Petr Pithart: Charta 77 hat die Seele der Nation gerettet

Bis zum Januar 1990 hatten sich bereits über 1800 Signataren zur Charta bekannt

Die Charta 77 war die bedeutendste Protestpetition in der kommunistischen Tschechoslowakei. Das Dokument, das die Menschenrechtsverletzungen im Land aufzeigte, wurde vor genau 45 Jahren in zahlreichen ausländischen Zeitungen veröffentlicht.

Charta 77 | Foto: Ivan Holas,  Tschechischer Rundfunk

Die Charta 77 forderte die kommunistische Regierung der Tschechoslowakei auf, an ihrer Verpflichtung zur Einhaltung der Menschenrechte festzuhalten, die sie durch die Unterzeichnung der Helsinki-Schlussakte eingegangen war. Unter den ersten Signataren war auch der Nach-Wende-Premier und Senatspräsident, Petr Pithart.

„Die ursprüngliche Idee zum Dokument entstand im Flur des Gerichts, wo das Verfahren gegen eine Underground-Band (Plastic People of the Universe, Anm. d. Red.) stattfand. Erstaunlicherweise trafen sich dort Menschen aus mehreren Generationen und mit unterschiedlichster politischer Ausrichtung, darunter ehemalige Reformkommunisten und Christen. Václav Havel hatte damals die geniale Idee, dass eine gemeinsame Erklärung abgegeben werden sollte, weil noch nie Menschen mit so unterschiedlichen Orientierungen zu einem Protest zusammengekommen waren."

Petr Pithart | Foto: Jindřich Nosek,  Wikimedia Commons,  CC BY-SA 4.0 DEED

Ungefähr zur selben Zeit wurden die Menschenrechtsbestimmungen der Helsinki-Schlussakte in der Gesetzessammlung der Tschechoslowakei veröffentlicht. Für die Verfasser der Charta sei es daher sinnvoll gewesen, sich darauf zu beziehen, meint Pithart.

Die Petition entstand 1976. Am 1. Januar 1977 wurde die Charta 77 veröffentlicht, damals mit den ersten 242 Unterschriften. Am 6. beziehungsweise 7. Januar 1977 wurde sie dann in führenden europäischen Zeitungen wie The Times, Le Monde und der Frankfurter Allgemeinen Zeitung abgedruckt. Die Hauptverfasser waren die Dramatiker Václav Havel und Pavel Kohout. Pithart hat als einer der ersten zu Weihnachten 1976 das Dokument signiert. Alle Unterzeichner hätten bald den Zorn des kommunistischen Regimes zu spüren bekommen, wenn auch oft nur „indirekt“, sagt er:

„Wir alle waren auf die eine oder andere Weise durch ununterbrochene Schikanen in unserer Existenz bedroht. Wir haben unsere Arbeitsplätze, Führerscheine und Pässe verloren. Die Kinder aus manchen Familien konnten nicht studieren. Einige Unterzeichner mussten das Land verlassen. Wir haben alle irgendwie bezahlt. Aber niemand wurde wegen der Unterzeichnung der Charta direkt strafrechtlich verfolgt. Sie war so geschickt formuliert, dass dies nicht möglich war.“

Charta 77 | Foto: Post Bellum

Petr Pithart, heute 81 Jahre alt, will nicht beurteilen, inwieweit die Charta 77 ein Erfolg war. Diese Frage müsse sich an andere richten, sagt er. Allerdings:

„Die Charta 77 hat die Seele der Nation gerettet. Allgemein hieß es, dass zumindest einige von uns mutig genug gewesen seien, etwas zu tun. Zweitens schuf sie eine Art ‚geschützten Raum‘, nach und nach entstanden unter dem Dach der Charta immer mehr Aktivitäten. Aber die Hauptsache ist, dass das Dokument  der von den sozialistischen Staaten unterzeichneten Helsinki-Schlussakte eine praktische Bedeutung gab. Die Charta 77 und das ‚Komitee zum Schutz ungerecht Angeklagter‘ haben viele Jahre lang systematisch jede Verletzung der Menschenrechte im ganzen Land dokumentiert.“