen auch Christmas feiern. So ist es also mit Weihnachten in Japan: Es geht nicht tief unter die Haut, denn die Leute wissen meistens nicht, was sie feiern.“

Miloslav Vlk  (Foto: Barbora Kmentová)
Nach der Wende von 1989 durften Sie, Professor Armbruster, wieder zu Besuch nach Tschechien kommen. 1999 kamen sie auf Einladung der tschechischen Jesuiten, die während des Kommunismus im Untergrund waren, für etwa zwei, drei Jahre nach Prag. Sie halfen dann hier, den Jesuitenorden wieder auf die Beine zu stellen. Aus den ursprünglich geplanten zwei Jahren Aufenthalt sind inzwischen fast 15 Jahre geworden. Was war der Grund?

„Es war ungeplant und unerwartet: Damals geriet die katholische theologische Fakultät der Karlsuniversität in Schwierigkeiten. Es war ein etwas seltsamer Streit. In Europa ist es eher üblich, dass eine fortschrittliche Fakultät in den Streit mit einem konservativen Bischof gerät. Aber in Prag war es genau umgekehrt. An der Fakultät hatten sie sich – nicht aus bösem Willen – in eine Sackgasse hineinmanövriert. Die Akkreditierungskommission schlug daher dem Bildungsministerium vor, sämtliche Akkreditierungen der Fakultät zurückzuziehen. Das tat das Ministerium dann auch, und es sah nach einem Ende der Fakultät zum 30. September 2002 aus. Der damalige Prager Erzbischof, Kardinal Miloslav Vlk, entschloss sich aber, alles zu unternehmen, um die Fakultät zu retten. Und der damalige Rektor der Universität, Ivan Wilhelm, schloss sich ihm an. Ich weiß noch, was er damals zu mir sagte: ´Wenn die katholische Fakultät aufhören will, soll sie das meinetwegen tun, aber nicht solange ich Rektor bin. ´ Wilhelm war selbst kein Katholik. Er wollte aber nicht, dass eine der vier Gründungsfakultäten aufhört zu existieren.“

Gebäude der katholischen theologischen Fakultät der Karlsuniversität in Prag  (Foto: Avfedorenko,  Wikimedia Free Domain)
Nach einem Jahr der Zwangsverwaltung wurde ein neues Statut der Fakultät ausgearbeitet. Die Pädagogen wurden zum Teil durch neue Leute ersetzt. Kardinal Vlk bat Sie als Professor einer ausländischen Universität um eine kurze Zusammenarbeit…

„Die Fakultät wählte mich aber dann zum Dekan. Sieben Jahre lang war ich Dekan, erst dann bin ich – eigentlich schon zum zweiten Mal – in Rente gegangen. Heute arbeite ich aber immer noch: Ich bin bei der Verwaltung der Jesuitenprovinz tätig und arbeite als Priester - man wird es halt nie los.“

Haben Sie in der letzten Zeit Japan besucht? Sind Sie mit den dortigen Kollegen in Kontakt?

Tokio  (Foto: Morio,  CC 3.0)
„Ich reise jedes Jahr nach Japan. Meine Kollegen in Tokio haben sich daran gewöhnt, dass ich immer komme. Solange ich an der Karlsuniversität noch meine Vorträge hielt, konnte ich erst im Juni dort hinreisen. Das ist natürlich keine günstige Zeit für einen Japan-Besuch, denn im ersten Junidrittel fängt die Regenzeit an. Jetzt, wo ich keinen Unterricht mehr habe, fahre im Mai dorthin. Ich stelle mir nur die Frage, wie lange das noch wegen meiner Gesundheit möglich sein wird. Denn im Mai nächsten Jahres werde ich 86 Jahre alt.“