„Die Freiheit im Denken“ - Axel Milberg an der Seite Hannah Arendts in Prag
Er ist zurzeit ein sehr gefragter Schauspieler in Deutschland: Axel Milberg. Ob in bekannten Kinoproduktionen, als Tatort-Kommissar in seiner Heimstadt Kiel, oder als deutscher Sprecher in Hörspielen - überall ist er präsent. Sein Talent zeigte er aktuell auch im Kinofilm „Hannah Arendt“ von Regisseurin Margarethe von Trotta. Darin spielt er eine der Hauptrollen: Heinrich Blücher, der Philosoph und Ehemann an der Seite von Arendt. Der Film wurde zur Eröffnung des deutschsprachigen Filmfestivals am vergangenen Mittwoch zum ersten Mal in Tschechien gezeigt. Nach der Premiere im Prager Kino Lucerna sprach Milberg über seine Rolle, den Film und dessen Wirkung.
„Es gab zwei Möglichkeiten sich auf diese Rolle vorzubereiten. Zum einem gibt es im Internet als Audiodokument `The lectures of Heinrich Blücher`. Da hört man seine Originalstimme. Er spricht über die Vor-Sokratiker, Buddha, Jesus und so weiter - also über die Religionsgründer und Philosophen, die ihn interessiert haben. Das andere wichtige Dokument war für mich der private Briefwechsel zwischen Hannah Arendt und Heinrich Blücher. Beide waren oft voneinander getrennt, haben sich betrogen, aber sich auch immer wieder gegenseitig angezogen. Sie waren füreinander da, wenn sie einander gebraucht haben. Das wird mit aller Wärme und Nachruck in den Briefen deutlich.“
Der Film erzählt die Geschichte von Hannah Arendt größtenteils während der 1960er Jahre, während dieser Zeit lebte die Philosophin im Exil in New York und befasste sich intensiv mit dem Denken und Handeln des Nazi-Regimes. Die Handlung dreht sich um den Eichmann-Prozess und Arendts berühmte Erkenntnis und Deutung einer „Banalität des Bösen“. Dazu werden nur die relevanten Persönlichkeiten aus ihrem nahen Umfeld gezeigt und entscheidende Passagen aus ihrem Leben – teils in Rückblicken - in die Erzählung aufgenommen. Verknüpfungspunkte werden hergestellt unter anderem zu ihrem väterlichen Freund Kurt Blumenfeld und zu ihrem intellektuellen Vorbild Martin Heidegger. Ehemann Heinrich Blücher war selbst auch Philosoph. Er hatte auf die große Denkerin mehr Einfluss, als man allgemein vermutet:„In Wahrheit hat er einen großen Anteil an ihrem Werk. Er ist kein Mann des Schriftlichen. In mündlichen Vorlesungen brillierte er dagegen als begnadeter Redner. Der große Autor - das war sie. Trotzdem hat er einen großen Anteil an Ihrem Werk. Wahrscheinlich stammt sogar jene Begrifflichkeit der `Banalität des Bösen` von ihm.“Der Hintergrund des gesamten Films basiert auf Hannah Arendts philosophischer Auseinandersetzung mit den politischen Merkmalen des Totalitarismus. Bedeutend für die Geschichte im Film sind dazu die Thesen über das totalitäre NS-Regime. Die totalitäre Idee gipfelt demnach in der vollkommenen Sinnlosigkeit jedes menschlichen Daseins in den Konzentrations- und Vernichtungslagern. Adolf Eichmann arbeitete im sogenannten „Judenreferat“ und organisierte die Deportation der Juden. Für Arendt war er ein Vertreter des Totalitarismus. Während des Prozesses stellte sich aber für sie die Frage, wie es dazu kommen konnte, dass ein harmloser Beamter entgegen jedem natürlichen moralischen Instinkt handelte und Millionen Juden von seinem Büro aus nach Fahrplan in Tod schickte.
Arendts Werk hat indes auch ein starkes biografisches Motiv: Ihr jüdischer Hintergrund veranlasste sie zur Flucht vor dem Nazi-Regime ins US-amerikanische Exil, und zwar über Frankreich und die iberische Halbinsel. Bei der Flucht half ihr der spätere Ehemann Heinrich Blücher. Noch wichtiger wurde er aber später in Arendts Leben, weil er sie mit seiner Liebe unterstützte und ihr die notwendige Stabilität für ihr großes Werk gab.„Das will der Film zeigen, und deswegen hat man ihn als Philosophen etwas knapp erzählt. Sie waren ein Liebespaar, das nebenbei auch einfach und banal zusammen kochte. Das ist überliefert. Margaretha von Trotta war es ebenso sehr wichtig, dass beide nicht nur den Kopf in den Wolken hatten, sondern auch allzu menschlich waren. Es ging auch temperamentvoll zu, es wurde viel geraucht, es gab Unfälle, Betrügereien, und sie haben in ihrem Haus mit ihrem Freundeskreis gestritten. Diese banale Lebensform liefert im Prinzip die Folie, von dem sich dann Arendts Lebenswerk und ihre überraschende Deutung des Nazi-Regimes abhebt“, so Axel Milberg.
Auch mit Prag bringt der Schauspieler den Film in Verbindung und zieht mit dem berühmten Franz Kafka einen Vergleich:„Ich dachte mir, weil ich heute hier in Prag bin, wie sehr dieses ungeheure Drama des Dritten Reiches im Werk von Franz Kafka vorweggenommen ist. Wenn man sich das Schicksal seiner Schwestern anschaut und diese bizarre Verteidigung Eichmanns in Jerusalem, 40 Jahre nach Kafka, für einen Moment als Gedankenspiel zusammenbringt, dann hat man sozusagen auch eine dramatische Beziehung zu dieser Stadt.“
In jedem Fall einen persönlichen Bezug zur Stadt hat die Regisseurin. Dazu Milberg:
Die wichtigste Botschaft nach rund 109 Minuten bleibt aber die Freiheit im Denken. Ob in der grausamen Anti-Verkörperung eines vermeintlichen Mitläufers des Nationalsozialismus oder in der verharmlosenden Deutung Hannah Arendts: Die Freiheit im Denken gelingt wohl oft erst nach dem bereits Geschehenen. Nach der Aufklärung und eingehenden Überprüfung der Fakten erscheint die Sinnlosigkeit der geplanten Vernichtung eines ganzen Volkes nur noch als Banalität des Bösen. Milberg unterstreicht diese zeitlose und aktuelle Botschaft für alle Menschen, überall auf der Welt:
„Es geht um die Autonomie im Denken. Da ist der Film ungeheuer aktuell und zeitlos: Wie weit denken wir autonom? Wie beobachten wir uns selbst und unsere Umgebung? Wie können wir lernen, ein eigenes und unabhängiges Urteil über die Dinge, die Geschichte, die Politik und unsere Umwelt zu entwickeln und unsere Meinung zu begründen und frei zu äußern? Inwieweit sind wir dabei manipulierbar? Gerade im Zeitalter omnipräsenter Medien und des Internets hat sich das unglaublich zugespitzt. Es bleibt meist ein ferner Wunsch, dass wir immer autonom urteilen können. Aber genau darin sieht Hannah Arendt den Ursprung des Bösen und des organisierten Verbrechens: dass wir unsere Autonomie abgegeben haben und willenlos Befehlen gehorchen, die wir mit unserem Gewissen, aber auch Wissen, nicht überprüfen.“