Realsozialistische Kunst als Publikumsmagnet

Es ist schon ein paar Wochen her, als in Prag eine Kunstausstellung zu Ende ging, die zuvor eine ungewöhnlich große Resonanz gefunden hatte. So weit, so gut. Schließlich ist es auch in unseren Breitengraden nicht das erste Mal gewesen, dass Kunstliebhaber zu Tausenden in die Ausstellungsräume pilgerten. In diesem Fall war es eine recht noble Adresse, nämlich die Galerie im Prager Rudolfinum!

Es ist schon ein paar Wochen her, als in Prag eine Kunstausstellung zu Ende ging, die zuvor eine ungewöhnlich große Resonanz gefunden hatte. So weit, so gut. Schließlich ist es auch in unseren Breitengraden nicht das erste Mal gewesen, dass Kunstliebhaber zu Tausenden in die Ausstellungsräume pilgerten. In diesem Fall war es eine recht noble Adresse, nämlich die Galerie im Prager Rudolfinum! Das, was dieses neoklassizistische Ambiente bis Anfang Februar zeitweilig beherbergte, war - man höre und staune - der tschechoslowakische sozialistische Realismus der Jahre 1948-1958: Gemälde mit Hütten- und Eisenwerken, Partisanen im Kampfeinsatz, Optimismus ausstrahlende junge Drechslerinnen, der in die helle kommunistische Zukunft blickende Arbeiterpräsident Klement Gottwald, überdimensionale, mit Gold bemalte Leinwände aus seinem Mausoleum, Poster mit verheißungsvollen Losungen jener Zeit, das mit Goldfäden in einen Wandteppich eingewobene Gesicht eines anderen Arbeiterpräsidenten und viele andere - in Anführungsstrichen - "Kunstwerke". All das offensichtlich begehrte Artefakten, die sich als Publikumsmagnet erwiesen haben. Die Besucher waren bereit, für die keineswegs billigen Karten Schlange zu stehen, um das zu sehen, was viele von ihnen vor 50 Jahren in ihrem Alltag auf Schritt und Tritt begleitet hatte. Mit rund 40 Tausend Besuchern zählte diese Ausstellung zu den erfolgreichsten Veranstaltungen des Vorjahres. Seit sie zu Ende gegangen ist, beschäftigt mich die Frage, warum der so genannte sozialistische Realismus eine solche Anziehungskraft auf viele Menschen hierzulande hat. Eine eindeutige Antwort habe ich nicht gefunden. Vielleicht sind all die Bilder und Skulpturen nach 1989 zu schnell aus unserem Leben verschwunden und haben dadurch auf einmal einen leichten Beigeschmack des Untersagten gewonnen. Zuhauf verschwunden, jedoch nicht zu weit, wie es scheint - nur in verschiedene Depositare oder Keller- und Dachbodenräume. Hier lösten sie nicht selten die versteckt gehaltenen Symbole der tschechoslowakischen Vorkriegsrepublik ab, die nach Jahrzehnten wieder das Licht der Welt erblicken durften. Nun, wie lange, frage ich mich, werden all die realsozialistischen Gottwalds, Lenins und andere Bosse des früheren Regimes, rote Sterne, Spruchbänder und Wimpel, die früher jedes tschechische Rathaus, jede Behörde, jede Schule und viele andere Institutionen zierten, im Abseits schlummern? Eine provokante Frage? Ich glaube nicht. Nach dem Erfolg der Ausstellung im Rudolfinum kann ich mir gut vorstellen, dass dies ein guter Impuls für viele war, die Dachboden- und Kellerräume nach den begehrten Gegenständen zu durchstöbern, um sie dann günstig zu vermarkten. So würde es dem neuen Zeitgeist entsprechen. An eine - sagen wir - Wachablösung von Artefakten in 50 Jahren will ich aber gar nicht denken.