„Die Jungs fielen wie die Fliegen“ – Tschechoslowaken im Vietnamkrieg
Fast drei Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, im Februar 1948, kamen in der damaligen Tschechoslowakei die Kommunisten an die Macht. Zehntausende Tschechoslowaken emigrierten. Viele träumten von einem Neustart im Westen, von einem Leben in Amerika oder Australien. Sie wollten die Gräuel des Krieges und das trostlose Leben im zerstörten Europa weit hinter sich lassen. Für viele junge Emigranten blieb dies ein Traum. Etwa 2000 von ihnen fanden sich gar wenige Jahre später auf einem Schlachtfeld fernab der Heimat wieder, als Soldaten in einem Krieg, der nicht der ihre war.
Bis heute kann Rudolf Němček Reis nicht ausstehen. 18 Monate lang hatte er nichts anderes gegessen, 18 lange Monate, die Němček in vietnamesischer Kriegsgefangenschaft verbracht hatte.
Als Vietnamkrieg bezeichnet man heute den Stellvertreterkrieg im Kontext des Kalten Krieges vom Beginn der 1960er Jahre bis 1975. Er wurde vor allem durch das militärische Engagement der USA geprägt. Dies war jedoch nur die letzte Phase - wenn auch eine besonders verlustreiche - in der längsten kriegerischen Auseinandersetzung des 20. Jahrhunderts. 30 Jahre lang war Vietnam der Schauplatz eines verheerenden Krieges, der 1946 mit dem Widerstand vietnamesischer Guerillas gegen die Kolonialmacht Frankreich begann. Diese Guerillas, die so genannten Viet Minh unter ihrem charismatischen Führer Ho Chi Minh, bekannten sich überwiegend zum Kommunismus. Ihr Ziel war jedoch in erster Linie die Unabhängigkeit Vietnams, das als französische Kolonie damals noch Indochina hieß. Zunächst konnten sie gegen die militärische Übermacht der Franzosen wenig ausrichten. Das Blatt wendete sich, als 1949 Mao Tse-tung in China an die Macht kam und eine Volksrepublik ausrief. Das kommunistische China unterstützte die Viet Minh mit Waffen. Ein Schlüsselereignis war die Schlacht um die französische Festung Dong Khe in Nordvietnam, die im September 1950 von den Guerillas erobert wurde. Auf französischer Seite kämpfte auch Rudolf Němček:„Die Jungs fielen wie die Fliegen. Es waren da schrecklich viele von diesen Vietnamesen. Von der einen Seite kamen sie nicht an uns ran, da war ein steiler Hang. Also schossen sie uns von unten ab. Ich war zum Glück an der anderen Seite des Bunkers, da sind nicht so viele gefallen. Aber es war schrecklich. Ich wurde verwundet durch Splitter einer Mörsergranate, zwölf kleine Splitter und einen großen. Das geschah an dem Tag, als ich in Gefangenschaft geriet.“
Němček war Mitglied der französischen Fremdenlegion, so wie etwa 2000 weitere Tschechoslowaken, die in Vietnam gekämpft haben; etwa 500 von ihnen sind dort gefallen. Im 20. Jahrhundert standen nur während des Zweiten Weltkriegs mehr Tschechoslowaken unter Waffen. Über dieses bisher wenig bekannte Kapitel der tschechoslowakischen Geschichte des 20. Jahrhunderts hat der Historiker Ladislav Kudrna ein Buch geschrieben: „Sie kämpften und starben in Indochina“ (Bojovali a umírali v Indočíně). Kudrna beleuchtet darin vor allem die Einzelschicksale tschechoslowakischer Vietnamveteranen wie Rudolf Němček. Ihr Weg in die französische Fremdenlegion und damit auf das Schlachtfeld in Südostasien begann laut Kudrna bereits im Jahr 1948 mit der Machtübernahme der Kommunisten in der Tschechoslowakei. In den folgenden Jahren emigrierten Schätzungen zufolge rund 40.000 bis 100.000 Tschechen und Slowaken. Viele von ihnen fanden einen ersten Unterschlupf in Flüchtlingslagern in den Westzonen des besetzten Deutschland. Ladislav Kudrna:
„Die Bedingungen in den Flüchtlingslagern waren sehr trist. Es war ja erst kurz nach dem Krieg. Es herrschten dort schlechte hygienische Bedingungen und es gab nicht genug zu essen. Und das haben die Agenten der französischen Fremdenlegion ausgenutzt. Sie besuchten diese Lager und lockten junge Kerle, häufig Minderjährige, unter falschen Versprechungen in die Fremdenlegion.“Die Agenten versprachen gute Verpflegung und viel Geld und stellten den Jugendlichen ein relativ sorgenfreies Leben in Nordafrika in Aussicht. Dort, im algerischen Sidi bel Abbès, erwartete die neuen Legionäre jedoch eine harte mehrmonatige militärische Ausbildung. Danach wurde es noch schlimmer. Mit dem Schiff ging es nach Indochina - direkt in die Kampfhandlungen. Der damals 20-jährige Otakar Hašek erinnert sich:
„Man hatte Angst und schoss einfach, ohne zu wissen wohin. Man schoss, um sich zu beruhigen. Das war ein merkwürdiger Krieg. Am schlimmsten war, dass man niemandem trauen konnte. Man sah in einem Dorf eine alte Frau, die eine schwere Tasche schleppte. Entweder überprüfte man sie oder man ließ sie einfach gehen. Denn es konnte sein, dass ihre Tasche voller Granaten war. Das war riskant. Oder aber man hielt Nachtwache, und im Dschungel raschelte es, dann schoss man. Am Morgen stellte man fest, dass eine Frau und ein Kind erschossen wurden. Es war halt dunkel und man wollte sich doch nur verteidigen. Man war jung, dumm und trug den Colt tief.“Otakar Hašek diente ebenso wie Rudolf Němček und viele weitere Tschechoslowaken im Norden Vietnams, den die Viet Minh im Herbst 1950 nach dem Fall einiger französischer Festungen unter ihre Kontrolle brachten. Viele Fremdenlegionäre desertierten in dieser Zeit. Andere - wie Hašek - gerieten in vietnamesische Kriegsgefangenschaft.
„Die Bedingungen in den Kriegsgefangenenlagern seien schrecklich gewesen. Meine Nachforschungen haben ergeben, dass die Sterberate etwa 80 Prozent betragen hat“, so Ladislav Kudrna. Grund für die hohe Sterblichkeitsrate waren vor allem das für Mitteleuropäer extreme Klima, Krankheiten, Lebensmittelknappheit und Ähnliches. Den Legionären war zwar erzählt worden, die Vietnamesen würden ihren Gefangenen mit Macheten die Köpfe abschlagen, doch das stimmte nicht. Die französische Armeeführung wollte damit lediglich sicherstellen, dass die Soldaten bis zum letzten Blutstropfen kämpften. Die meisten Kriegsgefangenen berichteten, sie seien von ihren vietnamesischen Aufsehern anständig behandelt worden. Vietnam hatte nämlich mit befreundeten Regierungen – also auch mit der kommunistischen in der Tschechoslowakei – Verträge über die Rückführung der Fremdenlegionäre abgeschlossen. Darin wurde garantiert, dass den Rückkehrern in ihrer Heimat nichts angetan würde. Dies war den Vietnamesen wichtig, sollte es doch weitere Legionäre zum Überlaufen bewegen. Doch das tschechoslowakische Regime hielt sich nicht an die Abmachung. Der zweite und größte von insgesamt vier Repatriierungstransporten kam im Frühling 1952 in Prag an. In ihm saßen auch Hašek, Němček und 19 weitere Tschechoslowaken.„Diese Männer wurden über ein Jahr lang im Gefängnis gehalten. Bei denjenigen, die zur vietnamesischen Seite übergelaufen waren, wurde die Strafverfolgung ausgesetzt und sie wurden in die Freiheit entlassen. Den anderen wurde der Prozess gemacht, der allerdings durch eine Amnestie beendet wurde. Die Gefangenen wurden im September 1953 entlassen“, so Kudrna. Viele Veteranen mussten jedoch im Anschluss jahrelang Zwangsarbeit leisten, zum Beispiel in Kohle- und Urangruben.
Otakar Hašek kehrte der Tschechoslowakei noch ein zweites Mal den Rücken. Nach der Niederschlagung des Prager Frühlings 1968 floh er nach Kanada und lebte dann jahrzehntelang in den USA. Erst im Jahr 2003 kehrte er zurück ins nun demokratische Tschechien. Heute lebt der 81-jährige Hašek in Luhačovice in Südostmähren.
Rudolf Němček, ebenfalls 81 Jahre alt, erntet noch heute erschreckte Blicke, wenn ein Arzt bei der Untersuchung auf seine Kriegsverletzungen aus Vietnam stößt. Eine Kriegsversehrtenrente vom französischen Staat hat er nie bekommen. Man teilte ihm mit, dass er in den Unterlagen der Fremdenlegion als gefallen geführt werde – genauso wie sämtliche weitere Mitglieder seiner damaligen Kompanie.
Die Aussagen von Rudolf Němček und Otakar Hašek sind der Sammlung der gemeinnützigen Agentur Post Bellum entnommen, die sich seit 2001 der Befragung von Zeitzeugen widmet. Mehr Informationen über Post Bellum finden Sie unter dieser Internetadresse: http://www.postbellum.cz.
Dieser Beitrag wurde am 24. Juli 2010 gesendet. Heute konnten Sie seine Wiederholung hören.