Die Großmacht Großmähren: Auf dem slawischen Bergwall in Mikulčice

Großmährische Schmucke

Das Großmährische Reich war das erste Staatsgebilde der Westslawen. Es spielte eine wichtige Rolle in der Geschichte Mittelosteuropas. Großmähren war ein Vorgänger des frühmittelalterlichen Staates der böhmischen Premysliden. Den Kern Großmährens bildete das mährische Gebiet am Fluss Morava / March und das Fürstentum von Nitra. Ein bedeutendes Zentrum des großmährischen Staates des 9. Jahrhunderts befand sich auf dem Gebiet unweit der heutigen Gemeinde Mikulčice. Seit den 1950er Jahren werden dort archäologische Untersuchungen durchgeführt. Diese haben inzwischen außerordentlich umgangreiches Material zu Tage gebracht, das von den Experten ausgewertet und bearbeitet wird. Die Ausgrabungen von Mikulčice gehören zu den größten systematischen Ausgrabungen in Europa. Die Verwalter des Areals, das zum nationalen Kulturdenkmal erklärt wurde, sowie Regionalpolitiker denken darüber danach, sich um den Eintrag von Mikulčice in die Unesco-Weltkulturerbeliste zu bewerben.

Museum in Mikulčice
Die knapp 2000 Einwohner zählende Gemeinde Mikulčice liegt nahe der Grenze zur Slowakei. Die wertvollste Sehenswürdigkeit befindet sich jedoch noch ein paar Kilometer vom Dorf entfernt, im Tal des Flusses Morava / March, inmitten von Auenwäldern: ein frühmittelalterlicher slawischer Bergwall. Er ist mit einer Fläche von zehn Hektar die größte slawische archäologische Fundstätte in Tschechien und zugleich einzigartig gut erhalten. Auch Besucher können hierher kommen und die Fundamente mehrerer Kirchen und des Palastes im Gelände besichtigen.

Exposition in Mikulčice
Bei der Wanderung auf den Spuren der Westslawen in den Auenwäldern an der March legt man einige Kilometer zurück. Zudem gibt es die Möglichkeit, zwei Ausstellungen zu besuchen, die in den Gebäuden am Eingang ins Areal installiert wurden. In einer der Ausstellungen macht man sich mit den Ergebnissen der langjährigen archäologischen Forschungen bekannt, wobei der Schwerpunkt auf dem 8. und 9. Jahrhundert liegt. In der anderen modernen Informationsschau wird die Geschichte des Burgwalls und der dortigen Sakralbauten geschildert. Die Verbindung von gesprochenem Wort, Musik und Film bringt dem Besucher die slawische Vergangenheit näher.

Hl. Kyrill  (Konstantin) und Method | Foto: Martina Schneibergová,  Radio Prague International
Der erste historisch belegte Herrscher Großmährens war Mojmír I. Um das Jahr 833 eroberte er die heutige slowakische Stadt Nitra, schloss sie seinem Gebiet an der March an und schuf damit den Kern eines neuen Staates. Sein Nachfolger Fürst Rostislav I. war bemüht, die Unabhängigkeit Großmährens gegen das Ostfränkische Reich zu wahren, mit dem Großmähren immer wieder in Konflikte geriet. Rostislav entschied sich darum, eine eigene Kirchenorganisation zu gründen. Auf seine Bitte entsandte der byzantinische Kaiser Michal III. im Jahre 863 eine Kirchenmission nach Mähren. Sie wurde von Konstantin und Method geleitet. Die beiden Gelehrten schufen eine neue slawische Schrift, die Glagoliza. Das Altkirchenslawisch wurde zudem zur Liturgiesprache erhoben.



Großmährische Schmucke
Ob Mikulčice der Sitz von Rostislav war, der in den Fuldaer Annalen erwähnt wird, ist nicht geklärt. In den historischen Quellen werden weder Mikulčice, noch andere großmährische Siedlungen konkret erwähnt. Dagegen geht aus den archäologischen Ausgrabungen bei Mikulčice hervor, dass sich dort einst eine große Agglomeration befand inklusive einer prunkvollen Burg. In der befestigten Burg standen ein Fürstenpalast, mehrere Kirchen und weitere Gebäude. Es lebten dort Adelige sowie Handwerker und Sklaven. In der Vorburg war das Heer des Fürsten untergebracht. In der Kirche auf der Akropolis wurden die vornehmsten Bewohner bestattet, vor allem Angehörige der herrschenden fürstlichen Dynastie. Mikulčice ist im Vergleich zu anderen Siedlungen einzigartig: Es war zugleich Fürstensitz, Kirchenzentrum und wies Elemente einer Stadtagglomeration auf. František Synek leitet das Museum Großmährens in Mikulčice. Er sagt, von der Bedeutung der Burgstätte im 8. und 9. Jahrhundert würden die zahlreichen archäologischen Funde zeugen:

Kirchenfundamente
„Es sind hier Fundamente von zwölf Kirchen mit ihren Friedhöfen gefunden worden. Zudem sind Reste einer mächtigen Befestigung erhalten geblieben. Ein Teil der Befestigung umgab die Akropolis und ein weiterer die Vorburgen. Anhand der Funde wird geschätzt, dass hier im 8. bis 10. Jahrhundert etwa 2000 Menschen gelebt haben. Zum Vergleich: Dort, wo heute Prag liegt, befand sich im 9. Jahrhundert nur eine kleine Siedlung von Kaufleuten an einer der Furten über die Moldau. Und in Paris sollen zu dieser Zeit etwa 900 Menschen gelebt haben.“

Über einer der Fundstätten auf dem slawischen Burgwall wurde ein Museum eingerichtet, in dem man heutzutage eine moderne Dauerausstellung findet. František Synek macht auf die Kirchenfundamente inmitten des Raumes aufmerksam:

Modell des großmährischen Hauses
„Hier ist die ursprüngliche archäologische Fundstätte, wo 1954 der Archäologe Josef Poulík mit den Ausgrabungen begann. In der Mitte sieht man die Fundamente einer der Kirche, die als erstes gefunden wurden. Was das Grab des heiligen Method betrifft, gibt es eine Hypothese, dass er in der hiesigen Basilika bestattet worden sein dürfte. Es ist aber nur eine Vermutung. Die hiesige Basilika ist die größte Kirche aus der großmährischen Epoche, die nördlich der Alpen bislang gefunden wurde. Sie war mehr als 35 Meter lang und elf Meter breit. Aufgrund der erhaltenen Bruchteile des Mauerwerks nehmen wir an, dass sie bis zu 15 Meter hoch gewesen sein konnte. Interessant ist, dass das Interieur mit Malereien verziert war. Links des Altars wurden einige Gräber gefunden. Die Legende sagt, dass der Slawenapostel Method in der Hauptkirche Großmährens bestattet wurde. Es könnte diese Basilika sein. Aber, wie gesagt, es ist nur eine von mehreren Hypothesen.“

Archäologen stießen in Mikulčice auf Fundamente von Sakralbauten sowie von einem Palast
Die Archäologen stießen in Mikulčice auf Fundamente von Sakralbauten sowie von einem Palast. Es wurden dort zudem mehr als 2500 Gräber und rund 250.000 Gegenstände verschiedener Herkunft gefunden: Darunter waren vor allem silberne und goldene Kugelknöpfe, Ohrringe, Sporne, Schwerter, Äxte, Kreuze oder Gürtelbeschläge. Die Funde zeugen davon, dass die Altmähren außerordentlich geschickte Handwerker waren. Kann man sich aufgrund der Funde auch eine Vorstellung davon machen, wie die so zu sagen „Durschnittsmähren“ damals gewohnt haben? Synek bejaht:

„Es standen hier damals rechteckige Hütten, die nicht in die Erde eingelassen waren. Es handelte sich um gezimmerte Bauten, die oft aus Weiden geflochtene Wände hatten. Viele davon waren verputzt und das Dach war aus Stroh oder Schilfrohr. Die Hütten waren sehr einfach, in der Ecke befand sich meistens die Feuerstätte. An einer der Wände standen einfache Betten oder eine Bank.“

Boote,  die sog. ´Monoxyle´
Im Museum in Mikulčice kann man unter den Funden nicht nur Schmuck, Waffen oder Alltagsgegenstände bewundern, sondern auch Raritäten:

„Sehr wertvoll sind die erhalten gebliebenen Holzgegenstände, vor allem zwei Boote, die so genannten ´Monoxyle´ oder Einbäume, die aus einem ausgehöhlten Eichenstamm geschnitzt wurden. Sie sind acht bzw. neun Meter lang. In unseren Sammlungen befinden sich auch Teile von Palisaden, Schilfrohrwänden und verschiedener Fischerausrüstungen. Dieses Material ist sowohl aus archäologischer, als auch aus historischer Sicht hochinteressant, da es 1000 Jahr alt ist. Im Schlamm ist alles gut erhalten geblieben.“

František Synek glaubt, dass diese Funde aber noch nicht alles sind:

„Die Archäologen haben aus ihrer Erfahrung heraus einfach getippt, wo sich die großmährischen Kirchen befunden haben müssen. Die Sakralbauten, auf die sie gestoßen sind, haben sie dann mit Zahlen von eins bis zehn versehen. Die Kirchen standen fast in einer Reihe. Die archäologischen Sonden an einigen Stellen des Areals haben aber bestätigt, dass unter der Erde noch einiges aus der großmährischen Zeit zu finden sein dürfte.“

In den Chroniken wird erwähnt, dass Großmähren um das Jahr 906 oder 907 zerfiel. Der Staat wurde durch Konflikte mit dem Frankenreich sowie durch innere Streitigkeiten geschwächt. Letztlich unterlag das Reich dem Druck der magyarischen Reiternomaden. Dies bedeutete jedoch nicht, dass in diesen Jahren die gesamte Bevölkerung ausgestorben wäre, meint František Synek:

„Höchstwahrscheinlich bedeutete es das Ende für die höchste Gesellschaftsschicht. Die Adeligen sind in den Kämpfen gefallen, und auch die Kirchenorganisation wurde aufgelöst. Der Burgwall wurde zerstört. Aber der Niederriss der Befestigung bedeutete noch nicht, dass hier seitdem niemand mehr gelebt hat. Das Gebiet war auch weiterhin besiedelt. Mit der Zeit sind neue Zentren wie Břeclav / Lundenburg oder Hodonín / Göding entstanden. Im Dorf Mikulčice selbst gibt es eine Kirche aus dem 12. Jahrhundert. Auf dem Burgwall befand sich eine ungewöhnlich große Menge an Steinen, was in dieser Region selten ist. Ich würde sagen, dass der Burgwall bis zum 19. Jahrhundert als eine Art Steinbruch gedient hat. Aus den archäologischen Forschungen geht hervor, dass bis zum Anfang des 15. Jahrhunderts an der Stelle der großmährischen Kirche Nr. 9 eine Festung stand.“

Seit dem 15. Jahrhundert kam es regelmäßig an der March zu Überschwemmungen. Dies hing mit der Kolonisation des Altvatergebirges / Jeseníky und der Beskiden zusammen. Das Hochwasser änderte wesentlich das Klima und die Lebensbedingungen in der Region. Die beiden Inseln auf der March, auf denen der Burgwall einst entstanden war, wurden oft überschwemmt. Die Bewohner zogen in höher gelegene Orte. Das Dorf Mikulčice liegt etwas höher und ist etwa drei Kilometer vom slawischen Burgwall entfernt. Die Umgebung der Kirche in der heutigen Gemeinde Mikulčice ist seit dem 12. Jahrhundert besiedelt.

Margareta-Kirche im slowakischen Kopčany  (Foto: Stanislav Doronenko,  www.wikimedia.org)
Vor drei Jahren wurde beschlossen, den slawischen Burgwall von Mikulčice gemeinsam mit der nahe gelegenen Margareta-Kirche im slowakischen Kopčany für den Eintrag in die Unesco-Weltkulturerbeliste zu nominieren. Das historische Areal an der tschechisch-slowakischen Grenze sollte als ein mährisch-slowakischer Archäopark in die Liste eingetragen werden. Vor etwa einem Jahr haben die Kulturministerien in Prag und in Bratislava ihren Antrag jedoch zurückgezogen – mit der Begründung, das Areal müsse erst „reif werden“. Die Bewohner in der Region haben den Gedanken an den Eintrag jedoch nicht aufgegeben. Genauso wie František Synek:

Auenwald bei Mikulčice
„Ach, das ist eine herrliche Vision! Im Augenblick bereiten wir weitere Materialien vor, um die notwendige Dokumentation für die Unesco zu ergänzen. Im Herbst wird sich hier eine internationale Konferenz mit der Bedeutung der Präsentation dieser einzigartigen Sehenswürdigkeit in der Welt befassen. Im Jahre 2013 begehen wir 1150 Jahre seit der Entsendung von Kyrill und Method nach Großmähren. Es wäre gut, wenn man anlässlich des Jahrestags mehr über den Eintrag in die Unesco-Kulturerbeliste sprechen würde.“

Fotos: Autorin

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