Die Expo 1958: Startschuss für die moderne Architektur in Nordmähren

Haus der Kultur in Ostrava (Foto: Michal Reiter, Wikimedia CC BY-SA 3.0)

1958 wurde in Brüssel die erste Weltausstellung nach dem Zweiten Weltkrieg veranstaltet. Obwohl Europa durch den Eisernen Vorhang getrennt war, empfand man das Zustandekommen der Expo als ein Signal für eine positive Lösung des Ost-West-Konflikts. Kaum jemand aber hätte voraussehen können, wie sich die tschechoslowakische Teilnahme in Brüssel auf die Architektur hierzulande auswirken würde. Einen Überblick dazu bot kürzlich die Ausstellung „Brusel na Ostravsku“, auf Deutsch ungefähr „Brüsseler Stil im Raum Ostrau“.

Weltausstellung 1958 in Brüssel  (Foto: Krumnack.H,  CC-BY-SA 2.0/DE)
Nicht alle Ostblock-Länder waren bei der Expo in Brüssel präsent. Polen und die DDR zum Beispiel fehlten. Die Teilnahme der Tschechoslowakei sollte nach Vorstellung der Offiziellen lediglich auf wirtschaftlicher Ebene erfolgen. Von den betrauten Ministerialbeamten war kaum zu erwarten, dass sie sich den Kopf über die architektonische und ästhetische Gestaltung der Schau zerbrechen würden. Als sowjetischer Satellitenstaat war die Tschechoslowakei ausschließlich an der Anknüpfung von Handelskontakten interessiert. Doch es meldeten sich Architekten zu Wort, die sich noch gut an die Praxis der öffentlichen Wettbewerbe in der Vorkriegstschechoslowakei erinnern konnten. Es war die Leitung des Architektenverbands, die schließlich 1956 einen öffentlichen Wettbewerb über den tschechoslowakischen Pavillon ausschrieb. Die Wahl fiel auf die Architekten František Cubr, Josef Hrubý und Zdeněk Pokorný. Ihr Projekt, realisiert in Zusammenarbeit mit einem Team bildender Künstler, stand unter dem Leitmotiv „Ein Tag in der Tschechoslowakei“. Bei der Weltausstellung feierte der Pavillon große Erfolge, und das sollte sich bald auf mannigfaltige Weise in der Heimat niederschlagen. Martin Strakoš ist Architekturhistoriker. Gemeinsam mit zwei weiteren Kuratoren ist er verantwortlich für die Ausstellung „Brüsseler Stil im Raum Ostrau“.

Sozialistischer Realismus in Ostrau-Poruba  (Foto: Naďa Čvančarová,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
„Bis 1958 kann man kaum von einer modernen Architektur sprechen. Der sogenannte sozialistische Realismus hatte die Oberhand, genauso in der bildenden Kunst. Ein anschauliches Zeugnis dafür findet man zum Beispiel in Ostraus Stadtteil Poruba. So wie dort sollte die richtige sozialistische Architektur aussehen. Kommunistische Ideologen behaupteten, die westliche Architektur sei antisozial, antisozialistisch und inhaltslos. Der sozialistische Baustil, der für alle geeignet sei, müsse sich deswegen davon unterscheiden. Nach dem Erfolg unseres Pavillons in Brüssel war das kommunistische Presseorgan ‚Rudé právo‘ allerdings der Meinung, dass er die Bezeichnung ‚sozialistisch‘ verdiene.“

Expo-Manie in der Tschechoslowakei

Weltausstellung 1958 in Brüssel  (Foto: Krumnack.H,  CC-BY-SA 2.0/DE)
Die Weltausstellung löste in der Tschechoslowakei eine Wende in der Wahrnehmung der Architektur aus. Viel war die Rede vom sogenannten „Brüsseler -“ oder „Expo-Stil“ – oder kurz von ‚Brüssel‘:

„Im Blick auf die Zeit zwischen 1958 und 1963 kann man hierzulande von einer wahren Expo-Manie sprechen. Viele Menschen wollten etwas besitzen, das für sie einen Bezug auf die Möglichkeiten der modernen Welt darstellte. Diese Neuerungen machten sich sogar im Streichen der Wände bemerkbar, in geometrischen Kompositionen mit Kreisen, Dreiecken oder Streifen. Die tschechoslowakische Gesellschaft lebte bis dahin in einer Isolation. Vieles galt als Mangelware. Nach der Expo 58 tauchten nach und nach neue Informationen in einheimischen Zeitschriften, Magazinen und sogar in der Tagespresse auf. Auch die Industrie reagierte mit der Herstellung von moderneren Produkten auf den neuen Trend. Jeder wollte zum Beispiel etwas aus Kunststoff haben.“

Restaurant Expo 58 in Prag  (Foto: Michal Kmínek,  Wikimedia CC BY-SA 3.0)
Die Entwicklung in Richtung Trendy-Expo-Stil etablierte sich schnell im Privaten wie auch im öffentlichen Raum. Der „Brüsseler Stil“ hielt Einzug in die Architektur, in die bildende Kunst, ins Design wie auch in die Innenraumgestaltung.

„Der neue Stil, der von der Brüsseler Expo inspiriert war, schlug sich zunächst in den Innenräumen von Geschäften, Restaurants, Imbissstuben oder in Kino- und Theatersälen nieder. In diesem Segment gab es eine ganze Explosion von Neugestaltungen. Außerdem wurden massenhaft Neon-Röhren an den Fassaden von öffentlichen Gebäuden wie Kaufhäusern und Geschäften installiert. Die sogenannte ‚Neonisierung‘ war allerdings mit technischen Problemen verbunden, weil der Staat nicht über entsprechende Kapazitäten verfügte. Auch hierzulande war es eine Entwicklung in Richtung Konsumgesellschaft.“

Freizeit gewinnt an Bedeutung

Haus der Kultur in Ostrau  (Foto: Michal Reiter,  Wikimedia CC BY-SA 3.0)
Vieles davon, was man als „letzten Schrei“ begehrte, schlug in der Architektur auch in Kitsch um. Anfang der 1960er Jahre kritisierten die Architekten selbst diesen Trend:

„Die einen warnten allgemein vor dem westlichen Einfluss, die anderen erinnerten an den sozialistischen Realismus, dessen Banalität bis in den modernen Architekturstil vordrang. Das betraf vor allem Geschäfte, Schaufenster oder kunterbunte Installationen, kurzum das Milieu, das die Menschen im Alltag umgab.“

In den 1960er Jahren verbesserte sich die soziale Situation der Bevölkerung allmählich. Dadurch wie auch durch die schrittweise Einführung des arbeitsfreien Samstags gewann die Freizeitgestaltung an Bedeutung. Neue Trends kamen unter anderem auch in den sogenannten Häusern der Kultur zur Geltung. In Ostrava / Ostrau begann man 1956 mit dem Bau eines solchen Mehrzweckgebäudes. Es beherbergte einen Saal für 1200 Menschen, einen Theatersaal für 600 Zuschauer und ein Kino mit 400 Sitzplätzen. Die feierliche Eröffnung fand im April 1961 statt.

Martin Strakoš  (Foto: Archiv von Martin Strakoš)
„Ungefähr zur selben Zeit offenbarte sich hierzulande der neue Stil bei der Ausschmückung von Innenräumen. Man ersetzte zum Beispiel die bis dahin üblichen Kronleuchter aus Kristallglas durch neue Beleuchtungskörper. Anstelle der traditionellen Architekturelemente wie Gewölbe oder Kuppeln setzte sich eine moderne akustische Verkleidung von Theaterdecken wie auch von Wänden der Gesellschaftsräume durch.“

Etliche der damaligen Interieurs sind bis heute erhalten geblieben, allerdings nicht in bestem Zustand. Vieles andere hingegen kann man sich nur auf historischen Aufnahmen anschauen. Martin Strakoš fasst die Hauptmerkmale des sogenannten Expo-Stils zusammen:

„Diagonalen, schräge Flächen, Anwendung von Spiegeln und Lichtern, Verschiebung von Kompositionselementen, subtil verglaste Vitrinen, in denen die Gegenstände zu schweben scheinen. Das alles soll dem Beobachter eine Art Illusionserlebnis vermitteln und zugleich auch mehr Licht in den Raum bringen. Mit einer Palette von neuen Materialien wie Kunststoffen oder Metallen wie zum Beispiel Aluminium ließen sich die Interieurs abwechslungsreich gestalten. Das Prinzip der Symmetrie, kennzeichnend für die Klassik oder die Werke des sozialistischen Realismus, wurde durch Asymmetrie ersetzt. Beliebt waren auch Spiralformen, zum Beispiel bei Treppen. Derartige Elemente verliehen den Architekturwerken mehr Dynamik.“

Tauziehen um den Denkmalschutz

Hauptbahnhof in Havířov  (Foto: Michal Klajban,  Wikimedia CC BY-SA 4.0)
Der „Expo-Stil“ mit interessanten geometrischen Kompositionen findet sich ganz unverkennbar auch in drei Bahnhofsgebäuden – im Hauptbahnhof von Ostrava sowie in den Bahnhöfen von Ostrau-Vítkovice und im nahe gelegenen Havířov. In Vítkovice kann man zum Beispiel eine Decke mit plastischen Op-art-Rastern bewundern. Ähnliche Motive auf dem Steinboden sollen die Illusion eines Spiegelungseffekts hervorrufen. An der Wand findet sich ein monumentales Glasmosaik mit einer Friedensbotschaft. Seit Jahren schon läuft in Ostrava ein Tauziehen um das weitere Schicksal der architektonisch wertvollen Gebäude. Währenddessen nagt der Zahn der Zeit immer mehr an ihrer Bausubstanz.

Messegelände „Černá louka“  (Foto: Lukáš Mižoch,  Wikimedia CC BY-SA 2.5)
Noch ein anderes Architekturobjekt in Ostrau muss erwähnt werden. Seit 55 Jahren erstreckt sich in der nordmährischen Industriestadt auf einer Fläche von 6 Hektar ein Messegelände mit dem Namen „Černá louka“ (Schwarze Wiese). Dominiert wird es vom historischen „Pavillon A“. Auch die alte Tradition von Märkten in Ostrava, die durch historische Ereignisse mehrmals unterbrochen wurde, erhielt mit der Expo 58 einen neuen Impuls:

„Aufgrund des großen Erfolgs auf der EXPO 58 war das kommunistische Regime höchst interessiert an der Erneuerung beziehungsweise Entstehung von Messegeländen. Als erstes wurde 1959 nach einer umfassenden Renovierung ein Ausstellungsareal im südmährischen Brünn ins Leben gerufen. Im selben Jahr fand dort die erste internationale Maschinenbaumesse statt. In Ostrava entstand das neue Messegelände 1960 im historischen Stadtzentrum. In den darauffolgenden vier Jahren kamen weitere vier Pavillons hinzu. Damit knüpfte die Stadt an die alte Tradition des Messewesens an. Auf den Messegeländen, die damals in allen Kreisstädten des Landes errichtet wurden, sollten nicht nur Waren ausgestellt werden. Ihre Präsentation war auch mit dem ideologischen Programm zur Propagierung des Kommunismus verbunden.“

Plattenbausiedlung in Ostrau  (Foto: Aktron,  Wikimedia CC BY 3.0)
In der Industrieregion Ostrau, die seit dem 19. Jahrhundert zu einem Ballungsgebiet herangewachsen war, schlug sich der Einfluss der neuen Architektur auch im Bauwesen nieder. Namentlich in den Plattenbausiedlungen, die allerdings den spezifischen „sozialistischen“ Kriterien entsprechen mussten. Dies aber ist ein eigenes Kapitel für sich.