Tschechoslowakische Bartholomäusnacht vor 60 Jahren – Feldzug gegen katholische Kirche

Gerichtsprozess mit Ordensbrüdern

Im Februar 1948 übernahmen die Kommunisten die Macht in der Tschechoslowakei. Als erstes hatten sie vor allem eines im Sinne: Alle wichtigen Bereiche des gesellschaftlichen Lebens unter ihre Kontrolle zu bringen. Das geschah teils auf drastische Weise. Ein Beispiel für viele andere ist die so genannte „Aktion K“. Unter diesem Decknamen zogen vor 60 Jahren die bewaffneten Kräfte des tschechoslowakischen Polizei- und Parteiapparats gegen die Kirche ins Feld. Die Kirche, vor allem die katholische, stand ganz oben auf der Liste der Regimegegner. Die Verfolgung begann am 14. April 1950, genauer gesagt in der Nacht auf den 14. April.

Die „Aktion K“ - das „K“ stand für „kláštery“/Klöster - wird angesichts der angewandten Brutalität auch als „tschechoslowakische Bartholomäusnacht“ genannt. Zum Auftakt der langjährigen Repressionen gegen die Kirche hat sich die Kommunistenführung entschlossen, den Angehörigen der Ordensgemeinschaften den Gott aus dem Kopf zu schlagen. In der Nacht vom 13. zum 14. April 1950 wurde ihre Liquidierung in die Wege geleitet. Zunächst waren männliche Orden an der Reihe.

Gerichtsprozess gegen Ordensbrüder
Glocken gab es in jener Nacht nicht zu hören. Auch daran hatte man im Planentwurf für den flächendeckenden Überfall auf die Klöster gedacht. Man ließ sie „sorgfältig“ schon vorher verstummen. Jan Rychlý, Zeitzeuge:

„Es war gegen Mitternacht, als sie kamen. Ich war schon im Bett. Plötzlich stand über mir jemand mit einem Maschinengewehr. Alle mussten wir raus.“

So erinnert sich nach 60 Jahren Jan Rychlý, ein Ordensbruder aus der Region Opava / Troppau an die Nacht, die er als 17-Jähriger im ostmährischen Bystřice pod Hostýnem erlebt hat. Ebenso oder ähnlich erging es zur selben Zeit fast zweieinhalbtausend Ordensbrüdern in der ganzen Tschechoslowakei. Dazu der Historiker Vojtěch Vlček:

Das Buch 'Der Regen brennt' schildert die 'Aktion K'
„Man hat ihnen gesagt, die Klöster müssen auf Entscheidung der Arbeiterklasse geschlossen werden.“

Einer der noch lebenden Zeitzeugen ist auch Ludvík Armbruster, Professor an der Katholischen Theologischen Fakultät der Prager Karlsuniversität, Jahrgang 1928. Die Schicksalsnacht vor 60 Jahren hat er im nordböhmischen Děčín / Tetschen erlebt:

„In Děčín befand sich die philosophische Lehrstätte für junge Jesuiten. Ich war damals 22 Jahre alt und war im ersten Studienjahr. Wenn ich mich richtig erinnern kann, war der 13. April ein Donnerstag nach Ostern und wir hatten einen freien Tag zur Entspannung in der Natur. Zu dem Zeitpunkt hatten wir bereits seit mehreren Wochen zwei kommunistische ´Beobachter´ in unserem Haus. Sie nannten sich ´Regierungsbeauftragte´. An jenem Donnerstag stand unser Haus also leer, weil wir auf dem Ausflug waren. Daher waren sie absolut verwirrt und glaubten, dass wir alle geflüchtet seien. Aber am Abend waren wir wieder alle da und gingen wie gewohnt nach dem Abendessen schlafen. Gegen Mitternacht wurden wir geweckt. Das Haus war voller bewaffneter Leute.“

Ludvík Armbruster
Und danach lief schon alles nach dem Szenario ab, das im Prinzip landesweit für alle Klöster gleich war. Ludvík Armbruster:

„Wir waren ungefähr 20 Jesuiten und kamen alle gemeinsam mit unseren Lehrern im Speisesaal zusammen. Dort hat man uns ein Angebot gemacht: Wer aus dem Orden austritt, der kann nach Hause gehen. Niemand hat sich gemeldet. Danach hat man uns in einen Bus gesetzt und nach Bohosudov / Mariaschein unweit von Teplice / Teplitz gebracht. Dort hatte unser Jesuitenorden damals ein Gymnasium mit einem Internat. Die Schüler hatte man einen Tag zuvor nach Hause geschickt. In dieser Schule wurden wir dann interniert.“

Über dem Internatseingang konnte man die stolze Parole lesen: „Wir enthüllen die Reaktionäre“. Die meisten von ihnen mussten schon bald an verschiedenen Orten des Landes Zwangsarbeit leisten. Mehrere hundert landeten im Gefängnis. Noch einmal der Historiker Vojtěch Vlček:

Kloster in Krupka-Bohosudov
„Viele der Verhafteten gehörten der intellektuellen Elite an. Unter ihnen waren Philosophen, Theologen, Pädagogen u.a. Diese Menschen sind damit für 40 Jahre aus der Gesellschaft verschwunden.“

Die Kirchengemeinschaften und die Kirche im Allgemeinen betrachtete der Staat als einen seiner größten Feinde. Am Pranger landete vor allem die katholische Kirche, die im Vergleich zu den anderen Kirchen den stärksten Zulauf der Gläubigen fand. Darüber hinaus war sie auch Teil einer viel größeren internationalen Gemeinschaft mit der obersten Autorität im Vatikan. 1949 wurden zwar neue Kirchengesetze in der Tschechoslowakei verabschiedet, aber dem Regime ist es nicht gelungen, die existierenden Orden und Gemeinschaften mithilfe dieser Gesetze niederzubeugen. Sie konnten eine gewisse Autonomie behalten.

Und so musste die lange vorbereitete „Aktion K“ kommen, bei der ihre Vollstrecker den Klosterinsassen - wie es hieß - den Willen des Volkes verkündeten. Ihre zweite Etappe wurde in der Nacht vom 27. auf 28. April 1950 durchgeführt. Nach Angaben der Tschechischen Bischofskonferenz hat man damals insgesamt 247 Männerklöster liquidiert, in denen rund 2500 Mönche lebten. Das war ein brutaler Eingriff in das Leben der Kirchenorden, aber auch in jahrhundertealte Traditionen des Landes. So sieht es auch der Historiker Jaroslav Šebek von der Tschechischen Akademie der Wissenschaften:

Jaroslav Šebek
„Das war ein brutaler Eingriff, mit dem die Kontinuität der tschechischen Ordenstradition gebrochen wurde. Es war ein Ereignis, das fatale Auswirkungen auf die weitere Entwicklung der Kirche hatte. Die Ordengemeinschaften spielten eine bedeutende spirituelle Rolle im Rahmen des tschechischen Katholizismus. Ihre Vertreter hatten vor allem in der Zwischenkriegszeit einen wesentlichen Anteil an der geistigen Erneuerung der tschechischen katholischen Kirche.“

Die „Aktion K“ hatte allerdings ein Vorspiel. Bereits Ende 1949 kam es zu einem Ereignis, das unter dem Namen „Wunder von Číhošť“ in die Geschichte einging. In der Mariä-Himmelfahrt-Kirche von Číhošť bewegte sich während des Gottesdienstes am 3. Adventssonntag wiederholt das Kreuz über dem Altar. Dasselbe soll sich dann am ersten Weihnachtstag wiederholt haben.

Der Pfarrer Josef Toufar wurde von der Staatssicherheit StB beschuldigt, das angebliche Wunder, durch einen technischen Trick eingefädelt zu haben. Er wurde verhaftet, bei wiederholten Verhören gefoltert und letztlich gezwungen, ein Protokoll über seine Schuld zu unterschreiben. Das letzte Verhör hat er nicht überlebt; er wurde in einem Massengrab in Prag verscharrt. Der Fall des „Wunder von Číhošť“ war für die StB ein guter Vorwand für weitere Schritte. Jaroslav Šebek:

„Parallel dazu wurden führende Ordensvertreter verhaftet und großer sowohl psychischer als auch physischer Schikane ausgesetzt. Zehn von ihnen wurden exemplarisch vors Gericht gestellt. Unter Gewaltanwendung wurden sie in einem Monsterprozess dazu gezwungen, sich zum Hochverrat zu bekennen. Das war schon ein augenfälliges Signal für die weitere Entwicklung. Die Mehrheit dieser Geistlichen wurde zu hohen Freiheitsstrafen verurteilt.“

Drei bekamen lebenslänglich, 24 wurden zu über 20 Jahren Gefängnis verurteilt. 13 Geistliche sind an den Folgen der brutalen Verhörmethoden in der Haft gestorben. Im Herbst desselben Jahres, also 1950, kam die dritte Etappe der „Aktion K“. Diesmal hat man auf ähnliche Weise 670 Frauenorden mit rund 11.900 Schwestern liquidiert.

Wunder von Číhošť  (Foto: Offizielle Webseite Číhosťský zázrak / Regionlist
Den Kommunisten ist es aber nicht gelungen, alle Kirchenorden total zu liquidieren. Ein Teil derjenigen, die den jahrelangen Terror überlebt haben, gründeten nach ihrer Freilassung, oft aber sogar schon im Gefängnis, Untergrundorganisationen. Trotz der ständigen Verfolgung ist es vielen gelungen, die Prinzipien des Ordenslebens zu pflegen. 1968 konnte ein Teil der früheren Orden kurzfristig wieder ins Leben gerufen werden. Den Ordenschwestern wurde erlaubt, in karitativen Einrichtungen und Pflegeanstalten zu arbeiten.

Nach der Niederschlagung des Prager Frühlings wurde ihre Tätigkeit allerdings wieder verboten. Nach der politischen Wende im Jahr 1989 waren dann nicht mehr alle früheren Ordensgemeinschaften in der Lage, ihre Tätigkeit wieder aufzunehmen. Nach der fast 40-jährigen leidvollen Pause waren sie zum Grossteil dermaßen dezimiert, dass ihre „Auferstehung“ auch im wieder entstandenen demokratischen System nicht mehr möglich war.