Dezember 1988: Demonstrieren erstmals erlaubt
Vor genau 30 Jahren fand in Prag eine Demonstration von Oppositionellen statt. Sie war die erste und einzige solche Kundgebung, die vom kommunistischen Regimes genehmigt wurde.
Die Demonstration wurde von der Bürgerrechtsbewegung Charta 77 und von weiteren unabhängigen Gruppen veranstaltet. Anlass war der Tag der Menschenrechte am 10. Dezember. Petr Placák von der damaligen oppositionellen Bewegung Hnutí České děti (Bewegung Böhmische Kinder) war einer der Organisatoren:
„Auch in der kommunistischen Verfassung war das Versammlungsrecht verankert. Für eine Versammlung galt die sogenannte Anmeldepflicht. Wir entschieden uns daher, eine Demo anzumelden und abzuwarten, wie die Kommunisten darauf reagieren würden.“
Die Versammlung wurde tatsächlich erlaubt. Der Historiker Petr Blažek nennt drei Gründe, die die kommunistische Führung dazu bewogen haben:
„Der erste Grund war die internationale Kritik seitens der westlichen Staaten an Übergriffen gegen Demonstranten im Zentrum Prags seit Dezember 1987. Der zweite Grund war der Besuch von Francois Mitterand in Prag. Er hatte sich am 9. Dezember mit einer Gruppe Dissidenten zu einem Frühstück in der französischen Botschaft getroffen. Und der dritte Grund hing damit zusammen, dass in der Prager Innenstadt bereits viele unerlaubte Demonstrationen zu bedeutenden Jubiläen stattgefunden hatten. Das brachte die Führung der kommunistischen Partei auf die Idee, den Dissidenten einen Ort außerhalb des Zentrums zur Verfügung zu stellen.“
Ursprünglich sollte die Kundgebung auf dem Wenzelsplatz abgehalten werden, das wurde aber von den Behörden verboten. Deswegen versammelten sich am 10. Dezember etwa 3000 Menschen auf dem Škroup-Platz im Prager Stadtteil Žižkov. Petr Placák:
„Wir haben damals in einer einzigen Sache ein Zugeständnis gemacht und den Veranstaltungsort geändert. Aber die Reden, die dort gehalten wurden, waren kompromisslos. In ihnen wurde die Realität so benannt, wie wir sie gesehen haben. Es war das erste und letzte Mal, dass wir die Chance hatten, öffentlich vor den Bürgern zu sprechen. Bis dahin wurden Demonstrationen immer aufgelöst, noch bevor die Reden begonnen hatten. Das war für uns daher ein großes Ereignis.“
Einer der Redner auf dem Škroup-Platz war auch Václav Havel:
„Als ich vor drei Wochen in der Gefängniszelle in Ruzyně saß, habe ich über viele Sachen nachgedacht. Zum Beispiel darüber, ob ich dort für ewig bleiben werde. Hätte mir jemand damals gesagt, dass ich drei Wochen später mit dem französischen Präsidenten frühstücken und einen Tag danach auf einer nicht verbotenen Demonstration reden werde, hätte ich dies für einen Scherz gehalten.“
Havel sprach von einer spannenden, bemerkenswerten und dramatischen Zeit, die voll von Widersprüchen sei:
„Einerseits steigert die Macht ihre Repressionen gegen die Bürger, die frei ihre Meinung äußern, sperrt sie ein und fährt Wasserwerfer gegen sie auf. Andererseits beginnt die Gesellschaft, sich von der Last der Angst zu befreien. Und immer weniger Menschen fürchten sich, ihre Meinung öffentlich zu äußern.“
An dem denkwürdigen Tag verabschiedeten die Teilnehmer eine Erklärung. Sie riefen die Regierung zur Einhaltung der Menschenrechte auf, zur Anerkennung unabhängiger Gruppierungen und zur Freilassung politischer Gefangener. Obwohl die Kundgebung erlaubt war, bezeichnete die kommunistische Führung sie später als gesetzwidrig und gegen den Sozialismus gerichtet. Die Presse schrieb einstimmig, die Versammlung sei missbraucht worden.