„Ärzte ohne Grenzen“ im Gazastreifen: Humanitäre Hilfe sollte nicht vom Waffenstillstand abhängen
Eine Woche lang hat der Waffenstillstand zwischen Israel und der Terrororganisation Hamas im Gazastreifen gedauert. Die Kampfpause sollte ermöglichen, Geiseln der Hamas freizubekommen und Hilfsgüter in den Gazastreifen zu liefern. Daran war auch die Organisation „Ärzte ohne Grenzen“ beteiligt.
Derzeit seien die ‚Ärzte ohne Grenzen‘ an insgesamt vier Standorten im südlichen Gazastreifen tätig, in zwei Krankenhäusern und zwei Gesundheitszentren. Im nördlichen Gazastreifen sei das Gesundheitssystem zusammengebrochen, und die Helfer könnten die Region aufgrund der schlechten Sicherheitslage derzeit nicht erreichen. Dies berichtet Sylva Horáková, Leiterin des tschechischen Büros von „Ärzte ohne Grenzen“. Man wisse nicht, wie die Arbeit der humanitären Helfer weiter aussehen werde, sagte sie in den Inlandssendungen des Tschechischen Rundfunks:
„Wir hoffen sehr, dass beide Seiten des Konflikts versuchen werden, die Zivilbevölkerung zu schützen. Wir wären sehr froh, wenn mehr humanitäre Lieferungen stattfinden könnten und wenn die Sicherheitslage so wäre, dass wir überhaupt humanitäre Hilfe leisten könnten.“
Der Zeitraum des Waffenstillstands sei sehr kurz gewesen und habe nur teilweise geholfen. Denn der Bedarf an humanitärer und medizinischer Hilfe sei enorm, so Horáková:
„Im Gazastreifen leben nach Angaben der UN-Agentur derzeit 1,8 Millionen Menschen, 80 Prozent der Bevölkerung sind Binnenvertriebene. Wir brauchen viel mehr Zeit, Stabilität und Sicherheit, und außerdem sollte die humanitäre Hilfe nicht von einem zeitlich begrenzten Waffenstillstand abhängig sein.“
Das 15-köpfige internationale Team der „Ärzte ohne Grenzen“ ist unter anderem auf chirurgische Nothilfe spezialisiert. Die Arbeitsorte sind das Nasser-Krankenhaus und das Al-Aksa-Krankenhaus sowie zwei Gesundheitszentren in Chan Yunis. Insgesamt sind im südlichen Gazastreifen acht von elf Krankenhäusern geöffnet. Sie sind massiv überlastet mit Patienten, denn wegen der fehlenden Behandlungsmöglichkeit im Norden werden zusätzlich Verletzte von dort eingeliefert: „An den Orten, an denen wir tätig sind, werden drei- bis viermal so viele Patienten versorgt wie zuvor. In einer der Kliniken führen wir beispielsweise täglich etwa 1000 ärztliche Besprechungen durch, das sind viermal mehr als zuvor.“
Tomáš Bendl leitet die Kommunikationsabteilung bei „Ärzte ohne Grenzen“. Er ergänzt, wie die medizinische Versorgung im Ganzastreifen konkret aussieht:
„Unsere Projekte umfassen vor allem Verletzungschirurgie, Chirurgie und psychologische Hilfe. Ich möchte die psychologische Hilfe hervorheben, weil diese bei Waffenkonflikten oft ein vernachlässigtes, aber sehr wichtiges Thema ist. Unter dem Druck der humanitären Krise wird diese oft vergessen. Wir bemühen uns, die Lücke zu füllen, weil die Menschen dies extrem brauchen – und zwar egal ob es Zivilisten, Frauen und insbesondere Kinder sind. Gleichzeitig sind wir durchgehend unfallchirurgisch tätig. Denn auch im Süden gibt es viele Menschen, die aus dem Norden geflüchtet sind und Verletzungen haben, die behandelt werden müssen.“
Sylva Horáková spricht zudem über die humanitäre Lage der Zivilbevölkerung im südlichen Gazastreifen:
„Die sanitären Verhältnisse sind ständig schlecht. Unsere Kollegen berichten, dass in einigen Unterkünften für Binnenvertriebene eine Toilette für 600 Menschen reichen muss. Auch der Zugang zu Trinkwasser und Strom ist nach wie vor problematisch.“