Die Ausstellung „Tripolis Praga“ zeigt das Prager Kulturleben um 1900
„Tripolis Praga“. So lautet der Titel einer Ausstellung, die zur Zeit im Neustädter Rathaus in Prag zu sehen ist. Die Schau versucht einen Überblick über das Prager Kulturleben um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert zu geben. Geprägt war diese Zeit vom Neben- und Miteinander tschechischer, deutscher und jüdischer Prager. Daniel Kortschak war auf der Eröffnung.
Doch die ehemalige Judenstadt wurde dem Erdboden gleich gemacht und mit ihr auch einige Synagogen. An ihrer Stelle entstand unter anderem die elegante Pařížská ulice, die Pariser Straße. Mit ihren hohen, reich verzierten Jugendstil-Häusern, den Baumreihen auf beiden Seiten der Straße und den eleganten Geschäften und Restaurants ist sie bis heute die wohl nobelste Straße der Prager Altstadt. Unverkennbar standen die Pariser Boulevards und die Wiener Ringstraße Pate für die neuen Hauptstraße der Prager Josefstadt.
Einige der alten Gebäude blieben allerdings von den radikalen Abrißplänen verschont, darunter das Rathaus der ehemaligen Judenstadt, die gotische Altneusynagoge oder die Pinkas-Synagoge aus der Zeit der Renaissance. Der direkt daneben gelegene alte jüdische Friedhof ist heute einer der Touristenmagneten im Prager Stadtzentrum. Untrennbar verbunden mit dem Stadtteil „Josefov“ ist daher bis heute die Jüdische Gemeinde der tschechischen Hauptstadt. Sie zählt etwa 1600 Mitglieder. Die Prager Juden hatten stets großen Einfluss auf das kulturelle und wirtschaftliche Leben in der Stadt. Gleichzeitig mit dem Aufschwung und der Modernisierung der Stadt um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert erlebten auch die Prager Künstler, Musiker und Schriftsteller ihre Blütezeit. Viele von ihnen waren deutschprachige Juden. Namen wie Franz Kafka, Egon Erwin Kisch oder Max Brod sind auch heute noch so gut wie jedem Mittelschüler ein Begriff. Kurz vor der Jahrhundertwende traten nun auch die tschechischen Künstler vermehrt in den Vordergrund. Als Beispiel gennant seien die Komponisten Leoš Janáček oder Antinín Dvořák. Dessen 1900 entstandene romantische Oper „Rusalka“ ist eines der Symbole des gesellschaftlichen Aufstiegs der tschechischen Künstler. Auch in der bildenden Kunst brachte dieser Abschnitt der tschechischen Kulturgeschichte eine ganze Reihe bedeutender Persönlichkeiten hervor: Die Maler Felix Jenewein und Alfons Mucha zählen dazu. Sie gruppierten sich ebenso wie der Fotograf Karel Novák und weitere Künstler um die katholische Zeitschrift „Nový svět“ / „Neue Welt“ gruppierten.Insgesamt machte die tschechische Kunst um das Jahr 1900 eine schwiereige aber auch spannende Phase durch: Sie fiel mit der Bewegeung der tschechischen Nationalen Wiedergeburt zusammen. Einige tschechische Literaten und Intellektuelle lehnten die Nationale Definition von Kunst gänzlich ab. Im 1895 erschienenen „Manifest der tschechischen Moderne“ hieß es „Bud´te sami sebou a budete Čechy“ – „Seid ihr selbst, dann werdet auch ihr Tschechen.“ Autor der Schrift war der Literat, Publizist und Politiker Josef Svatopluk Machar. Weitere Mitglieder der Gruppe, die sich schlicht „Česká Moderna“ / „Tschechische Moderne“ nannte, waren unter anderem der Literaturkritiker und Schriftsteller František Xaver Šalda oder der bedeutende Dichter Otakar Březina.
Nicht immer war dieses fruchtbare neben- und miteinander der tschechischen, deutschen und jüdischen Kultur allerdings frei von Konflikten. Um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert kam es auch zu Auseinandersetzungen zwischen den einzelnen Gruppen. Zwar waren um 1900 92 Prozent der rund halben Million Einwohner Prags Tschechen, dennoch dominierte in vielen Bereichen noch die deutsche Minderheit. Dagegen lehnten sich Teile der tschechischen Mehrheit auf. Am radiklasten die sogenannten „Mladočechy“, die „Jungtschechische Bewegung“. So kam es etwa im Jahr 1899 zu schweren Ausschreitungen vor dem Prager Café Continental. Zunehmend schwieriger wurde auch die Lage der deutschsprachigen Juden. Sie fanden sich zunehmend zwischen den beiden ethnischen Gruppen eingeengt: Von den Tschechen wurden sie wegen ihrer Zugehörigkeit zur deutschprachigen Minderheit zunehmend kritisch beobachtet. Mit dem wiederaufkeimenden Antisemitismus begannen auch viele Deutschsprachige sich von den Prager Juden abzuwenden.All diese Entwicklungen und Problemkreise beleuchtet eine Ausstellung, die zur Zeit in Prag zu sehen ist. „Tripolis Praga – Die Prager Moderne um das Jahr 1900“ wurde vom Germanisten Walter Schmitz konzipiert, dem Leiter des Osteuropa-Zentrums der TU Dresden und dem Slawisten Ludger Udolph, Professor an der TU Dresden. Anhand von 400 Fotos, die auf zahlreichen Schautafeln nach Themenkreisen gruppiert sind, versucht die Schau einen Überblick über das kulturelle Leben in Prag der Jahrhundertwende zu geben. Wer auf der Suche nach Orginalen ist, wird allerdings enttäuscht: Bei allen Fotos und Textdokumenten handelt es sich nur um Reproduktionen.
Bevor die Ausstellung nun in Prag zu sehen ist, war sie bereits in mehreren deutschen Städten zu Gast. In die tschechische Hauptstadt gebracht hat sie die Leiterin des „Prager Literaturhauses deutschsprachiger Autoren“, Lucie Černohousová. Ich habe mit ihr bei der Eröffnung der Ausstellung gesprochen.
Die Ausstellung hat zuerst schon in Deutschland Station gemacht und ist jetzt in Prag angelagt. Wo war die Ausstellung schon?
„Die Ausstellung hat bereits 2001 in Dresden angefangen, woher sie zwar nicht inhaltlich, aber von der Arbeit her eigentlich stammt. Weil die Autoren dieser Ausstellung sind zwei Professoren der Technischen Universität Dresden.“
Ich habe es in der Pressemitteilung gelesen und sie haben es auch in Ihrer Eröffnungsrede erwähnt: Es war nicht gnaz einfach, dass die Ausstellung nach Prag gekommen ist. Was war der Grund dafür?
„Da haben Sie recht. Es war sehr schwierig, die Ausstellung nach Prag zu bekommen. Und als ich das erste Mal mit Professor Udolph ins Gespräch kam, hat er den Wunsch geäußert… Die Ausstellung war eigentlich für Prag gedacht. Das Thema ist ja Prag. Aber dennoch war sie noch nie in Prag. Es hat sehr lange gedauert: Wir haben die Ausstellung bereits seit Frühjahr dieses Jahres hier. Es hat uns viel Energie, Zeit und auch Kontakte gekostet, bis wir sie aufstellen konnten. Aber wenn ich sie jetzt hier sehe in den wunderschönen Räumlichkeiten des großen Saales des Neustädter Rathauses, dann denke ich, es hat sich auch gelohnt.“
Wer steckt dahinter, dass es jetzt doch noch geklappt hat?
„Ich würde sagen, es ist wirklich viel Energie vom Pragaer Literaturhaus, das die Ausstellung hier in Prag organisiert hat. Und vielleicht auch Glück, dass eine Ausstellung im Neustädter Rathaus ausgefallen ist. Und die Leiterin des Neustädter Rathauses Frau Kolářová wirklich innerhalb sehr kurzer Zeit hier mir uns aufgestellt hat.“
Jetzt hat die Ausstellung schon mehrere Stationen in Deutschland hinter sich. Sind nun noch weitere Stationen in Tschechien geplant, oder ist dies hier jetzt sozusagen die Endstation, der krönenede Abschluss?
„Nein, es ist noch nicht die Endstation. Es freut mich sehr, dass über uns vermittelt auch die nächsten Stationen stattfinden werden. Die Ausstellung geht wahrscheinlich nach Jihlava / Iglau und auf jeden Fall geht sie im Rahmen der tschechischen EU-Präsidentschaft im nächsten Jahr nach Madrid, um dieses Multikulturelle Zusammenleben in Prag und die wunderschöne Kultur, die in diesem Rahmen entstanden ist, auch den Spaniern zu präsentieren.“
Das heißt, die Ausstellung genießt nun die offizielle Unterstützung der tschechischen Regierung?
„Jein. Organisator in Spanien ist das Tschechische Zentrum in Madrid, das eine Organisation des Außenministeriums ist.“
Und wie sieht es danach aus? Wird die Ausstellung irgendwo ständig zu sehen sein? Wird sie weiterentwickelt werden?
„Das ist eine gute Frage. Da ist noch ein Fragezeichen dahinter, würde ich sagen. Idealer Weise hat man gedacht, als das Literaturhaus, dessen Ziel es ist, die deutschsprachige Literatur aus böhmischen Ländern der Öffentlichkeit näher zur bringen, dass diese Literaturhaus die Endstation für ‚Tripolis Praga‘ sein. Leider hat das Prager Literaturhaus nicht so große Räumlichkeiten. Es ist immer noch eher ein Büro als ein Haus. Daher ist es uns nicht möglich, die Schau dauerhaft aufzunehmen.“
Eine Frage noch, wo wir schon bei der Zukunft sind: Können Sie uns schon einen Ausblick darauf geben, was als nächstes Projekt geplant ist vom Prager Literaturhaus? Welche Ausstellungen und Veranstaltungen?
„Im Herbst planen wir ein Treffen von Prager Deutschen, um überhaupt zu zeigen… Wenn man in Tschechien über die Deutschen spricht, verbindet man sie oft sofort mit Sudetendeutschen. Die Prager Deutschen waren aber gerade oft in der Zeit des beginnenden Nationalsozialismus tschechoslowakisch, humanistisch und links orientiert. Dies möchten wir durch dieses Symposium ein wenig der Öffentlichkeit näher bringen.“
Ich danke Ihnen vielmals für die interessanten Informationen.
Auch bei der Eröffnung war der Publizist und Berater von Außenminister Karel Schwarzenberg Tomáš Kosta, der sich selbst als „Prager Jude bezeichnet“
Herr Professor, mich hätte interessiert, was für Sie als Prager Jude – so haben Sie sich ja vorhin selbst vorgestellt – die Prager deutschprachige, jüdische Literatur bedeutet?
„Ich glaube, das war etwas Einmaliges, denn es war damals noch die Zeit Österreich-Ungarns. Eine ganz andere Zeit also. Es ist nciht wiederholbar. Heute haben wir diese Multi-Kulti Mode. Damals das, ohne sie zu benennen, eine Sache, die eigentlich durch halb Europa ging. Die Wirkung dieser Literatur reichte bis Österreich, bis Wien und auch bis nach Berlin. Außerdem behaupten wird, dass das Prager Deutsch das beste Deutsch war. Dann war auch wichtig, darüber spricht man zu wenig, dass zwischen 1934 und 1939 ein großer Teil deutscher Schriftsteller über Prag ins Ausland geflüchtet ist. Dabei haben ihnen meine Eltern, deutschprachige, aber auch viele Tschechen geholfen. Hier war ihre zweite Heimat“
Wie sehen Sie die Prager Deutsche Literatur in der heutigen Zeit, im Jahr 2008. Ist sie noch lebendig? Lenka Reinerová ist ja kürzlich verstorben. War das jetzt endgültig das Ende der deutschprachigen Literatur in Prag?
„Unter uns gesagt, das Ende kam schon im Jahr 1945. Lenka war eine Ausnahme. Es ist nicht wiederholbar. Es ist gut, dass man jetzt wieder darüber spricht. Wobei, ich würde es noch ergänzen: Man muss nicht nur darüber sprechen, sondern auch über die deutschprachigen Schriftsteller, die keine Juden waren und trotzdem gegen den Nationalsozialismus waren. Die sind auch weitgehend in Vergessenheit geraten.“
Nach langen Jahren der Vergessenheit also wieder ein Aufarbeiten?
„Das ist die Zukunft von Europa. Und zum Beispiel auch was Österreich betrifft – in Deutschland ist es etwas einfacher – man muss wieder zueinander finden. Man spricht jetzt nur von Temelín und den anderen Dingen, die wir nicht gemeinsam haben. Aber die Kultur und die Vergangenheit haben wir gemeinsam.“
Auch nach so vielen Jahren kann also die Prager deutschsprachige Literatur noch zur Völkerverständigung beitragen?
„Ich glaube ja, sehr sogar. Und daran arbeite ich auch. Ich denke, das ist eine große Chance. Und gut, dass hier das die Leute machen. Und soweit ich kann und auch mein Minister, helfen wir da.“
Zu sehen ist die Ausstellung „Tripolis Praga“ noch bis 28. August in der „Novoměstská radnice“ dem Neutsädter Rathaus auf dem Prager Karlsplatz. Täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr.