Die Hölle mit Humor durchstehen
Seit Jahren tobt ein Krieg im Jemen, es ist einer der blutigsten und schmutzigsten Konflikte der Gegenwart. Mittendrin versuchen die Ärzte ohne Grenzen, die Not der Menschen zu lindern. Eine von ihnen ist die Tschechin Kristina Höschlová. Vor wenigen Tagen kehrte sie aus dem Jemen nach Tschechien zurück und hat für den Tschechischen Rundfunk ihre Erlebnisse geschildert.
„Ich hatte ganz ähnliche Aufgaben wie in Afghanistan. Aber der Ort war ganz anders. Das liegt wahrscheinlich am Klima, Mokka ist ja eine Wüstenstadt, dauernd weht dort der Wind und wirbelt Staub und Sand auf. Das Land drum herum ist unfruchtbar, und überall ist Dreck. Außerdem haben die Menschen in dem Land einen unglaublich resignierten Gesichtsausdruck.“
Im Zelt zur „echten Medizin“
Vier Tage dauerte die Reise von Tschechien in den ehemaligen Kaffeehafen Mokka, wo Kristina Höschlová einen ganzen Monat verbringen sollte. Die erste Station hieß dabei Aden, in der Hafenstadt sollte die Ärztin einen Vorgeschmack auf ihren Dienst in dem bitterarmen südarabischen Land bekommen:„In Aden sind wir alle von den Ärzten ohne Grenzen zusammengekommen, bevor wir an unsere Einsatzorte verteilt wurden. Ich habe dann natürlich meine jemenitischen Kollegen gefragt, was mich in Mokka erwarten würde. Die haben gesagt: ‚Mokka ist großartig, da gibt es nur Staub, Sand, Wind und das Meer, da kommst du braungebrannt zurück wie ein Mohr.‘ Ich habe aber auch nach Hudayda gefragt, das rund 180 Kilometer nördlich von Mokka liegt und wo ich eigentlich eingesetzt werden sollte. Wer in diese Richtung gehen würde, der bekäme von ihnen nur ein ‚Gott beschütze dich‘ mit auf den Weg, so meine Kollegen. Denn es sei nicht sicher, ob einer überhaupt aus Hudayda zurückkommt.“
Die Hafenstadt ist nämlich eines der meistumkämpften Gebiete in diesem
Konflikt und berüchtigt für unvorstellbare Kriegsverbrechen.Fünf Stunden Fahrt durch die Wüste sind es von Aden bis nach Mokka, die Ärzte ohne Grenzen betreiben dort ein Traumazentrum. Bei der Ankunft musste Höschlová staunen, denn sogar im Irak und Afghanistan war sie anderes gewohnt:
„Bei der Mission in Mokka handelt es sich um ein sogenanntes Notprojekt. Das heißt, das ganze Feldkrankenhaus ist in Zelten untergebracht.“
Doch die Arbeit unter Planen stellte sich als relativ angenehm heraus, was nicht nur an dem fleißigen jemenitischen Personal lag. In dem Feldkrankenhaus war es überraschend sauber und vor allem praktisch:
„Ich habe das erste Mal unter solchen Umständen gearbeitet, und ehrlich gesagt gibt es kaum etwas Besseres. Die Zelte sind so simpel konzipiert, dass die Arbeit ausgezeichnet abläuft. Die Lazarette sind in Kreuzform gestaltet, wobei ein Flügel die Notaufnahme ist, gegenüber liegt gleich der Operationsaal, ein weiterer Flügel ist die Intensivstation, und im letzten sind die Umkleiden. Das ist ungemein praktisch, denn man hat eigentlich alle Stationen gleichzeitig im Blick und kann ohne Hindernisse dorthin laufen, wo man gerade gebraucht wird. Außerdem sind die Zelte überraschend standfest und sicher.“Nichtsdestotrotz war die Ausstattung dürftig, Operationen konnten in dem Zelt nur bedingt ausgeführt werden. Auch Diagnosen musste man laut Höschlova eher aus dem Bauch heraus stellen. Bis auf ein primitives Röntgengerät gab es kaum Technik. Doch es habe gereicht, meint die Ärztin aus Liberec, sie würde ihre Arbeit in Mokka sogar als die „echte Medizin“ bezeichnen.
Ein Konflikt ohne Schwarz oder Weiß
Der Konflikt im Jemen brennt bereits seit 2015 und ist unheimlich kompliziert, ihn zu verstehen ist kaum möglich. Einerseits bekämpfen sich Stämme und Glaubensgruppen, andererseits führt eine Koalition aus Saudi Arabien, den USA und weiteren arabischen und westlichen Staaten einen gnadenlosen Luftkrieg gegen das Land. Zu leiden hat darunter vor allem die Zivilbevölkerung:„Es gibt für diesen Konflikt keine einfache Erklärung. Ich habe schon in Afghanistan die Erfahrung gemacht, dass wir gerne eine einfache, schwarz-weiße Sicht auf einen solchen Krieg haben wollen. Dass hier die Guten und dort die Bösen sind, so einfach ist das überhaupt nicht. Ich interessiere mich auch eher dafür, wie meine einheimischen Kollegen die Lage in ihrem Land sehen.“
Kristina Höschlova sagt, dass sie in ihrem Leben noch nie einen so trostlosen Flecken Erde gesehen habe. Und sie meint damit auch die Menschen, die dort leben. Es herrsche eine ganz bestimmte Kälte zwischen ihnen, erklärt die Ärztin:
„Wir waren wahrscheinlich die Ersten, die den Menschen dort irgendwie Würde und Hoffnung geben konnten. Deutlich wurde das bei den Müttern von Kindern, die wir behandeln mussten und die bei uns mit Schmerzen auf den Betten lagen. Ich habe nie gesehen, dass die Mütter ihre Kinder in den Arm genommen oder dass sie ihnen irgendein Spielzeug mitgebracht hätten. Auch bei Geburten standen die Mütter mit versteinertem Gesicht am Kopfende bei ihren gebärenden Töchtern und wischten ihnen nicht einmal den Schweiß von der Stirn. Die Frauen dort können aber nichts dafür, sie selbst sind in solchen Umständen aufgewachsen und kennen das nicht anders. Auch sie wurden nie in den Arm genommen.“Ihre einheimischen Kollegen würden hingegen mit Humor gegen diese Apathie ankämpfen. Höschlová kann nur vermuten, wo sie die Kraft dazu hernehmen:
„Die Art meiner jemenitischen Kollegen steht da in krassem Kontrast dazu. Die konnten sich auch nach schweren 24-Stunden-Schichten und den anstrengendsten Operationen eine gewisse gute Laune behalten und mit Humor auftreten. Ich kann mir das erst jetzt mit einigem Abstand erklären. Ich glaube, dass es für sie etwas Besonderes ist, unter diesen trostlosen Umständen überhaupt eine sinnvolle Arbeit zu haben. Und dass sie mit dieser Arbeit sogar etwas Schönes bewirken und den Menschen dort etwas Gutes weitergeben können.“ Besonders beeindruckt habe sie das Schicksal eines Kollegen aus Mokka, erzählt Höschlova. Dessen Sohn war auf offener Straße erschossen worden. Er habe aber nicht den Willen verloren zu helfen, erzählt die Ärztin:„Er hat mir gesagt, dass er auf einmal vor einer Entscheidung gestanden sei. Eine Möglichkeit wäre gewesen, dass er seinen Sohn gerächt hätte, da dessen Tod natürlich absolut ungerecht war. Damit wäre die Sache in gewisser Weise für ihn abgeschlossen gewesen. Er hat sich aber für einen anderen Weg entschieden. Mein Kollege wollte, dass sein Sohn im Himmel stolz auf ihn sei, indem er selbst den verletzten Menschen auf der Erde beisteht und ihnen hilft.“
Ein Kapitel abschließen
Vor allem Schusswunden musste Kristina Höschlova in Mokka behandeln. Meist seien die gar nicht durch die Kämpfe entstanden, erklärt die Ärztin. Die Jemeniten seien durch den Krieg bis auf die Zähne bewaffnet, und ununterbrochen löse sich irgendwo eine Kugel. Nichtsdestotrotz ist der Tod in der kleinen Hafenstadt allgegenwärtig und Realität. Doch eines faszinierte Kristina Höschlova und sorgte für Hoffnung in der verzweifelten Lage:
„In dem Krankenhaus gab es etwas, was mich in den ersten Tagen schockiert war. Dort waren sehr viele schwangere Frauen, die einen Kaiserschnitt brauchten und deswegen zu uns gebracht wurden. Die lagen dann neben Menschen, denen beispielsweise eine Mine die Beine abgerissen hatte. Für mich war es beeindruckend, dass es dort auf einer Seite so viel Leid und Tod gab, auf der anderen Seite aber auch neues Leben geboren wurde. Das war ein unglaublicher Mix an Emotionen.“Was nimmt sie aber mit aus dem Jemen?
„Das haben mich auch meine Kollegen hier in Liberec gefragt, ob mir denn die Fälle hier nicht langweilig vorkommen im Vergleich zu denen im Jemen. Ich denke das nicht. Natürlich habe ich in Liberec nicht so spannende Situationen wie in Mokka. Auf der anderen Seite werde ich aber auch nicht beschossen, kann unbeschwert durch die Stadt spazieren und arbeite unter luxuriösen Bedingungen. Für mich ist das so, dass ich die Geschichte Jemen ganz einfach abgeschlossen habe und nun wieder mein Kapitel Liberec weiterlebe.“
Vorerst ist Kristina Höschlova wieder bei den Flugrettern in Nordböhmen im Einsatz. Sie sei direkt vom Flieger aus Aden in den Rettungshubschrauber in Liberec gesprungen, meint die Ärztin. Doch sicher wird sie schon bald wieder in einem anderen Krisengebiet helfen.