Die geheimnisvolle Frau Sidonie Nadherny

Sidonie Nadherny
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Die Schriftstellerin und Publizistin Alena Wagnerova beschäftigt sich mit der Rolle der Frauen in der europäischen Geschichte. In den 90er Jahren publizierte sie die Biografie und den Briefwechsel von Milena Jesenska. Auf Einladung des Kulturvereins Prag-Aachen hat in Prag die Schriftstellerin Wagnerova ihr neuestes Buch mit dem Titel "Das Leben der Sidonie Nadherny" vorgestellt. Bára Procházková berichtet.

"Hab' ich Dein Ohr nur - find' ich schon mein Wort"

so definierte in einem Gedicht Karl Kraus die Rolle von Sidonie Nadherny in seinem Leben. In das mitteleuropäische Kulturbewusstsein trat die Baronin gerade mit den Ausgaben der Briefe von Karl Kraus und Rainer Maria Rilke in den 70er Jahren. Der Maler Max Svabinsky, der Dichter Rainer Maria Rilke oder der Publizist Karl Kraus - für diese berühmten Männer war Sidonie Nadherny mehr als eine Freundin. Sie hat sie inspiriert und begleitet. Sie galt als eine so genannte Femme fatale, eine attraktive und zugleich geheimnisvolle Frau. Alena Wagnerova, die Autorin der Biografie "Das Leben der Sidonie Nadherny", sieht eine Schwierigkeit im Bewerten dieser Persönlichkeit:

"Weil in unserer Zeit, die immer alles Aktive, alles Wachsende, alles Bauende oder Schaffende zu schätzen weiß, uns Kategorien fehlen, um zu beschreiben, worin eigentlich die Bedeutung von Sidonie Nadherny liegt, und zwar in dem Zuhören. In dem Zuhören gegenüber den Menschen, in dem Zuhören gegenüber der Natur."

Wagnerova sagt weiter, dass Sidonie Nadherny versucht hat, die getrennten Bereiche die Natur und die Kultur des menschlichen Lebens wieder zusammen zu bringen, und zwar auf dem Schloss Janovice / Janowitz, 65 Kilometer südlich von Prag. Dort arbeitete auch Karl Kraus an seinem Werk "Die letzten Tage der Menschheit". Die Nationalsozialisten haben das Schloss mit dem Schlosspark in einen SS-Truppenübungsplatz verwandelt und nach dem Kriegsende wurde das Eigentum der Adligen verstaatlicht. Ähnlich bewegt war auch das Leben von Sidonie Nadherny, die im englischen Exil verarmt gestorben ist. Alena Wagnerova verrät, warum sie gerade jetzt eine Biografie von Sidonie Nadherny verfasst hat:

"Ich denke, dass der Beitrag der Frauen zu der europäischen Kultur sehr lange zu wenig beachtet worden ist. Auch eben dass die Frauen immer als Adressatinen definiert wurden. Genauso auch Milena Jesenska als Adressatin der Briefe von Franz Kafka."

Die zweite Frauenbewegung nach 1968 verlangte eine Änderung der Perspektive. Auch die gebürtige Tschechin Alena Wagnerova, die in Saarbrücken und Prag lebt, zeigt mit konkreten Persönlichkeiten, dass die Frauen - zum Beispiel Milena Jesenska oder Sidonie Nadherny - nicht nur Freundinnen und Spiegelflächen der berühmten Männer waren, sondern auch einen aktiven Beitrag zu der europäischen Kultur geleistet haben.