„Die Berufspendler sind für uns sehr wichtig“
Viele Betriebe in den deutschen und österreichischen Grenzgebieten sind auf Berufspendler aus Tschechien angewiesen. Ab Donnerstag dürfen die Arbeitskräfte aus dem Nachbarland aber für mindestens drei Wochen nicht mehr täglich hin- und herfahren. Das bereitet vielen Firmen in Sachsen, Bayern und Österreich große Sorgen. Weil dadurch auch Beschäftigte im derzeit so wichtigen Bereich Medizin und Pflege wegzubrechen drohen, hat der Freistaat Sachsen am Dienstag ein Unterstützungspaket beschlossen. Es soll den Berufspendlern aus diesem Bereich einen vorübergehenden Umzug in die Nähe ihrer Arbeitsplätze ermöglichen. Martin Dulig ist sächsischer Staatsminister für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr. Im Interview für Radio Prag International erklärt der SPD-Politiker, was das Paket beinhaltet und wie sich die Lage rund um die Arbeitskräfte aus Tschechien derzeit darstellt.
„Es sind knapp 10.000 tschechische Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die in Sachsen arbeiten und täglich pendeln. Damit handelt es sich um eine große Gruppe, die für uns sehr wichtig ist.“
In welchen Bereichen sind diese Menschen denn vor allem tätig?
„Eigentlich in allen. Ich glaube, in Sachsen würde der Tourismus ohne unsere tschechischen Kolleginnen und Kollegen nicht funktionieren. Uns treibt aber gerade um, dass viele auch in Pflegeeinrichtungen, Krankenhäusern und medizinischen Einrichtungen tätig sind, wo sie zu den anerkannten Fachleuten zählen.“
Die sächsische Staatsregierung hat am Dienstag ein Unterstützungspaket beschlossen. Was enthält es konkret?
„Wir sind nicht sehr glücklich über die Entscheidung der tschechischen Regierung, die Grenzen zu schließen und damit den Pendlern das Einpendeln unmöglich zu machen. Denn wenn man die Leute bei einer möglichen Rückkehr dann unter Quarantäne stellt, entspricht das praktisch einer Grenzschließung. Wir wollen aber denjenigen, die in Sachsen einen Arbeitsvertrag haben und dringend gebraucht werden, die Möglichkeit geben, hier für einige Zeit leben zu können. Deshalb haben wir eine finanzielle Unterstützung zugesagt in Höhe von 40 Euro pro tschechischem Arbeitnehmer oder tschechischer Arbeitnehmerin am Tag und 20 Euro je Angehörigem pro Tag. Damit sollen sie hier in einem Hotel, einer Ferienwohnung oder einem Erholungsheim untergebracht werden können. Wir haben in Sachsen eine Allgemeinverfügung, die die touristische Nutzung von Hotels derzeit untersagt, aber explizit die dienstliche Nutzung weiterhin erlaubt. Deshalb fordern wir die Arbeitgeber in Sachsen auch auf, von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen. Aber wir wollen gerade jenen Bereich unterstützen, der derzeit medizinisch so wichtig ist.“
Das Angebot richtet sich also an die Arbeitnehmer in Medizin und Pflege. Erhalten die restlichen Arbeitnehmer aus Tschechien auch eine Art von Unterstützung, vielleicht bei der Suche einer Unterkunft?„Wir haben an die Arbeitgeber in Sachsen appelliert. Die Unternehmerinnen und Unternehmer, denen es auch weiterhin wichtig ist, ihre tschechischen Kolleginnen und Kollegen zu halten, sollen sich darum kümmern, dass Unterkunft gewährleistet wird. Es gibt auch Unternehmen, die das gerne machen und in der Lage sind, dies zu bezahlen. Ein Krankenhaus oder eine Pflegeeinrichtung ist auf solche Zusatzkosten nicht eingestellt. Genau deshalb haben wir für diesen Bereich signalisiert, dass wir eine Unterstützung geben. Ansonsten ist es die Aufgabe der Unternehmen, sich darum zu kümmern, ob ihre tschechischen Kolleginnen und Kollegen untergebracht werden oder ob sie auf deren Arbeitskraft verzichten können. Allerdings glaube ich, dass das gerade kein Unternehmen kann.“
Will die sächsische Staatsregierung offiziell gegen die Aussetzung der Pendlerregelung protestieren? Immerhin könnte ja auch drohen, dass es nicht bei den drei Wochen bleibt…„Wir sind in guten Gesprächen, denn es sind unsere Nachbarn, unsere Freunde. Daher geht es uns nicht um eine Eskalation oder um Drohgebärden, sondern wir brauchen auch weiterhin das konstruktive Gespräch. Und wir sind froh, dass wir über den tschechischen Botschafter Podivínský, der als ehemaliger Generalkonsul Sachsen sehr gut kennt, Verbindungen schaffen. Wir sind sowohl im Gespräch mit der deutschen Regierung, als auch mit der tschechischen, um zu vermitteln. Es ist für uns ein Problem, das habe ich laut und deutlich gesagt, aber wir sind weiterhin daran interessiert, mit unseren Nachbarn und Freunden in Tschechien zusammenzuarbeiten und eine gute Lösung für alle zu finden. Uns ist die Situation in Tschechien durchaus bewusst, denn solch eine Entscheidung trifft ein Land nicht einfach so. Aber wir hoffen, dass wir zu schnellen und einvernehmlichen Lösungen kommen, um vielleicht wieder das Einpendeln zu ermöglichen. Denn man darf nicht vergessen, es stecken ja auch Familien dahinter. Obwohl wir mit den 20 Euro zusätzlich ebenso Familienmitgliedern die Übernachtung ermöglichen wollen, kann das aufgrund der Lebenssituation nicht jeder in Anspruch nehmen. Und wir wollen auch nicht zulassen, dass Familien auseinandergerissen werden. Das trifft ebenso auf jene Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu, die nicht in unser Programm fallen und in anderen Bereichen tätig sind. Von daher haben wir alle die Hoffnung, dass wir wieder zu der alten Pendlerregelung kommen und die Menschen wieder zu ihren Familien können.“
Sind Sie denn irgendwie konkreter informiert worden, warum die tschechische Seite die Grenze auch für Berufspendler geschlossen hat?„Also: Wir sind in guten Gesprächen, aber die Lage in Tschechien hat sich eben auch dramatisch entwickelt. Von daher verstehen wir erst einmal, dass die Tschechische Republik drastische Maßnahmen ergreifen muss. Nur hat dies eben auch Konsequenzen für andere. Wir müssen dann darüber reden, welche Auswirkungen das sind. Von daher sind wir im Gespräch und das auch schon vorher gewesen, denn es hatten sich verschiedene Szenarien angedeutet. Wir hoffen nun, erstens einen Umgang damit zu finden und zweitens, dass wir eine zeitliche Befristung hinbekommen. Insgesamt wünsche ich mir, dass die Europäische Union vielleicht auch gemeinsame Regeln in diesem Bereich verabredet, damit beim Umgang mit den eigenen Grenzen kein Flickenteppich in Europa besteht. Denn wir haben jetzt die Situation mit unseren Freunden und Nachbarn in Tschechien, andere Bundesländer die gleiche mit Belgien, den Niederlanden, Frankreich und sofort. Da wäre es gut, wenn Europa durchaus noch einheitliche Regeln verabredet.“